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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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fassen kann, so daß die Vernunft es ist, die als Unvernunft
den Verstand irre macht. Die gewissen Dinge -- was kann
denn Lessing anders mit ihnen gemeint haben, als die Existenz
von Widersprüchen, die scheinbar die Realität der Idee selber
vernichten? Nur scheinbar, denn die Kunst muß an der
Wahrheit der Idee festhalten und im Geschwätz des Wahn¬
sinnigen noch immer ihren positiven Hintergrund manifestiren,
was Shakespeare die Methode im Wahnsinn nennt. Sie
muß denselben in jener Verwandtschaft mit dem Wesen des
Genies ergreifen, welche Schopenhauer so treffend ge¬
zeichnet hat (66). Aesthetisch werden wir also fordern müssen,
daß in den abenteuerlichen Aeußerungen des Irren noch ein
Schimmer der Idee aufleuchte, daß in den zerstückten Sätzen,
in dem widersinnigen Durcheinander, in den elliptische Inter¬
jectionen und im absonderlichen Gebaren desselben doch noch
die Vernunft als in ihrem Zerrbilde sich selbst beleuchte und
daher in dem Unglückseligen möglich bleibe. Das Absurde
einer Verrücktheit, welche durch eine nur somatische Ursache,
Schlagfluß, Gehirnerweichung u. dgl. entstanden ist, kann
daher kein ästhetischer Gegenstand werden, weil ihr das In¬
grediens der Vernunft fehlt. Eben so wenig kann der tolle
Raptus, der aus kleinlicher Veranlassung, aus gemeiner
Leidenschaft entsteht, ästhetisches Object werden. Beide Zu¬
stände sind einfach häßlich. Stürzt aber der Widerspruch
eines gewaltigen Schicksals, oder die Nemesis als die Folge
schwerer Thaten, einen Menschen in Wahnsinn, so wird
durch seine verkehrten Handlungen und wirren Reden noch
immer wieder die Vernunft durchblitzen. Ist Vernunft in
der Welt, lebt ein Gott, sollte dann das Entsetzliche, das
Unnatürliche, das Teuflische möglich sein, sollte die Unschuld
als Schuld, das Recht als Unrecht verhöhnt und die Nieder¬

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faſſen kann, ſo daß die Vernunft es iſt, die als Unvernunft
den Verſtand irre macht. Die gewiſſen Dinge — was kann
denn Leſſing anders mit ihnen gemeint haben, als die Exiſtenz
von Widerſprüchen, die ſcheinbar die Realität der Idee ſelber
vernichten? Nur ſcheinbar, denn die Kunſt muß an der
Wahrheit der Idee feſthalten und im Geſchwätz des Wahn¬
ſinnigen noch immer ihren poſitiven Hintergrund manifeſtiren,
was Shakeſpeare die Methode im Wahnſinn nennt. Sie
muß denſelben in jener Verwandtſchaft mit dem Weſen des
Genies ergreifen, welche Schopenhauer ſo treffend ge¬
zeichnet hat (66). Aeſthetiſch werden wir alſo fordern müſſen,
daß in den abenteuerlichen Aeußerungen des Irren noch ein
Schimmer der Idee aufleuchte, daß in den zerſtückten Sätzen,
in dem widerſinnigen Durcheinander, in den elliptiſche Inter¬
jectionen und im abſonderlichen Gebaren deſſelben doch noch
die Vernunft als in ihrem Zerrbilde ſich ſelbſt beleuchte und
daher in dem Unglückſeligen möglich bleibe. Das Abſurde
einer Verrücktheit, welche durch eine nur ſomatiſche Urſache,
Schlagfluß, Gehirnerweichung u. dgl. entſtanden iſt, kann
daher kein äſthetiſcher Gegenſtand werden, weil ihr das In¬
grediens der Vernunft fehlt. Eben ſo wenig kann der tolle
Raptus, der aus kleinlicher Veranlaſſung, aus gemeiner
Leidenſchaft entſteht, äſthetiſches Object werden. Beide Zu¬
ſtände ſind einfach häßlich. Stürzt aber der Widerſpruch
eines gewaltigen Schickſals, oder die Nemeſis als die Folge
ſchwerer Thaten, einen Menſchen in Wahnſinn, ſo wird
durch ſeine verkehrten Handlungen und wirren Reden noch
immer wieder die Vernunft durchblitzen. Iſt Vernunft in
der Welt, lebt ein Gott, ſollte dann das Entſetzliche, das
Unnatürliche, das Teufliſche möglich ſein, ſollte die Unſchuld
als Schuld, das Recht als Unrecht verhöhnt und die Nieder¬

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[307/0329] faſſen kann, ſo daß die Vernunft es iſt, die als Unvernunft den Verſtand irre macht. Die gewiſſen Dinge — was kann denn Leſſing anders mit ihnen gemeint haben, als die Exiſtenz von Widerſprüchen, die ſcheinbar die Realität der Idee ſelber vernichten? Nur ſcheinbar, denn die Kunſt muß an der Wahrheit der Idee feſthalten und im Geſchwätz des Wahn¬ ſinnigen noch immer ihren poſitiven Hintergrund manifeſtiren, was Shakeſpeare die Methode im Wahnſinn nennt. Sie muß denſelben in jener Verwandtſchaft mit dem Weſen des Genies ergreifen, welche Schopenhauer ſo treffend ge¬ zeichnet hat (66). Aeſthetiſch werden wir alſo fordern müſſen, daß in den abenteuerlichen Aeußerungen des Irren noch ein Schimmer der Idee aufleuchte, daß in den zerſtückten Sätzen, in dem widerſinnigen Durcheinander, in den elliptiſche Inter¬ jectionen und im abſonderlichen Gebaren deſſelben doch noch die Vernunft als in ihrem Zerrbilde ſich ſelbſt beleuchte und daher in dem Unglückſeligen möglich bleibe. Das Abſurde einer Verrücktheit, welche durch eine nur ſomatiſche Urſache, Schlagfluß, Gehirnerweichung u. dgl. entſtanden iſt, kann daher kein äſthetiſcher Gegenſtand werden, weil ihr das In¬ grediens der Vernunft fehlt. Eben ſo wenig kann der tolle Raptus, der aus kleinlicher Veranlaſſung, aus gemeiner Leidenſchaft entſteht, äſthetiſches Object werden. Beide Zu¬ ſtände ſind einfach häßlich. Stürzt aber der Widerſpruch eines gewaltigen Schickſals, oder die Nemeſis als die Folge ſchwerer Thaten, einen Menſchen in Wahnſinn, ſo wird durch ſeine verkehrten Handlungen und wirren Reden noch immer wieder die Vernunft durchblitzen. Iſt Vernunft in der Welt, lebt ein Gott, ſollte dann das Entſetzliche, das Unnatürliche, das Teufliſche möglich ſein, ſollte die Unſchuld als Schuld, das Recht als Unrecht verhöhnt und die Nieder¬ 20 *

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/329>, abgerufen am 22.11.2024.