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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Obscöne dadurch, daß sie es größtentheils halbmenschlich ge¬
stalteten Wesen beilegten, wie den Satyrn und den Faunen.
Geriren solche Individuen, die sich unterhalb mit Bocks¬
füßen präsentiren, dann auch böckisch, so darf uns das billig
nicht Wunder nehmen. Mehre Pompejanische Bilder zeigen
uns Satyrn, wie sie im Wald eine Nymphe beschleichen, die
sich in aller Pracht ihrer schneeigen Glieder auf den moosigen
Pfühl hingebettet hat. Die Schöne stellt sich gewöhnlich in
einer halben Rückenlage dar und ist öfter mit einem Schleier
bedeckt gewesen, den der genußlüsterne Satyr aufhebt. Mit
vor Wollust schauernden Gliedern, in die Erstarrung des
Sinnenrauschs verloren, steht hier die ins Thierische fallende
Häßlichkeit vor der halbschlummernden Schönheit. Wie
ganz anders schauen diese üppigen, obscöndecenten Bilder
sich an, als jene erotischen Scenen aus den cubiculis Veneris
der Pompejanischen Häuser, wo Liebende in mannigfachen
Stellungen dem Werk der Natur obliegen und gewöhnlich
ein Sclav dabeisteht, der den Aphrodisischen Trank gereicht
hat und dessen Gegenwart erst recht lebhaft die Empfindung
des Obscönen hervorbringt. Ekelhaft!

Um das Obscöne zu mildern, wendet der Geist die
List der Zweideutigkeit an, d. h. der mehr oder weniger
verdeckten und versteckten Anspielung auf unvermeidliche cynische
Verrichtungen oder auf die geschlechtlichen Verhältnisse des
Menschen. Die Zweideutigkeit ist ein indirectes Anschauen
dessen, was uns Scham einflößt. Sie entspringt offenbar
selber aus dieser Scham, indem sie ihr zugleich durch das
Eingehen auf die Geschlechtsverhältnisse widerspricht, verhüllt
aber diese Unschamhaftigkeit durch Formen, die zunächst einen
andern Sinn einzuschließen scheinen, sich jedoch leicht in eine
andere Version übersetzen lassen. Das Spiel der Phantasie

Obscöne dadurch, daß ſie es größtentheils halbmenſchlich ge¬
ſtalteten Weſen beilegten, wie den Satyrn und den Faunen.
Geriren ſolche Individuen, die ſich unterhalb mit Bocks¬
füßen präſentiren, dann auch böckiſch, ſo darf uns das billig
nicht Wunder nehmen. Mehre Pompejaniſche Bilder zeigen
uns Satyrn, wie ſie im Wald eine Nymphe beſchleichen, die
ſich in aller Pracht ihrer ſchneeigen Glieder auf den mooſigen
Pfühl hingebettet hat. Die Schöne ſtellt ſich gewöhnlich in
einer halben Rückenlage dar und iſt öfter mit einem Schleier
bedeckt geweſen, den der genußlüſterne Satyr aufhebt. Mit
vor Wolluſt ſchauernden Gliedern, in die Erſtarrung des
Sinnenrauſchs verloren, ſteht hier die ins Thieriſche fallende
Häßlichkeit vor der halbſchlummernden Schönheit. Wie
ganz anders ſchauen dieſe üppigen, obscöndecenten Bilder
ſich an, als jene erotiſchen Scenen aus den cubiculis Veneris
der Pompejaniſchen Häuſer, wo Liebende in mannigfachen
Stellungen dem Werk der Natur obliegen und gewöhnlich
ein Sclav dabeiſteht, der den Aphrodiſiſchen Trank gereicht
hat und deſſen Gegenwart erſt recht lebhaft die Empfindung
des Obscönen hervorbringt. Ekelhaft!

Um das Obscöne zu mildern, wendet der Geiſt die
Liſt der Zweideutigkeit an, d. h. der mehr oder weniger
verdeckten und verſteckten Anſpielung auf unvermeidliche cyniſche
Verrichtungen oder auf die geſchlechtlichen Verhältniſſe des
Menſchen. Die Zweideutigkeit iſt ein indirectes Anſchauen
deſſen, was uns Scham einflößt. Sie entſpringt offenbar
ſelber aus dieſer Scham, indem ſie ihr zugleich durch das
Eingehen auf die Geſchlechtsverhältniſſe widerſpricht, verhüllt
aber dieſe Unſchamhaftigkeit durch Formen, die zunächſt einen
andern Sinn einzuſchließen ſcheinen, ſich jedoch leicht in eine
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[239/0261] Obscöne dadurch, daß ſie es größtentheils halbmenſchlich ge¬ ſtalteten Weſen beilegten, wie den Satyrn und den Faunen. Geriren ſolche Individuen, die ſich unterhalb mit Bocks¬ füßen präſentiren, dann auch böckiſch, ſo darf uns das billig nicht Wunder nehmen. Mehre Pompejaniſche Bilder zeigen uns Satyrn, wie ſie im Wald eine Nymphe beſchleichen, die ſich in aller Pracht ihrer ſchneeigen Glieder auf den mooſigen Pfühl hingebettet hat. Die Schöne ſtellt ſich gewöhnlich in einer halben Rückenlage dar und iſt öfter mit einem Schleier bedeckt geweſen, den der genußlüſterne Satyr aufhebt. Mit vor Wolluſt ſchauernden Gliedern, in die Erſtarrung des Sinnenrauſchs verloren, ſteht hier die ins Thieriſche fallende Häßlichkeit vor der halbſchlummernden Schönheit. Wie ganz anders ſchauen dieſe üppigen, obscöndecenten Bilder ſich an, als jene erotiſchen Scenen aus den cubiculis Veneris der Pompejaniſchen Häuſer, wo Liebende in mannigfachen Stellungen dem Werk der Natur obliegen und gewöhnlich ein Sclav dabeiſteht, der den Aphrodiſiſchen Trank gereicht hat und deſſen Gegenwart erſt recht lebhaft die Empfindung des Obscönen hervorbringt. Ekelhaft! Um das Obscöne zu mildern, wendet der Geiſt die Liſt der Zweideutigkeit an, d. h. der mehr oder weniger verdeckten und verſteckten Anſpielung auf unvermeidliche cyniſche Verrichtungen oder auf die geſchlechtlichen Verhältniſſe des Menſchen. Die Zweideutigkeit iſt ein indirectes Anſchauen deſſen, was uns Scham einflößt. Sie entſpringt offenbar ſelber aus dieſer Scham, indem ſie ihr zugleich durch das Eingehen auf die Geſchlechtsverhältniſſe widerſpricht, verhüllt aber dieſe Unſchamhaftigkeit durch Formen, die zunächſt einen andern Sinn einzuſchließen ſcheinen, ſich jedoch leicht in eine andere Verſion überſetzen laſſen. Das Spiel der Phantaſie

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/261>, abgerufen am 22.11.2024.