nur seine burleske Grazie kann ermöglichen, daß dieser Wider¬ spruch nicht ein unerträglich häßlicher werde. Oder man vergegenwärtige sich jenes Vaudeville, in welchem ein alter Rentier der Fanny Elsler nachreist, und im Gasthof, als er Morgens Toilette macht, von der Vorstellung ihrer Nähe bezaubert, in selige Erinnerung verloren, mit der Barbier¬ serviette um den Hals und dem Rasirmesser in der Hand der liebenswürdigen Tänzerin ihre anmuthig verführerische Cachucha auf das Scheußlichste aber Lächerlichste nachtanzt.
Dergleichen ist burlesk. Wenn wir uns mit diesen Veranschaulichungen in das dramatische Gebiet verloren haben, so müssen wir bemerken, daß dies nur geschehen ist, weil dasselbe das Maximum der burlesken Energie möglich macht, keineswegs jedoch, als ob nicht andern Kunstgattungen das Burleske eben so wohl möglich wäre. Die Poesie besitzt sogar gewisse stereotype Mittel, das Burleske zu erzeugen, wie im gezwungenen Reime, in der Sprachmischerei, im Jargon, wovon oben schon bei einer andern Gelegenheit gehandelt worden (45). Worin liegt hier das ästhetisch Er¬ laubte? Offenbar darin, daß in dem, was wir an sich als häßlich verurtheilen müßten, die Freiheit als ein heiteres Spiel sich geltend macht und durch die bewußte Maa߬ losigkeit der Willkür das Häßliche ins Lächerliche verklärt. Einen unrichtigen Reim wird z. B. Niemand schön finden. Ein gezwungener Reim verzerrt ein Wort, um es zum richtigen Reim zu machen. Diese Mißhandlung der Sprache ist auch nicht schön; weil sie aber aus der Freiheit entspringt, welche die Sprache selber geschaffen hat und aus welcher heraus das Wort auch so heißen könnte, so müssen wir lachen. Dasselbe ist der Fall mit den Fischart'schen und ähnlichen Wortungeheuern. Wenn eine bekannte Parodie
nur ſeine burleske Grazie kann ermöglichen, daß dieſer Wider¬ ſpruch nicht ein unerträglich häßlicher werde. Oder man vergegenwärtige ſich jenes Vaudeville, in welchem ein alter Rentier der Fanny Elsler nachreiſt, und im Gaſthof, als er Morgens Toilette macht, von der Vorſtellung ihrer Nähe bezaubert, in ſelige Erinnerung verloren, mit der Barbier¬ ſerviette um den Hals und dem Raſirmeſſer in der Hand der liebenswürdigen Tänzerin ihre anmuthig verführeriſche Cachucha auf das Scheußlichſte aber Lächerlichſte nachtanzt.
Dergleichen iſt burlesk. Wenn wir uns mit dieſen Veranſchaulichungen in das dramatiſche Gebiet verloren haben, ſo müſſen wir bemerken, daß dies nur geſchehen iſt, weil daſſelbe das Maximum der burlesken Energie möglich macht, keineswegs jedoch, als ob nicht andern Kunſtgattungen das Burleske eben ſo wohl möglich wäre. Die Poeſie beſitzt ſogar gewiſſe ſtereotype Mittel, das Burleske zu erzeugen, wie im gezwungenen Reime, in der Sprachmiſcherei, im Jargon, wovon oben ſchon bei einer andern Gelegenheit gehandelt worden (45). Worin liegt hier das äſthetiſch Er¬ laubte? Offenbar darin, daß in dem, was wir an ſich als häßlich verurtheilen müßten, die Freiheit als ein heiteres Spiel ſich geltend macht und durch die bewußte Maa߬ loſigkeit der Willkür das Häßliche ins Lächerliche verklärt. Einen unrichtigen Reim wird z. B. Niemand ſchön finden. Ein gezwungener Reim verzerrt ein Wort, um es zum richtigen Reim zu machen. Dieſe Mißhandlung der Sprache iſt auch nicht ſchön; weil ſie aber aus der Freiheit entſpringt, welche die Sprache ſelber geſchaffen hat und aus welcher heraus das Wort auch ſo heißen könnte, ſo müſſen wir lachen. Daſſelbe iſt der Fall mit den Fiſchart'ſchen und ähnlichen Wortungeheuern. Wenn eine bekannte Parodie
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0246"n="224"/>
nur ſeine burleske Grazie kann ermöglichen, daß dieſer Wider¬<lb/>ſpruch nicht ein unerträglich häßlicher werde. Oder man<lb/>
vergegenwärtige ſich jenes Vaudeville, in welchem ein alter<lb/>
Rentier der Fanny Elsler nachreiſt, und im Gaſthof, als er<lb/>
Morgens Toilette macht, von der Vorſtellung ihrer Nähe<lb/>
bezaubert, in ſelige Erinnerung verloren, mit der Barbier¬<lb/>ſerviette um den Hals und dem Raſirmeſſer in der Hand<lb/>
der liebenswürdigen Tänzerin ihre anmuthig verführeriſche<lb/>
Cachucha auf das Scheußlichſte aber Lächerlichſte nachtanzt.</p><lb/><p>Dergleichen iſt burlesk. Wenn wir uns mit dieſen<lb/>
Veranſchaulichungen in das dramatiſche Gebiet verloren haben,<lb/>ſo müſſen wir bemerken, daß dies nur geſchehen iſt, weil<lb/>
daſſelbe das Maximum der burlesken Energie möglich macht,<lb/>
keineswegs jedoch, als ob nicht andern Kunſtgattungen das<lb/>
Burleske eben ſo wohl möglich wäre. Die Poeſie beſitzt<lb/>ſogar gewiſſe ſtereotype Mittel, das Burleske zu erzeugen,<lb/>
wie im <hirendition="#g">gezwungenen Reime</hi>, in der Sprachmiſcherei,<lb/>
im Jargon, wovon oben ſchon bei einer andern Gelegenheit<lb/>
gehandelt worden (45). Worin liegt hier das äſthetiſch Er¬<lb/>
laubte? Offenbar darin, daß in dem, was wir an ſich als<lb/>
häßlich verurtheilen müßten, die Freiheit als ein heiteres<lb/>
Spiel ſich geltend macht und durch die bewußte Maa߬<lb/>
loſigkeit der Willkür das Häßliche ins Lächerliche verklärt.<lb/>
Einen unrichtigen Reim wird z. B. Niemand ſchön finden.<lb/>
Ein gezwungener Reim verzerrt ein Wort, um es zum<lb/>
richtigen Reim zu machen. Dieſe Mißhandlung der Sprache<lb/>
iſt auch nicht ſchön; weil ſie aber aus der Freiheit entſpringt,<lb/>
welche die Sprache ſelber geſchaffen hat und aus welcher<lb/>
heraus das Wort auch ſo heißen könnte, ſo müſſen wir<lb/>
lachen. Daſſelbe iſt der Fall mit den <hirendition="#g">Fiſchart'ſchen</hi> und<lb/>
ähnlichen Wortungeheuern. Wenn eine bekannte Parodie<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[224/0246]
nur ſeine burleske Grazie kann ermöglichen, daß dieſer Wider¬
ſpruch nicht ein unerträglich häßlicher werde. Oder man
vergegenwärtige ſich jenes Vaudeville, in welchem ein alter
Rentier der Fanny Elsler nachreiſt, und im Gaſthof, als er
Morgens Toilette macht, von der Vorſtellung ihrer Nähe
bezaubert, in ſelige Erinnerung verloren, mit der Barbier¬
ſerviette um den Hals und dem Raſirmeſſer in der Hand
der liebenswürdigen Tänzerin ihre anmuthig verführeriſche
Cachucha auf das Scheußlichſte aber Lächerlichſte nachtanzt.
Dergleichen iſt burlesk. Wenn wir uns mit dieſen
Veranſchaulichungen in das dramatiſche Gebiet verloren haben,
ſo müſſen wir bemerken, daß dies nur geſchehen iſt, weil
daſſelbe das Maximum der burlesken Energie möglich macht,
keineswegs jedoch, als ob nicht andern Kunſtgattungen das
Burleske eben ſo wohl möglich wäre. Die Poeſie beſitzt
ſogar gewiſſe ſtereotype Mittel, das Burleske zu erzeugen,
wie im gezwungenen Reime, in der Sprachmiſcherei,
im Jargon, wovon oben ſchon bei einer andern Gelegenheit
gehandelt worden (45). Worin liegt hier das äſthetiſch Er¬
laubte? Offenbar darin, daß in dem, was wir an ſich als
häßlich verurtheilen müßten, die Freiheit als ein heiteres
Spiel ſich geltend macht und durch die bewußte Maa߬
loſigkeit der Willkür das Häßliche ins Lächerliche verklärt.
Einen unrichtigen Reim wird z. B. Niemand ſchön finden.
Ein gezwungener Reim verzerrt ein Wort, um es zum
richtigen Reim zu machen. Dieſe Mißhandlung der Sprache
iſt auch nicht ſchön; weil ſie aber aus der Freiheit entſpringt,
welche die Sprache ſelber geſchaffen hat und aus welcher
heraus das Wort auch ſo heißen könnte, ſo müſſen wir
lachen. Daſſelbe iſt der Fall mit den Fiſchart'ſchen und
ähnlichen Wortungeheuern. Wenn eine bekannte Parodie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/246>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.