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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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in Dahomey und Benin jeder, auch ein Minister oder General,
der von dem Könige ein Geschenk empfängt, öffentlich vor
ihm tanzen muß. Wie lächerlich auch dies dem Fran¬
zösischen Gesandten Boue erschien, so hütete er sich wohl,
zu lachen. Wenn die Russischen Hetären sich Jemand hin¬
geben, so tragen sie Sorge, das Bild des heiligen Nikolaus
mit einem Schleier zu bedecken, weil sie sich vor ihm schämen.
Wer wollte es wagen, diesen Ausdruck des heiligen Scham¬
gefühls, so lächerlich er uns erscheinen kann, in ihrer Ge¬
genwart zu verlachen? Man kann in so zarten Materien
mit seinem Urtheil und Benehmen nicht vorsichtig genug
sein. Wollte man aber der Komik die Berechtigung nicht
zugestehen, Sitten fremder Nationen oder vergangener Zeiten,
religiöse Vorstellungen anderer Völker oder überwundener
Bildungsformen, als lächerliche Widersprüche der Wahrheit
und Freiheit des Geistes zu behandeln, so begreift man,
daß nicht nur die Kunst, sondern auch die Wissenschaft auf
eine Trappistische Lebensweise sich einrichten müßten. Der
Scherz hat von den moralisch engherzigen Biedermännern
eben so viel zu leiden, als von den dumm bigotten Frömmig¬
keitsbeflissenen, weil die Kurzsichtigkeit beider in seinem be¬
weglichen Spiel überall schon ein gefährliches Attentat auf
die gute Sitte und den rechten Glauben erblickt. Ging es
lediglich nach ihnen, so würden wir in einer Stagnation
der hausbackensten Prosa ersticken müssen. Nichts hat von
dieser Seite der unbefangenen Würdigung poetischer Kunst¬
werke mehr geschadet, als das Isoliren einzelner Stellen,
das Premiren einzelner Worte. Die Geschichte der Poesie
besitzt über solche Conflicte höchst denkwürdige Actenstücke
in den Processen, denen B e ranger unter der Restauration
unterworfen war und worin Marchangy und Champanhet

in Dahomey und Benin jeder, auch ein Miniſter oder General,
der von dem Könige ein Geſchenk empfängt, öffentlich vor
ihm tanzen muß. Wie lächerlich auch dies dem Fran¬
zöſiſchen Geſandten Boué erſchien, ſo hütete er ſich wohl,
zu lachen. Wenn die Ruſſiſchen Hetären ſich Jemand hin¬
geben, ſo tragen ſie Sorge, das Bild des heiligen Nikolaus
mit einem Schleier zu bedecken, weil ſie ſich vor ihm ſchämen.
Wer wollte es wagen, dieſen Ausdruck des heiligen Scham¬
gefühls, ſo lächerlich er uns erſcheinen kann, in ihrer Ge¬
genwart zu verlachen? Man kann in ſo zarten Materien
mit ſeinem Urtheil und Benehmen nicht vorſichtig genug
ſein. Wollte man aber der Komik die Berechtigung nicht
zugeſtehen, Sitten fremder Nationen oder vergangener Zeiten,
religiöſe Vorſtellungen anderer Völker oder überwundener
Bildungsformen, als lächerliche Widerſprüche der Wahrheit
und Freiheit des Geiſtes zu behandeln, ſo begreift man,
daß nicht nur die Kunſt, ſondern auch die Wiſſenſchaft auf
eine Trappiſtiſche Lebensweiſe ſich einrichten müßten. Der
Scherz hat von den moraliſch engherzigen Biedermännern
eben ſo viel zu leiden, als von den dumm bigotten Frömmig¬
keitsbefliſſenen, weil die Kurzſichtigkeit beider in ſeinem be¬
weglichen Spiel überall ſchon ein gefährliches Attentat auf
die gute Sitte und den rechten Glauben erblickt. Ging es
lediglich nach ihnen, ſo würden wir in einer Stagnation
der hausbackenſten Proſa erſticken müſſen. Nichts hat von
dieſer Seite der unbefangenen Würdigung poetiſcher Kunſt¬
werke mehr geſchadet, als das Iſoliren einzelner Stellen,
das Premiren einzelner Worte. Die Geſchichte der Poeſie
beſitzt über ſolche Conflicte höchſt denkwürdige Actenſtücke
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[268/0290] in Dahomey und Benin jeder, auch ein Miniſter oder General, der von dem Könige ein Geſchenk empfängt, öffentlich vor ihm tanzen muß. Wie lächerlich auch dies dem Fran¬ zöſiſchen Geſandten Boué erſchien, ſo hütete er ſich wohl, zu lachen. Wenn die Ruſſiſchen Hetären ſich Jemand hin¬ geben, ſo tragen ſie Sorge, das Bild des heiligen Nikolaus mit einem Schleier zu bedecken, weil ſie ſich vor ihm ſchämen. Wer wollte es wagen, dieſen Ausdruck des heiligen Scham¬ gefühls, ſo lächerlich er uns erſcheinen kann, in ihrer Ge¬ genwart zu verlachen? Man kann in ſo zarten Materien mit ſeinem Urtheil und Benehmen nicht vorſichtig genug ſein. Wollte man aber der Komik die Berechtigung nicht zugeſtehen, Sitten fremder Nationen oder vergangener Zeiten, religiöſe Vorſtellungen anderer Völker oder überwundener Bildungsformen, als lächerliche Widerſprüche der Wahrheit und Freiheit des Geiſtes zu behandeln, ſo begreift man, daß nicht nur die Kunſt, ſondern auch die Wiſſenſchaft auf eine Trappiſtiſche Lebensweiſe ſich einrichten müßten. Der Scherz hat von den moraliſch engherzigen Biedermännern eben ſo viel zu leiden, als von den dumm bigotten Frömmig¬ keitsbefliſſenen, weil die Kurzſichtigkeit beider in ſeinem be¬ weglichen Spiel überall ſchon ein gefährliches Attentat auf die gute Sitte und den rechten Glauben erblickt. Ging es lediglich nach ihnen, ſo würden wir in einer Stagnation der hausbackenſten Proſa erſticken müſſen. Nichts hat von dieſer Seite der unbefangenen Würdigung poetiſcher Kunſt¬ werke mehr geſchadet, als das Iſoliren einzelner Stellen, das Premiren einzelner Worte. Die Geſchichte der Poeſie beſitzt über ſolche Conflicte höchſt denkwürdige Actenſtücke in den Proceſſen, denen B é ranger unter der Reſtauration unterworfen war und worin Marchangy und Champanhet

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/290>, abgerufen am 21.11.2024.