kehren; Schimpfworte, Mißhandlungen, Prügel, Hunger warten ihrer dann in der entsetzlichsten Grausamkeit. -- Die feinere Form der Brutalität, der psychologische Zwang, hat wohl nirgends eine tiefere Durchbildung, als in dem Calderon'schen Drama erhalten, dessen Dialektik von Glaube, Liebe und Ehre die unerhörtesten Peinigungen auch an Andern hervorruft, denn die Qual, die Jemand sich selbst zufügt, kann man nicht Brutalität nennen, bestände sie auch, wie bei Origenes, in Selbstcastration, wie bei Suso, im Tragen eines Stachelgürtels, im Schlafen auf einem hölzernen Kreuz u. s. w. Die große Phantasie des Spanischen Dichters und das religiöskatholische Interesse, das sich mit ihm verbindet, haben in seiner Betrachtung allerdings die Anerkennung, ja auch nur die Bemerklich¬ machung des brutalen Elementes sehr zurückgedrängt. In¬ dessen besitzen wir auch eine Arbeit, die sich mit vieler Gründlichkeit der Mühe unterzogen hat, an den berühmtesten Dramen Calderons die empörende Unmenschlichkeit nachzu¬ weisen, in welche die Dialektik von Glaube, Ehre und Liebe ausartet. Wir meinen Julian Schmidt in seiner Geschichte der Romantik im Zeitalter der Reformation und der Re¬ volution, 1848, Bd. I., S. 244 -- 302. Nur aus dem Schluß dieser scharfsinnigen Entwicklung wollen wir hier dasjenige anziehen, was S. 290 -- 91. sich auf unser Thema bezieht. Julian Schmidt (54) sagt: "Hinter dieser Mytho¬ logie der Ehre, des Glaubens und der Liebe, diesen blüthen¬ reichen Träumen der Phantasie, verbirgt sich eine kalt be¬ rechnende, abstracte Selbstsucht. -- Der äußerliche Gottes¬ dienst läßt alle Naturkräfte frei, und der düstere Reiz des Aberglaubens verkehrt das Leben in einen wüsten Tummel¬ platz böser Geister. Wer in Calderon die üppig schaffende
kehren; Schimpfworte, Mißhandlungen, Prügel, Hunger warten ihrer dann in der entſetzlichſten Grauſamkeit. — Die feinere Form der Brutalität, der pſychologiſche Zwang, hat wohl nirgends eine tiefere Durchbildung, als in dem Calderon'ſchen Drama erhalten, deſſen Dialektik von Glaube, Liebe und Ehre die unerhörteſten Peinigungen auch an Andern hervorruft, denn die Qual, die Jemand ſich ſelbſt zufügt, kann man nicht Brutalität nennen, beſtände ſie auch, wie bei Origenes, in Selbſtcaſtration, wie bei Suſo, im Tragen eines Stachelgürtels, im Schlafen auf einem hölzernen Kreuz u. ſ. w. Die große Phantaſie des Spaniſchen Dichters und das religiöskatholiſche Intereſſe, das ſich mit ihm verbindet, haben in ſeiner Betrachtung allerdings die Anerkennung, ja auch nur die Bemerklich¬ machung des brutalen Elementes ſehr zurückgedrängt. In¬ deſſen beſitzen wir auch eine Arbeit, die ſich mit vieler Gründlichkeit der Mühe unterzogen hat, an den berühmteſten Dramen Calderons die empörende Unmenſchlichkeit nachzu¬ weiſen, in welche die Dialektik von Glaube, Ehre und Liebe ausartet. Wir meinen Julian Schmidt in ſeiner Geſchichte der Romantik im Zeitalter der Reformation und der Re¬ volution, 1848, Bd. I., S. 244 — 302. Nur aus dem Schluß dieſer ſcharfſinnigen Entwicklung wollen wir hier dasjenige anziehen, was S. 290 — 91. ſich auf unſer Thema bezieht. Julian Schmidt (54) ſagt: „Hinter dieſer Mytho¬ logie der Ehre, des Glaubens und der Liebe, dieſen blüthen¬ reichen Träumen der Phantaſie, verbirgt ſich eine kalt be¬ rechnende, abſtracte Selbſtſucht. — Der äußerliche Gottes¬ dienſt läßt alle Naturkräfte frei, und der düſtere Reiz des Aberglaubens verkehrt das Leben in einen wüſten Tummel¬ platz böſer Geiſter. Wer in Calderon die üppig ſchaffende
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kehren; Schimpfworte, Mißhandlungen, Prügel, Hunger
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feinere Form der Brutalität, der pſychologiſche Zwang, hat
wohl nirgends eine tiefere Durchbildung, als in dem
Calderon'ſchen Drama erhalten, deſſen Dialektik von
Glaube, Liebe und Ehre die unerhörteſten Peinigungen auch
an Andern hervorruft, denn die Qual, die Jemand ſich
ſelbſt zufügt, kann man nicht Brutalität nennen, beſtände
ſie auch, wie bei Origenes, in Selbſtcaſtration, wie bei
Suſo, im Tragen eines Stachelgürtels, im Schlafen auf
einem hölzernen Kreuz u. ſ. w. Die große Phantaſie des
Spaniſchen Dichters und das religiöskatholiſche Intereſſe,
das ſich mit ihm verbindet, haben in ſeiner Betrachtung
allerdings die Anerkennung, ja auch nur die Bemerklich¬
machung des brutalen Elementes ſehr zurückgedrängt. In¬
deſſen beſitzen wir auch eine Arbeit, die ſich mit vieler
Gründlichkeit der Mühe unterzogen hat, an den berühmteſten
Dramen Calderons die empörende Unmenſchlichkeit nachzu¬
weiſen, in welche die Dialektik von Glaube, Ehre und Liebe
ausartet. Wir meinen Julian Schmidt in ſeiner Geſchichte
der Romantik im Zeitalter der Reformation und der Re¬
volution, 1848, Bd. I., S. 244 — 302. Nur aus dem
Schluß dieſer ſcharfſinnigen Entwicklung wollen wir hier
dasjenige anziehen, was S. 290 — 91. ſich auf unſer Thema
bezieht. Julian Schmidt (54) ſagt: „Hinter dieſer Mytho¬
logie der Ehre, des Glaubens und der Liebe, dieſen blüthen¬
reichen Träumen der Phantaſie, verbirgt ſich eine kalt be¬
rechnende, abſtracte Selbſtſucht. — Der äußerliche Gottes¬
dienſt läßt alle Naturkräfte frei, und der düſtere Reiz des
Aberglaubens verkehrt das Leben in einen wüſten Tummel¬
platz böſer Geiſter. Wer in Calderon die üppig ſchaffende
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/273>, abgerufen am 22.11.2024.
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