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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Hexenküche sofort das Absurde, das dem Philosophen bald
widersteht.

In der Verrücktheit ist die Incohärenz der Gedanken,
die Abgeschmacktheit der Vorstellungen, die Sinnlosigkeit der
Handlungen, zur traurigen Wirklichkeit geworden. Malerei
und Musik können diesen Zustand nur relativ darstellen,
Donizetti in seiner Oper Anna Boleyn hat den aus¬
brechenden Wahnsinn derselben besonders durch wimmernd
tremulirende, plötzlich hochaufkreischende, dann in tiefen Noten
exspirirende Töne auszudrücken versucht. Nur die Poesie
kann hier sich an die Vollendung wagen. Sie wird aber
das Absurde nur zu einem Mittel machen dürfen, die Ge¬
brochenheit des Geistes gleichsam symbolisch darzustellen. Die
quodlibetarischen Combinationen, die Absprünge, die un¬
möglichen Synthesen in der Zerflossenheit der verrückten
Intelligenz sind an sich schauderhaft. Mit scheuem Beben
wenden wir uns von einem Abgrunde weg, aus welchem die
Absurdität uns angähnt. Die Poesie muß uns den Wahnsinn
als Folge eines ungeheuren Geschicks zeigen, so daß wir in
dem zusammenhanglosen Gefasel des Irrsinnigen die Wuth der
gewaltigen Widersprüche anschauen, denen der Mensch erlegen
ist. Wir erschrecken nicht blos vor der Zerrissenheit, die aus
solchem Abersinn uns entgegensprudelt, sondern auch vor den
Mächten, die solch' grausame Entzweiung haben erzeugen kön¬
nen. Lessing hat bekanntlich gesagt, daß wer über gewisse
Dinge den Verstand nicht verliere, überhaupt keinen zu ver¬
lieren habe. Er hat aber nicht von der Vernunft gesprochen,
sondern angedeutet, daß es vielmehr sehr vernünftig sei, über
gewisse Dinge den Verstand zu verlieren, den Verstand, der
nämlich das Ungeheure, alle seine Grenzen Uebersteigende, die
Nichtexistenz der Vernunft in einem concreten Fall, nicht

Hexenküche ſofort das Abſurde, das dem Philoſophen bald
widerſteht.

In der Verrücktheit iſt die Incohärenz der Gedanken,
die Abgeſchmacktheit der Vorſtellungen, die Sinnloſigkeit der
Handlungen, zur traurigen Wirklichkeit geworden. Malerei
und Muſik können dieſen Zuſtand nur relativ darſtellen,
Donizetti in ſeiner Oper Anna Boleyn hat den aus¬
brechenden Wahnſinn derſelben beſonders durch wimmernd
tremulirende, plötzlich hochaufkreiſchende, dann in tiefen Noten
exſpirirende Töne auszudrücken verſucht. Nur die Poeſie
kann hier ſich an die Vollendung wagen. Sie wird aber
das Abſurde nur zu einem Mittel machen dürfen, die Ge¬
brochenheit des Geiſtes gleichſam ſymboliſch darzuſtellen. Die
quodlibetariſchen Combinationen, die Abſprünge, die un¬
möglichen Syntheſen in der Zerfloſſenheit der verrückten
Intelligenz ſind an ſich ſchauderhaft. Mit ſcheuem Beben
wenden wir uns von einem Abgrunde weg, aus welchem die
Abſurdität uns angähnt. Die Poeſie muß uns den Wahnſinn
als Folge eines ungeheuren Geſchicks zeigen, ſo daß wir in
dem zuſammenhangloſen Gefaſel des Irrſinnigen die Wuth der
gewaltigen Widerſprüche anſchauen, denen der Menſch erlegen
iſt. Wir erſchrecken nicht blos vor der Zerriſſenheit, die aus
ſolchem Aberſinn uns entgegenſprudelt, ſondern auch vor den
Mächten, die ſolch' grauſame Entzweiung haben erzeugen kön¬
nen. Leſſing hat bekanntlich geſagt, daß wer über gewiſſe
Dinge den Verſtand nicht verliere, überhaupt keinen zu ver¬
lieren habe. Er hat aber nicht von der Vernunft geſprochen,
ſondern angedeutet, daß es vielmehr ſehr vernünftig ſei, über
gewiſſe Dinge den Verſtand zu verlieren, den Verſtand, der
nämlich das Ungeheure, alle ſeine Grenzen Ueberſteigende, die
Nichtexiſtenz der Vernunft in einem concreten Fall, nicht

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[306/0328] Hexenküche ſofort das Abſurde, das dem Philoſophen bald widerſteht. In der Verrücktheit iſt die Incohärenz der Gedanken, die Abgeſchmacktheit der Vorſtellungen, die Sinnloſigkeit der Handlungen, zur traurigen Wirklichkeit geworden. Malerei und Muſik können dieſen Zuſtand nur relativ darſtellen, Donizetti in ſeiner Oper Anna Boleyn hat den aus¬ brechenden Wahnſinn derſelben beſonders durch wimmernd tremulirende, plötzlich hochaufkreiſchende, dann in tiefen Noten exſpirirende Töne auszudrücken verſucht. Nur die Poeſie kann hier ſich an die Vollendung wagen. Sie wird aber das Abſurde nur zu einem Mittel machen dürfen, die Ge¬ brochenheit des Geiſtes gleichſam ſymboliſch darzuſtellen. Die quodlibetariſchen Combinationen, die Abſprünge, die un¬ möglichen Syntheſen in der Zerfloſſenheit der verrückten Intelligenz ſind an ſich ſchauderhaft. Mit ſcheuem Beben wenden wir uns von einem Abgrunde weg, aus welchem die Abſurdität uns angähnt. Die Poeſie muß uns den Wahnſinn als Folge eines ungeheuren Geſchicks zeigen, ſo daß wir in dem zuſammenhangloſen Gefaſel des Irrſinnigen die Wuth der gewaltigen Widerſprüche anſchauen, denen der Menſch erlegen iſt. Wir erſchrecken nicht blos vor der Zerriſſenheit, die aus ſolchem Aberſinn uns entgegenſprudelt, ſondern auch vor den Mächten, die ſolch' grauſame Entzweiung haben erzeugen kön¬ nen. Leſſing hat bekanntlich geſagt, daß wer über gewiſſe Dinge den Verſtand nicht verliere, überhaupt keinen zu ver¬ lieren habe. Er hat aber nicht von der Vernunft geſprochen, ſondern angedeutet, daß es vielmehr ſehr vernünftig ſei, über gewiſſe Dinge den Verſtand zu verlieren, den Verſtand, der nämlich das Ungeheure, alle ſeine Grenzen Ueberſteigende, die Nichtexiſtenz der Vernunft in einem concreten Fall, nicht

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/328>, abgerufen am 21.11.2024.