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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Sinn nicht als moralische existirt, wird von der alten
Tragödie doch anerkannt, wie die bekannten Sophokleischen
Verse so unübertrefflich ausdrücken:

all ei men oun tad' en theois kala,
pathontes an xuggnoimen emastekotes.

Für die Komik ist natürlich der Zufall nicht weniger
als die Willkür der absolute Hebel, weil sie allein auch
wieder die Häßlichkeit des schlechten Zufalls und der schlechten
Willkür durch subjective Maaßlosigkeit zu parodiren im Stande
sind. Es ist das Bizarre und Barocke, das Groteske
und Burleske, worin sich das Zufällige und Willkürliche
vom Häßlichen zur Verklärung des Komischen emporhebt.
Keine dieser Formen ist schön im Sinne des Ideals; in
jeder existirt eine gewisse Häßlichkeit, aber in jeder auch die
Möglichkeit, in die heiterste Komik überzugehen.

Das Bizarre ist der Eigensinn der Laune. Das Wort
kommt vom Italienischen bizza her, welches Zorn, auch
Bosheit bedeutet. Weil die Bosheit etwas Singuläres ist,
so ist es dann auch auf das Absonderliche, Seltsame über¬
tragen worden, in dessen Hervorbringen die Laune sich ge¬
fällt. Bedenkt man, daß das Schöne auf die Darstellung
des Ideals geht, so kann man nicht erwarten, daß das
Bizarre schön sei. Eher tendirt es in's Komische, ist jedoch
durch seinen zu aparten Inhalt selten rein lächerlich. Die
Bizarrerie übertreibt das Individualisiren so, daß es häßlich
erscheint oder wenigstens an das Häßliche streift. Es ver¬
bindet in seiner Laune, was man zu trennen, es trennt,
was man zu verbinden pflegt. Der Englische Spleen ist
reich an bizarren Einfällen. Schwangere Frauen, in der
Entwicklung begriffene Mädchen haben öfter bizarre Gelüste,
z. B. Tabacksasche zu genießen. Hypochonder quälen sich

Sinn nicht als moraliſche exiſtirt, wird von der alten
Tragödie doch anerkannt, wie die bekannten Sophokleiſchen
Verſe ſo unübertrefflich ausdrücken:

ἀλλ ἐι μεν ὀυν ταδ᾽ ἐν ϑεοις ϰαλα,
παϑοντες ἀν ξυγγνοιμεν ἠμαστηϰοτες.

Für die Komik iſt natürlich der Zufall nicht weniger
als die Willkür der abſolute Hebel, weil ſie allein auch
wieder die Häßlichkeit des ſchlechten Zufalls und der ſchlechten
Willkür durch ſubjective Maaßloſigkeit zu parodiren im Stande
ſind. Es iſt das Bizarre und Barocke, das Groteske
und Burleske, worin ſich das Zufällige und Willkürliche
vom Häßlichen zur Verklärung des Komiſchen emporhebt.
Keine dieſer Formen iſt ſchön im Sinne des Ideals; in
jeder exiſtirt eine gewiſſe Häßlichkeit, aber in jeder auch die
Möglichkeit, in die heiterſte Komik überzugehen.

Das Bizarre iſt der Eigenſinn der Laune. Das Wort
kommt vom Italieniſchen bizza her, welches Zorn, auch
Bosheit bedeutet. Weil die Bosheit etwas Singuläres iſt,
ſo iſt es dann auch auf das Abſonderliche, Seltſame über¬
tragen worden, in deſſen Hervorbringen die Laune ſich ge¬
fällt. Bedenkt man, daß das Schöne auf die Darſtellung
des Ideals geht, ſo kann man nicht erwarten, daß das
Bizarre ſchön ſei. Eher tendirt es in's Komiſche, iſt jedoch
durch ſeinen zu aparten Inhalt ſelten rein lächerlich. Die
Bizarrerie übertreibt das Individualiſiren ſo, daß es häßlich
erſcheint oder wenigſtens an das Häßliche ſtreift. Es ver¬
bindet in ſeiner Laune, was man zu trennen, es trennt,
was man zu verbinden pflegt. Der Engliſche Spleen iſt
reich an bizarren Einfällen. Schwangere Frauen, in der
Entwicklung begriffene Mädchen haben öfter bizarre Gelüſte,
z. B. Tabacksaſche zu genießen. Hypochonder quälen ſich

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[217/0239] Sinn nicht als moraliſche exiſtirt, wird von der alten Tragödie doch anerkannt, wie die bekannten Sophokleiſchen Verſe ſo unübertrefflich ausdrücken: ἀλλ ἐι μεν ὀυν ταδ᾽ ἐν ϑεοις ϰαλα, παϑοντες ἀν ξυγγνοιμεν ἠμαστηϰοτες. Für die Komik iſt natürlich der Zufall nicht weniger als die Willkür der abſolute Hebel, weil ſie allein auch wieder die Häßlichkeit des ſchlechten Zufalls und der ſchlechten Willkür durch ſubjective Maaßloſigkeit zu parodiren im Stande ſind. Es iſt das Bizarre und Barocke, das Groteske und Burleske, worin ſich das Zufällige und Willkürliche vom Häßlichen zur Verklärung des Komiſchen emporhebt. Keine dieſer Formen iſt ſchön im Sinne des Ideals; in jeder exiſtirt eine gewiſſe Häßlichkeit, aber in jeder auch die Möglichkeit, in die heiterſte Komik überzugehen. Das Bizarre iſt der Eigenſinn der Laune. Das Wort kommt vom Italieniſchen bizza her, welches Zorn, auch Bosheit bedeutet. Weil die Bosheit etwas Singuläres iſt, ſo iſt es dann auch auf das Abſonderliche, Seltſame über¬ tragen worden, in deſſen Hervorbringen die Laune ſich ge¬ fällt. Bedenkt man, daß das Schöne auf die Darſtellung des Ideals geht, ſo kann man nicht erwarten, daß das Bizarre ſchön ſei. Eher tendirt es in's Komiſche, iſt jedoch durch ſeinen zu aparten Inhalt ſelten rein lächerlich. Die Bizarrerie übertreibt das Individualiſiren ſo, daß es häßlich erſcheint oder wenigſtens an das Häßliche ſtreift. Es ver¬ bindet in ſeiner Laune, was man zu trennen, es trennt, was man zu verbinden pflegt. Der Engliſche Spleen iſt reich an bizarren Einfällen. Schwangere Frauen, in der Entwicklung begriffene Mädchen haben öfter bizarre Gelüſte, z. B. Tabacksaſche zu genießen. Hypochonder quälen ſich

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/239>, abgerufen am 22.05.2024.