Große Herzenskündiger haben sich in die schauerlichen Abgründe des Bösen vertieft und die furchtbaren Gestalten geschildert, die ihnen aus ihrer Nacht entgegengetreten sind. Große Dichter, wie Dante, haben diese Gestalten weiter ausgezeichnet; Maler, wie Orcagna, Michel Angelo, Rubens, Cornelius, haben sie uns in sinnlicher Gegen¬ wärtigkeit dargestellt und Musiker, wie Spohr, haben uns die gräßlichen Töne der Verdammniß vernehmen lassen, in welchen der Böse die Zerrissenheit seines Geistes auskreischt und ausheult.
Die Hölle ist nicht blos eine religiös-ethische, sie ist auch eine ästhetische. Wir stehen inmitten des Bösen und des Uebels, aber auch inmitten des Häßlichen. Die Schrek¬ ken der Unform und der Mißform, der Gemeinheit und Scheußlichkeit, umringen uns in zahllosen Gestalten von pygmäenhaften Anfängen bis zu jenen riesigen Verzerrungen, aus denen die infernale Bosheit zähnefletschend uns an¬ grins't. In diese Hölle des Schönen wollen wir hier nie¬ dersteigen. Es ist unmöglich, ohne zugleich in die Hölle des Bösen, in die wirkliche Hölle, sich einzulassen, denn das
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Große Herzenskündiger haben ſich in die ſchauerlichen Abgründe des Böſen vertieft und die furchtbaren Geſtalten geſchildert, die ihnen aus ihrer Nacht entgegengetreten ſind. Große Dichter, wie Dante, haben dieſe Geſtalten weiter ausgezeichnet; Maler, wie Orcagna, Michel Angelo, Rubens, Cornelius, haben ſie uns in ſinnlicher Gegen¬ wärtigkeit dargeſtellt und Muſiker, wie Spohr, haben uns die gräßlichen Töne der Verdammniß vernehmen laſſen, in welchen der Böſe die Zerriſſenheit ſeines Geiſtes auskreiſcht und ausheult.
Die Hölle iſt nicht blos eine religiös-ethiſche, ſie iſt auch eine äſthetiſche. Wir ſtehen inmitten des Böſen und des Uebels, aber auch inmitten des Häßlichen. Die Schrek¬ ken der Unform und der Mißform, der Gemeinheit und Scheußlichkeit, umringen uns in zahlloſen Geſtalten von pygmäenhaften Anfängen bis zu jenen rieſigen Verzerrungen, aus denen die infernale Bosheit zähnefletſchend uns an¬ grinſ't. In dieſe Hölle des Schönen wollen wir hier nie¬ derſteigen. Es iſt unmöglich, ohne zugleich in die Hölle des Böſen, in die wirkliche Hölle, ſich einzulaſſen, denn das
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Große Herzenskündiger haben ſich in die ſchauerlichen
Abgründe des Böſen vertieft und die furchtbaren Geſtalten
geſchildert, die ihnen aus ihrer Nacht entgegengetreten ſind.
Große Dichter, wie Dante, haben dieſe Geſtalten weiter
ausgezeichnet; Maler, wie Orcagna, Michel Angelo,
Rubens, Cornelius, haben ſie uns in ſinnlicher Gegen¬
wärtigkeit dargeſtellt und Muſiker, wie Spohr, haben uns
die gräßlichen Töne der Verdammniß vernehmen laſſen, in
welchen der Böſe die Zerriſſenheit ſeines Geiſtes auskreiſcht
und ausheult.
Die Hölle iſt nicht blos eine religiös-ethiſche, ſie iſt
auch eine äſthetiſche. Wir ſtehen inmitten des Böſen und
des Uebels, aber auch inmitten des Häßlichen. Die Schrek¬
ken der Unform und der Mißform, der Gemeinheit und
Scheußlichkeit, umringen uns in zahlloſen Geſtalten von
pygmäenhaften Anfängen bis zu jenen rieſigen Verzerrungen,
aus denen die infernale Bosheit zähnefletſchend uns an¬
grinſ't. In dieſe Hölle des Schönen wollen wir hier nie¬
derſteigen. Es iſt unmöglich, ohne zugleich in die Hölle des
Böſen, in die wirkliche Hölle, ſich einzulaſſen, denn das
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/25>, abgerufen am 03.02.2025.
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