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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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trächtigkeit vergöttert werden dürfen? Der wahre Dichter
läßt den Unglücklichen den die Erfahrung der Wirklichkeit
so fürchterlicher Dinge zermalmt, die ungeheuersten Frevel
gegen Menschen und Götter aussprechen. Was der Mensch
sich sonst wohl verbirgt, was er, durch Pietät, Sitte, Ge¬
setz, Glaube bestimmt, als einen gottlosen Frevel in sich nieder¬
drückt, was, einer bestehenden und anerkannten Weltordnung
gegenüber, Thorheit und Albernheit ist, das wird von der
Anarchie der in sich zerrissenen Intelligenz mit Mark und
Bein erschütternder Frechheit herausgesagt. Der tragische
Wahnsinn kehrt sich die Weltordnung um, denn nach dem,
was ihm begegnet, muß dem Absurden der Thron gebühren.
Der Freund verräth den Freund, verführt ihm seine Frau;
der Geliebte bricht die Treue; die Gattin vergiftet den Gatten;
der Gastfreund, der zugleich der Herr und König ist, wird
von dem erschlagen, der ihn mit seinem Blute schützen sollte;
der Vater wird von den Kindern, denen er Alles geopfert,
verleugnet u. s. w. Solche Thaten, schwarz wie die Nacht,
rütteln sie nicht an den ewigen Gesetzen des Universums?
Und doch stehen sie da in scharfer, blanker, trotziger Wirk¬
lichkeit und scheinen den als einen Narren zu verhöhnen,
der dennoch an die Heiligkeit des Guten, an die Macht der
Vernunft zu glauben schwach genug ist. Die Kunst darf
dem Wahnsinn nicht das letzte Wort lassen. Sie muß in
ihm den Fluch der im Dunkeln schreitenden Nemesis darstellen
oder sie muß ihn in einer höhern Totalität auflösen. Es
war der gefährliche Abweg der neueren Romantik, ihre Op¬
position gegen die Aufklärung und Verständigkeit, ihre Ironie,
wie sie es nannte, so weit zu treiben, daß die Verrücktheit,
der Traum, die Narrheit, als die eigentliche Wahrheit der
Welt angesehen werden sollten; eine in sich selbst verrückte

trächtigkeit vergöttert werden dürfen? Der wahre Dichter
läßt den Unglücklichen den die Erfahrung der Wirklichkeit
ſo fürchterlicher Dinge zermalmt, die ungeheuerſten Frevel
gegen Menſchen und Götter ausſprechen. Was der Menſch
ſich ſonſt wohl verbirgt, was er, durch Pietät, Sitte, Ge¬
ſetz, Glaube beſtimmt, als einen gottloſen Frevel in ſich nieder¬
drückt, was, einer beſtehenden und anerkannten Weltordnung
gegenüber, Thorheit und Albernheit iſt, das wird von der
Anarchie der in ſich zerriſſenen Intelligenz mit Mark und
Bein erſchütternder Frechheit herausgeſagt. Der tragiſche
Wahnſinn kehrt ſich die Weltordnung um, denn nach dem,
was ihm begegnet, muß dem Abſurden der Thron gebühren.
Der Freund verräth den Freund, verführt ihm ſeine Frau;
der Geliebte bricht die Treue; die Gattin vergiftet den Gatten;
der Gaſtfreund, der zugleich der Herr und König iſt, wird
von dem erſchlagen, der ihn mit ſeinem Blute ſchützen ſollte;
der Vater wird von den Kindern, denen er Alles geopfert,
verleugnet u. ſ. w. Solche Thaten, ſchwarz wie die Nacht,
rütteln ſie nicht an den ewigen Geſetzen des Univerſums?
Und doch ſtehen ſie da in ſcharfer, blanker, trotziger Wirk¬
lichkeit und ſcheinen den als einen Narren zu verhöhnen,
der dennoch an die Heiligkeit des Guten, an die Macht der
Vernunft zu glauben ſchwach genug iſt. Die Kunſt darf
dem Wahnſinn nicht das letzte Wort laſſen. Sie muß in
ihm den Fluch der im Dunkeln ſchreitenden Nemeſis darſtellen
oder ſie muß ihn in einer höhern Totalität auflöſen. Es
war der gefährliche Abweg der neueren Romantik, ihre Op¬
poſition gegen die Aufklärung und Verſtändigkeit, ihre Ironie,
wie ſie es nannte, ſo weit zu treiben, daß die Verrücktheit,
der Traum, die Narrheit, als die eigentliche Wahrheit der
Welt angeſehen werden ſollten; eine in ſich ſelbſt verrückte

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[308/0330] trächtigkeit vergöttert werden dürfen? Der wahre Dichter läßt den Unglücklichen den die Erfahrung der Wirklichkeit ſo fürchterlicher Dinge zermalmt, die ungeheuerſten Frevel gegen Menſchen und Götter ausſprechen. Was der Menſch ſich ſonſt wohl verbirgt, was er, durch Pietät, Sitte, Ge¬ ſetz, Glaube beſtimmt, als einen gottloſen Frevel in ſich nieder¬ drückt, was, einer beſtehenden und anerkannten Weltordnung gegenüber, Thorheit und Albernheit iſt, das wird von der Anarchie der in ſich zerriſſenen Intelligenz mit Mark und Bein erſchütternder Frechheit herausgeſagt. Der tragiſche Wahnſinn kehrt ſich die Weltordnung um, denn nach dem, was ihm begegnet, muß dem Abſurden der Thron gebühren. Der Freund verräth den Freund, verführt ihm ſeine Frau; der Geliebte bricht die Treue; die Gattin vergiftet den Gatten; der Gaſtfreund, der zugleich der Herr und König iſt, wird von dem erſchlagen, der ihn mit ſeinem Blute ſchützen ſollte; der Vater wird von den Kindern, denen er Alles geopfert, verleugnet u. ſ. w. Solche Thaten, ſchwarz wie die Nacht, rütteln ſie nicht an den ewigen Geſetzen des Univerſums? Und doch ſtehen ſie da in ſcharfer, blanker, trotziger Wirk¬ lichkeit und ſcheinen den als einen Narren zu verhöhnen, der dennoch an die Heiligkeit des Guten, an die Macht der Vernunft zu glauben ſchwach genug iſt. Die Kunſt darf dem Wahnſinn nicht das letzte Wort laſſen. Sie muß in ihm den Fluch der im Dunkeln ſchreitenden Nemeſis darſtellen oder ſie muß ihn in einer höhern Totalität auflöſen. Es war der gefährliche Abweg der neueren Romantik, ihre Op¬ poſition gegen die Aufklärung und Verſtändigkeit, ihre Ironie, wie ſie es nannte, ſo weit zu treiben, daß die Verrücktheit, der Traum, die Narrheit, als die eigentliche Wahrheit der Welt angeſehen werden ſollten; eine in ſich ſelbſt verrückte

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/330>, abgerufen am 22.11.2024.