von Vitzliputzli, die so reich an den größten dichterischen Schönheiten sind, bricht sein Haß gegen daß Christenthum, gegen das Abendmahl, in folgenden Versen aus:
"Menschenopfer" heißt das Stück
Uralt ist der Stoff, die Fabel; In der christlichen Behandlung Ist das Schauspiel nicht so gräßlich,
Denn dem Blute wurde Rothwein,
Und dem Leichnam, welcher vorkam, Wurde eine harmlos dünne Mehlbreispeis transsubstituiret --
Wir abstrahiren hier ganz vom religiösen Standpunct; wir legen nur den ästhetischen Maaßstab an und von ihm aus verurtheilen wir diese Verse als schlechte Verse, denn was in ihnen wäre wohl poetisch? Klingen sie nicht, als wären sie in ihrer Hölzernheit aus Daumers berüchtigter Abhand¬ lung über die christliche Anthropophagie abgeschrieben? Heine sagt kein Wort des Abscheus, der Verachtung; er referirt wie ein accurater Historiker; aber welche unermeßliche Frivoli¬ tät liegt nicht in diesen kalten Worten, die sich über ein religiöses Mysterium auslassen, als ob es ein culinarisches Object wäre!
Einem Dichter kann, wie wir bemerkten, dadurch großes Unrecht geschehen, daß man ihn nicht im Zusammenhange auffaßt und ihm da eine Frivolität aufbürdet, wo sie nur scheinbar vorhanden ist. In den zuvor angeführten Versen kann die zweite Strophe gänzlich fehlen und das Gedicht würde nichts verlieren, vielmehr sehr gewinnen. Wir wollen aber auch aus Heine ein Beispiel geben, wie ihm Unrecht gethan werden könnte. In einem Gedicht: der Schöpfer erzählt er, wie Gott die Sonne, Sterne, Ochsen, Löwen, Katzen geschaffen habe und fährt fort:
von Vitzliputzli, die ſo reich an den größten dichteriſchen Schönheiten ſind, bricht ſein Haß gegen daß Chriſtenthum, gegen das Abendmahl, in folgenden Verſen aus:
„Menſchenopfer“ heißt das Stück
Uralt iſt der Stoff, die Fabel; In der chriſtlichen Behandlung Iſt das Schauſpiel nicht ſo gräßlich,
Denn dem Blute wurde Rothwein,
Und dem Leichnam, welcher vorkam, Wurde eine harmlos dünne Mehlbreiſpeis transſubſtituiret —
Wir abſtrahiren hier ganz vom religiöſen Standpunct; wir legen nur den äſthetiſchen Maaßſtab an und von ihm aus verurtheilen wir dieſe Verſe als ſchlechte Verſe, denn was in ihnen wäre wohl poetiſch? Klingen ſie nicht, als wären ſie in ihrer Hölzernheit aus Daumers berüchtigter Abhand¬ lung über die chriſtliche Anthropophagie abgeſchrieben? Heine ſagt kein Wort des Abſcheus, der Verachtung; er referirt wie ein accurater Hiſtoriker; aber welche unermeßliche Frivoli¬ tät liegt nicht in dieſen kalten Worten, die ſich über ein religiöſes Myſterium auslaſſen, als ob es ein culinariſches Object wäre!
Einem Dichter kann, wie wir bemerkten, dadurch großes Unrecht geſchehen, daß man ihn nicht im Zuſammenhange auffaßt und ihm da eine Frivolität aufbürdet, wo ſie nur ſcheinbar vorhanden iſt. In den zuvor angeführten Verſen kann die zweite Strophe gänzlich fehlen und das Gedicht würde nichts verlieren, vielmehr ſehr gewinnen. Wir wollen aber auch aus Heine ein Beiſpiel geben, wie ihm Unrecht gethan werden könnte. In einem Gedicht: der Schöpfer erzählt er, wie Gott die Sonne, Sterne, Ochſen, Löwen, Katzen geſchaffen habe und fährt fort:
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0292"n="270"/>
von <hirendition="#g">Vitzliputzli</hi>, die ſo reich an den größten dichteriſchen<lb/>
Schönheiten ſind, bricht ſein Haß gegen daß Chriſtenthum,<lb/>
gegen das Abendmahl, in folgenden Verſen aus:<lb/><lgtype="poem"><lrendition="#et">„Menſchenopfer“ heißt das Stück</l><lb/><l>Uralt iſt der Stoff, die Fabel;</l><lb/><l>In der chriſtlichen Behandlung</l><lb/><l>Iſt das Schauſpiel nicht ſo gräßlich,</l><lb/><lrendition="#et">Denn dem Blute wurde Rothwein,</l><lb/><l>Und dem Leichnam, welcher vorkam,</l><lb/><l>Wurde eine harmlos dünne</l><lb/><l>Mehlbreiſpeis transſubſtituiret —</l><lb/></lg>Wir abſtrahiren hier ganz vom religiöſen Standpunct; wir<lb/>
legen nur den äſthetiſchen Maaßſtab an und von ihm aus<lb/>
verurtheilen wir dieſe Verſe als ſchlechte Verſe, denn was<lb/>
in ihnen wäre wohl poetiſch? Klingen ſie nicht, als wären<lb/>ſie in ihrer Hölzernheit aus <hirendition="#g">Daumers</hi> berüchtigter Abhand¬<lb/>
lung über die chriſtliche Anthropophagie abgeſchrieben? Heine<lb/>ſagt kein Wort des Abſcheus, der Verachtung; er referirt<lb/>
wie ein accurater Hiſtoriker; aber welche unermeßliche Frivoli¬<lb/>
tät liegt nicht in dieſen kalten Worten, die ſich über ein religiöſes<lb/>
Myſterium auslaſſen, als ob es ein culinariſches Object wäre!</p><lb/><p>Einem Dichter kann, wie wir bemerkten, dadurch großes<lb/>
Unrecht geſchehen, daß man ihn nicht im Zuſammenhange<lb/>
auffaßt und ihm da eine Frivolität aufbürdet, wo ſie nur<lb/>ſcheinbar vorhanden iſt. In den zuvor angeführten Verſen<lb/>
kann die zweite Strophe gänzlich fehlen und das Gedicht<lb/>
würde nichts verlieren, vielmehr ſehr gewinnen. Wir wollen<lb/>
aber auch aus Heine ein Beiſpiel geben, wie ihm Unrecht<lb/>
gethan werden könnte. In einem Gedicht: der <hirendition="#g">Schöpfer</hi><lb/>
erzählt er, wie Gott die Sonne, Sterne, Ochſen, Löwen,<lb/>
Katzen geſchaffen habe und fährt fort:</p><lb/></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[270/0292]
von Vitzliputzli, die ſo reich an den größten dichteriſchen
Schönheiten ſind, bricht ſein Haß gegen daß Chriſtenthum,
gegen das Abendmahl, in folgenden Verſen aus:
„Menſchenopfer“ heißt das Stück
Uralt iſt der Stoff, die Fabel;
In der chriſtlichen Behandlung
Iſt das Schauſpiel nicht ſo gräßlich,
Denn dem Blute wurde Rothwein,
Und dem Leichnam, welcher vorkam,
Wurde eine harmlos dünne
Mehlbreiſpeis transſubſtituiret —
Wir abſtrahiren hier ganz vom religiöſen Standpunct; wir
legen nur den äſthetiſchen Maaßſtab an und von ihm aus
verurtheilen wir dieſe Verſe als ſchlechte Verſe, denn was
in ihnen wäre wohl poetiſch? Klingen ſie nicht, als wären
ſie in ihrer Hölzernheit aus Daumers berüchtigter Abhand¬
lung über die chriſtliche Anthropophagie abgeſchrieben? Heine
ſagt kein Wort des Abſcheus, der Verachtung; er referirt
wie ein accurater Hiſtoriker; aber welche unermeßliche Frivoli¬
tät liegt nicht in dieſen kalten Worten, die ſich über ein religiöſes
Myſterium auslaſſen, als ob es ein culinariſches Object wäre!
Einem Dichter kann, wie wir bemerkten, dadurch großes
Unrecht geſchehen, daß man ihn nicht im Zuſammenhange
auffaßt und ihm da eine Frivolität aufbürdet, wo ſie nur
ſcheinbar vorhanden iſt. In den zuvor angeführten Verſen
kann die zweite Strophe gänzlich fehlen und das Gedicht
würde nichts verlieren, vielmehr ſehr gewinnen. Wir wollen
aber auch aus Heine ein Beiſpiel geben, wie ihm Unrecht
gethan werden könnte. In einem Gedicht: der Schöpfer
erzählt er, wie Gott die Sonne, Sterne, Ochſen, Löwen,
Katzen geſchaffen habe und fährt fort:
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/292>, abgerufen am 26.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.