bewahren und ihr die Kraft seines Bewußtseins und seines Willens entgegensetzen. Unterliegt er ihr, indem er vor ihrer Gewalt erbangt, so erscheint er schwach. Ob aber diese Schwäche schon häßlich zu nennen sei, kommt auf die nähern Umstände, auf den Grad seiner Furcht und auf die Form an, in welcher er sie ausdrückt. Der Mensch, der das Raubthier mit einer Keule anzugreifen, der auf einem gehöhlten Baumstamm die unwirthliche Woge zu durchmessen den Muth hat, erhebt uns eben so sehr, als ein umgekehrtes Verhalten uns demüthigt. Der Feindseligkeit der elemen¬ tarischen Naturmacht gegenüber kann jedoch auch für den höchsten Heroismus aller Kampf vergeblich sein; dann bleibt der Freiheit, sich zu erhalten, nichts übrig, als im äußern Erliegen den unsterblichen, den ungebeugten Muth, innerlich zu bewahren.
Die Gesinnung, die auch im härtesten Leiden sich gleich bleibt, ist erhaben, wie die des Aeschyleischen Prome¬ theus, wie die des Calderon'schen standhaften Prinzen; die Schwäche, die sich zwingen läßt, ist häßlich, wofern sie nicht lächerlich wird. So im Allgemeinen ist dies wahr; im Besondern aber erzeugt die Geschichte eine unendliche Man¬ nigfaltigkeit von Verhältnissen, in denen der Zwang oft die süßesten, verführerischsten, ja von der Berufung auf heilige Pflichten unterstützten Formen annimmt. Hier, im Gebiet der moralischen Collisionen, werden Situationen möglich, wo die Schwäche durch persönliche Liebenswürdigkeit sich den Schein der Freiheit erhält, wo sie durch Sophistik selbst die Form der Kraft usurpiren kann, wie dies das bekannte Thema so vieler Romane ist. An der Liebenswürdigkeit solcher sentimentalen Helden hat der Künstler das Mittel, die Erscheinung des Häßlichen zu mildern, ja, es interessant
bewahren und ihr die Kraft ſeines Bewußtſeins und ſeines Willens entgegenſetzen. Unterliegt er ihr, indem er vor ihrer Gewalt erbangt, ſo erſcheint er ſchwach. Ob aber dieſe Schwäche ſchon häßlich zu nennen ſei, kommt auf die nähern Umſtände, auf den Grad ſeiner Furcht und auf die Form an, in welcher er ſie ausdrückt. Der Menſch, der das Raubthier mit einer Keule anzugreifen, der auf einem gehöhlten Baumſtamm die unwirthliche Woge zu durchmeſſen den Muth hat, erhebt uns eben ſo ſehr, als ein umgekehrtes Verhalten uns demüthigt. Der Feindſeligkeit der elemen¬ tariſchen Naturmacht gegenüber kann jedoch auch für den höchſten Heroismus aller Kampf vergeblich ſein; dann bleibt der Freiheit, ſich zu erhalten, nichts übrig, als im äußern Erliegen den unſterblichen, den ungebeugten Muth, innerlich zu bewahren.
Die Geſinnung, die auch im härteſten Leiden ſich gleich bleibt, iſt erhaben, wie die des Aeſchyleiſchen Prome¬ theus, wie die des Calderon'ſchen ſtandhaften Prinzen; die Schwäche, die ſich zwingen läßt, iſt häßlich, wofern ſie nicht lächerlich wird. So im Allgemeinen iſt dies wahr; im Beſondern aber erzeugt die Geſchichte eine unendliche Man¬ nigfaltigkeit von Verhältniſſen, in denen der Zwang oft die ſüßeſten, verführeriſchſten, ja von der Berufung auf heilige Pflichten unterſtützten Formen annimmt. Hier, im Gebiet der moraliſchen Colliſionen, werden Situationen möglich, wo die Schwäche durch perſönliche Liebenswürdigkeit ſich den Schein der Freiheit erhält, wo ſie durch Sophiſtik ſelbſt die Form der Kraft uſurpiren kann, wie dies das bekannte Thema ſo vieler Romane iſt. An der Liebenswürdigkeit ſolcher ſentimentalen Helden hat der Künſtler das Mittel, die Erſcheinung des Häßlichen zu mildern, ja, es intereſſant
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bewahren und ihr die Kraft ſeines Bewußtſeins und ſeines
Willens entgegenſetzen. Unterliegt er ihr, indem er vor
ihrer Gewalt erbangt, ſo erſcheint er ſchwach. Ob aber
dieſe Schwäche ſchon häßlich zu nennen ſei, kommt auf die
nähern Umſtände, auf den Grad ſeiner Furcht und auf die
Form an, in welcher er ſie ausdrückt. Der Menſch, der
das Raubthier mit einer Keule anzugreifen, der auf einem
gehöhlten Baumſtamm die unwirthliche Woge zu durchmeſſen
den Muth hat, erhebt uns eben ſo ſehr, als ein umgekehrtes
Verhalten uns demüthigt. Der Feindſeligkeit der elemen¬
tariſchen Naturmacht gegenüber kann jedoch auch für den
höchſten Heroismus aller Kampf vergeblich ſein; dann bleibt
der Freiheit, ſich zu erhalten, nichts übrig, als im äußern
Erliegen den unſterblichen, den ungebeugten Muth, innerlich
zu bewahren.
Die Geſinnung, die auch im härteſten Leiden ſich gleich
bleibt, iſt erhaben, wie die des Aeſchyleiſchen Prome¬
theus, wie die des Calderon'ſchen ſtandhaften Prinzen;
die Schwäche, die ſich zwingen läßt, iſt häßlich, wofern ſie
nicht lächerlich wird. So im Allgemeinen iſt dies wahr; im
Beſondern aber erzeugt die Geſchichte eine unendliche Man¬
nigfaltigkeit von Verhältniſſen, in denen der Zwang oft die
ſüßeſten, verführeriſchſten, ja von der Berufung auf heilige
Pflichten unterſtützten Formen annimmt. Hier, im Gebiet
der moraliſchen Colliſionen, werden Situationen möglich,
wo die Schwäche durch perſönliche Liebenswürdigkeit ſich den
Schein der Freiheit erhält, wo ſie durch Sophiſtik ſelbſt die
Form der Kraft uſurpiren kann, wie dies das bekannte
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/214>, abgerufen am 24.11.2024.
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