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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Phantasie bewundert, vergesse nicht, daß in dieser Phantasie
das Wort des Geheimnisses sich verbirgt, das Spaniens
Verderben überdeckt. Diese blüthenreiche Sprache feierte
mit derselben Pracht die Glaubenshandlungen der Inqui¬
sition, sie übertönte mit ihrem süßen Geflüster das Geheul
der Ketzer in den Flammen, sie breitete sich wie der Duft
eines Arabischen Weihrauchs verhüllend über die unwürdige
Opferstätte des Fanatismus. -- Das Wesen des Fanatismus
ist, sich an eine Abstraction zu veräußern, die sich als abso¬
lute Negativität gegen alles Concrete richtet. So ist das
Leben im vollsten Sinne des Wortes ein Traum, geträumt
von einem abstracten Wesen. Die Wirklichkeit ist dem Augen¬
blick anheimgegeben, weil sie von dem Absoluten nicht aner¬
kannt wird. Dafür wird sie von ihm auch nicht einge¬
schränkt; sie kennt kein Maaß. Die Natur bricht in der
Gluth der Leidenschaft, gedankenlos und ohne Zügel, brau¬
send aus dem dunkeln Quell des unheiligen Gemüths, und
zerstört heute, was sie gestern geliebt. Es ist Nichts fest,
als das Jenseits. In allen Formen spielt diese Leidenschaft,
diese auf sich concentrirte, von der Heiligkeit der Abstraction
nicht gebrochene Subjectivität; der Einzelne ist im Haß
wie in der Liebe, im Edelmuth wie in der Bosheit schranken¬
los; die Gluth des Lebens, von keiner Substantialität ge¬
nährt, flammt mit desto unbändigerer Gewalt im Innersten
des Menschen. Die Rechtfertigung des Menschen ist, daß
er von sich und der Wirklichkeit abstrahirt: hat er den Kelch
der irdischen Lust bis auf die Neige geleert, so schwingt er
sich auf den Flügeln der Abstraction durch ein Wunder in
die Seligkeit des Himmels. -- Da die erlösende Wirkung
dieser blinden Kraft auf äußerliche Weise eintritt, ohne innere
Entzweiung, so geht der Mensch in seiner nackten natürlichen

Phantaſie bewundert, vergeſſe nicht, daß in dieſer Phantaſie
das Wort des Geheimniſſes ſich verbirgt, das Spaniens
Verderben überdeckt. Dieſe blüthenreiche Sprache feierte
mit derſelben Pracht die Glaubenshandlungen der Inqui¬
ſition, ſie übertönte mit ihrem ſüßen Geflüſter das Geheul
der Ketzer in den Flammen, ſie breitete ſich wie der Duft
eines Arabiſchen Weihrauchs verhüllend über die unwürdige
Opferſtätte des Fanatismus. — Das Weſen des Fanatismus
iſt, ſich an eine Abſtraction zu veräußern, die ſich als abſo¬
lute Negativität gegen alles Concrete richtet. So iſt das
Leben im vollſten Sinne des Wortes ein Traum, geträumt
von einem abſtracten Weſen. Die Wirklichkeit iſt dem Augen¬
blick anheimgegeben, weil ſie von dem Abſoluten nicht aner¬
kannt wird. Dafür wird ſie von ihm auch nicht einge¬
ſchränkt; ſie kennt kein Maaß. Die Natur bricht in der
Gluth der Leidenſchaft, gedankenlos und ohne Zügel, brau¬
ſend aus dem dunkeln Quell des unheiligen Gemüths, und
zerſtört heute, was ſie geſtern geliebt. Es iſt Nichts feſt,
als das Jenſeits. In allen Formen ſpielt dieſe Leidenſchaft,
dieſe auf ſich concentrirte, von der Heiligkeit der Abſtraction
nicht gebrochene Subjectivität; der Einzelne iſt im Haß
wie in der Liebe, im Edelmuth wie in der Bosheit ſchranken¬
los; die Gluth des Lebens, von keiner Subſtantialität ge¬
nährt, flammt mit deſto unbändigerer Gewalt im Innerſten
des Menſchen. Die Rechtfertigung des Menſchen iſt, daß
er von ſich und der Wirklichkeit abſtrahirt: hat er den Kelch
der irdiſchen Luſt bis auf die Neige geleert, ſo ſchwingt er
ſich auf den Flügeln der Abſtraction durch ein Wunder in
die Seligkeit des Himmels. — Da die erlöſende Wirkung
dieſer blinden Kraft auf äußerliche Weiſe eintritt, ohne innere
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[252/0274] Phantaſie bewundert, vergeſſe nicht, daß in dieſer Phantaſie das Wort des Geheimniſſes ſich verbirgt, das Spaniens Verderben überdeckt. Dieſe blüthenreiche Sprache feierte mit derſelben Pracht die Glaubenshandlungen der Inqui¬ ſition, ſie übertönte mit ihrem ſüßen Geflüſter das Geheul der Ketzer in den Flammen, ſie breitete ſich wie der Duft eines Arabiſchen Weihrauchs verhüllend über die unwürdige Opferſtätte des Fanatismus. — Das Weſen des Fanatismus iſt, ſich an eine Abſtraction zu veräußern, die ſich als abſo¬ lute Negativität gegen alles Concrete richtet. So iſt das Leben im vollſten Sinne des Wortes ein Traum, geträumt von einem abſtracten Weſen. Die Wirklichkeit iſt dem Augen¬ blick anheimgegeben, weil ſie von dem Abſoluten nicht aner¬ kannt wird. Dafür wird ſie von ihm auch nicht einge¬ ſchränkt; ſie kennt kein Maaß. Die Natur bricht in der Gluth der Leidenſchaft, gedankenlos und ohne Zügel, brau¬ ſend aus dem dunkeln Quell des unheiligen Gemüths, und zerſtört heute, was ſie geſtern geliebt. Es iſt Nichts feſt, als das Jenſeits. In allen Formen ſpielt dieſe Leidenſchaft, dieſe auf ſich concentrirte, von der Heiligkeit der Abſtraction nicht gebrochene Subjectivität; der Einzelne iſt im Haß wie in der Liebe, im Edelmuth wie in der Bosheit ſchranken¬ los; die Gluth des Lebens, von keiner Subſtantialität ge¬ nährt, flammt mit deſto unbändigerer Gewalt im Innerſten des Menſchen. Die Rechtfertigung des Menſchen iſt, daß er von ſich und der Wirklichkeit abſtrahirt: hat er den Kelch der irdiſchen Luſt bis auf die Neige geleert, ſo ſchwingt er ſich auf den Flügeln der Abſtraction durch ein Wunder in die Seligkeit des Himmels. — Da die erlöſende Wirkung dieſer blinden Kraft auf äußerliche Weiſe eintritt, ohne innere Entzweiung, ſo geht der Menſch in ſeiner nackten natürlichen

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/274>, abgerufen am 22.11.2024.