Mutter will dies die Kinder nicht lassen; das eine, ein Säugling, umschlingt die Brust; das andere hängt sich an die Haare der Mutter; schon hat diese den Fuß auf den Felsrand gesetzt, allein die Last ist zu groß, der Ast wird gänzlich brechen -- und alle werden ihr Grab gemeinsam finden; noch im Tode wird die Familie Eines sein. Das Thier kann in solchen Situationen nur den Instinct der Selbsterhaltung ohne jede andere Rücksicht walten lassen, wie ein neuerer Deutscher Maler uns z. B. einen Waldbrand gemalt hat. Mit nimmersattem Rachen verzehrt das Feuer Sträucher und Bäume und scheucht die Thiere aus ihren Lagern auf; in dichten Schaaren mit gesträubtem Haar, mit schreckentflammtem Blick, mit lechzender Zunge, stürzen sie hervor und scheinen ihre sonstige Natur vergessen zu haben, indem Bär und Büffel, Panther und Reh, Wolf und Schaaf, neben einander im großen Knäuel eine von der all¬ gemeinen Gefahr erzwungene Friedfertigkeit athmen. Im Entsetzen dieser fliehenden Bestien malt sich die Wuth des höllischen Elementes.
Thiere im Kampf mit einander können nur dann er¬ haben werden, wenn sie groß sind. Ein kleines Thier kann sehr stark und muthig sein, allein seine Kraft kann nicht den Schein sich aus sich selbst erzeugender und sich in sich er¬ neuernder Unendlichkeit gewinnen. Ein Hahnenkampf ist nichts Erhabenes. Der Gegenkampf kleinerer und schwächerer Thiere gegen größere und stärkere eben so wenig. Die Maus unter den Tatzen der Katze, der Hase in den Klauen des Geiers, die Taube unter den Zähnen des Marders zittern ihrem gewissen Untergange entgegen. Man kann sie darin auch nicht häßlich nennen, denn der Kampf ist ungleich. -- Der Naturmacht gegenüber sollte der Mensch seine Freiheit
Mutter will dies die Kinder nicht laſſen; das eine, ein Säugling, umſchlingt die Bruſt; das andere hängt ſich an die Haare der Mutter; ſchon hat dieſe den Fuß auf den Felsrand geſetzt, allein die Laſt iſt zu groß, der Aſt wird gänzlich brechen — und alle werden ihr Grab gemeinſam finden; noch im Tode wird die Familie Eines ſein. Das Thier kann in ſolchen Situationen nur den Inſtinct der Selbſterhaltung ohne jede andere Rückſicht walten laſſen, wie ein neuerer Deutſcher Maler uns z. B. einen Waldbrand gemalt hat. Mit nimmerſattem Rachen verzehrt das Feuer Sträucher und Bäume und ſcheucht die Thiere aus ihren Lagern auf; in dichten Schaaren mit geſträubtem Haar, mit ſchreckentflammtem Blick, mit lechzender Zunge, ſtürzen ſie hervor und ſcheinen ihre ſonſtige Natur vergeſſen zu haben, indem Bär und Büffel, Panther und Reh, Wolf und Schaaf, neben einander im großen Knäuel eine von der all¬ gemeinen Gefahr erzwungene Friedfertigkeit athmen. Im Entſetzen dieſer fliehenden Beſtien malt ſich die Wuth des hölliſchen Elementes.
Thiere im Kampf mit einander können nur dann er¬ haben werden, wenn ſie groß ſind. Ein kleines Thier kann ſehr ſtark und muthig ſein, allein ſeine Kraft kann nicht den Schein ſich aus ſich ſelbſt erzeugender und ſich in ſich er¬ neuernder Unendlichkeit gewinnen. Ein Hahnenkampf iſt nichts Erhabenes. Der Gegenkampf kleinerer und ſchwächerer Thiere gegen größere und ſtärkere eben ſo wenig. Die Maus unter den Tatzen der Katze, der Haſe in den Klauen des Geiers, die Taube unter den Zähnen des Marders zittern ihrem gewiſſen Untergange entgegen. Man kann ſie darin auch nicht häßlich nennen, denn der Kampf iſt ungleich. — Der Naturmacht gegenüber ſollte der Menſch ſeine Freiheit
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0213"n="191"/>
Mutter will dies die Kinder nicht laſſen; das eine, ein<lb/>
Säugling, umſchlingt die Bruſt; das andere hängt ſich an<lb/>
die Haare der Mutter; ſchon hat dieſe den Fuß auf den<lb/>
Felsrand geſetzt, allein die Laſt iſt zu groß, der Aſt wird<lb/>
gänzlich brechen — und alle werden ihr Grab gemeinſam<lb/>
finden; noch im Tode wird die Familie Eines ſein. Das<lb/>
Thier kann in ſolchen Situationen nur den Inſtinct der<lb/>
Selbſterhaltung ohne jede andere Rückſicht walten laſſen,<lb/>
wie ein neuerer Deutſcher Maler uns z. B. einen Waldbrand<lb/>
gemalt hat. Mit nimmerſattem Rachen verzehrt das Feuer<lb/>
Sträucher und Bäume und ſcheucht die Thiere aus ihren<lb/>
Lagern auf; in dichten Schaaren mit geſträubtem Haar, mit<lb/>ſchreckentflammtem Blick, mit lechzender Zunge, ſtürzen ſie<lb/>
hervor und ſcheinen ihre ſonſtige Natur vergeſſen zu haben,<lb/>
indem Bär und Büffel, Panther und Reh, Wolf und<lb/>
Schaaf, neben einander im großen Knäuel eine von der all¬<lb/>
gemeinen Gefahr erzwungene Friedfertigkeit athmen. Im<lb/>
Entſetzen dieſer fliehenden Beſtien malt ſich die Wuth des<lb/>
hölliſchen Elementes.</p><lb/><p>Thiere im Kampf mit einander können nur dann er¬<lb/>
haben werden, wenn ſie groß ſind. Ein kleines Thier kann<lb/>ſehr ſtark und muthig ſein, allein ſeine Kraft kann nicht<lb/>
den Schein ſich aus ſich ſelbſt erzeugender und ſich in ſich er¬<lb/>
neuernder Unendlichkeit gewinnen. Ein Hahnenkampf iſt nichts<lb/>
Erhabenes. Der Gegenkampf kleinerer und ſchwächerer<lb/>
Thiere gegen größere und ſtärkere eben ſo wenig. Die Maus<lb/>
unter den Tatzen der Katze, der Haſe in den Klauen des<lb/>
Geiers, die Taube unter den Zähnen des Marders zittern<lb/>
ihrem gewiſſen Untergange entgegen. Man kann ſie darin<lb/>
auch nicht häßlich nennen, denn der Kampf iſt ungleich. —<lb/>
Der Naturmacht gegenüber ſollte der Menſch ſeine Freiheit<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[191/0213]
Mutter will dies die Kinder nicht laſſen; das eine, ein
Säugling, umſchlingt die Bruſt; das andere hängt ſich an
die Haare der Mutter; ſchon hat dieſe den Fuß auf den
Felsrand geſetzt, allein die Laſt iſt zu groß, der Aſt wird
gänzlich brechen — und alle werden ihr Grab gemeinſam
finden; noch im Tode wird die Familie Eines ſein. Das
Thier kann in ſolchen Situationen nur den Inſtinct der
Selbſterhaltung ohne jede andere Rückſicht walten laſſen,
wie ein neuerer Deutſcher Maler uns z. B. einen Waldbrand
gemalt hat. Mit nimmerſattem Rachen verzehrt das Feuer
Sträucher und Bäume und ſcheucht die Thiere aus ihren
Lagern auf; in dichten Schaaren mit geſträubtem Haar, mit
ſchreckentflammtem Blick, mit lechzender Zunge, ſtürzen ſie
hervor und ſcheinen ihre ſonſtige Natur vergeſſen zu haben,
indem Bär und Büffel, Panther und Reh, Wolf und
Schaaf, neben einander im großen Knäuel eine von der all¬
gemeinen Gefahr erzwungene Friedfertigkeit athmen. Im
Entſetzen dieſer fliehenden Beſtien malt ſich die Wuth des
hölliſchen Elementes.
Thiere im Kampf mit einander können nur dann er¬
haben werden, wenn ſie groß ſind. Ein kleines Thier kann
ſehr ſtark und muthig ſein, allein ſeine Kraft kann nicht
den Schein ſich aus ſich ſelbſt erzeugender und ſich in ſich er¬
neuernder Unendlichkeit gewinnen. Ein Hahnenkampf iſt nichts
Erhabenes. Der Gegenkampf kleinerer und ſchwächerer
Thiere gegen größere und ſtärkere eben ſo wenig. Die Maus
unter den Tatzen der Katze, der Haſe in den Klauen des
Geiers, die Taube unter den Zähnen des Marders zittern
ihrem gewiſſen Untergange entgegen. Man kann ſie darin
auch nicht häßlich nennen, denn der Kampf iſt ungleich. —
Der Naturmacht gegenüber ſollte der Menſch ſeine Freiheit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/213>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.