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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Shakespeare am Schluß des Hamlet, als die vergifteten
Leichen eines in Fäulniß gerathenen Geschlechts gekrümmt
umher liegen, den kräftigen Trompetenschall erschmettern und
den jugendheitern, reinen Fortinbras als Beginn eines neuen
Lebens auftreten läßt. Lazarethe, in denen nur Verwundete
liegen, haben nicht das Ekelhafte solcher Scenen und sind
daher häufig ohne Anstoß gemalt.

Auch das Erbrechen ist früher schon erwähnt worden.
Mag es eine unschuldig krankhafte Affection, mag es Folge der
Völlerei sein, immer ist es höchst ekelhaft. Dennoch haben
Poesie wie Malerei es dargestellt. Die Malerei kann es
durch die bloße Stellung andeuten, obwohl Holbein im
Todtentanz sich nicht genirt hat, den Schlemmer ganz
im Vordergrunde den genossenen Fraß wider ausspeien zu
lassen. In ihren Jahrmarkt- und Wirthshausscenen sind
auch die Niederländer nicht blöde damit gewesen. Ueber die
Zulässigkeit solcher widrigen Züge wird es sehr auf die übrigen
Seiten der Composition und auf den Styl ankommen, in
welchem sie gehalten ist, denn selbst eine komische Wendung
ist möglich, wie in Hogarth's Punschgesellschaft oder in
jenem Gemälde einer Griechischen Vase, wo Homer, auf
ein Polsterbett hingestreckt, sich in ein am Boden stehendes
Gefäß erbricht. Eine weibliche Gestalt, die Poesie, hält ihm
das göttliche Haupt. Um das Gefäß herum stehen eine
Menge Zwergfiguren, die eifrig das Ausgebrochene wieder
zum Munde führen. Es sind die spätern Griechischen Dichter,
die von dem cynisch weggeworfenen Ueberfluß des großen
Poeten sich ernähren. Auch eine Apotheose Homers (68)!
Geht die Poesie aber so weit, daß sie vom Erbrechen nicht
blos erzählt, vielmehr es auf die Bühne bringt, so ist das
ein Ueberschreiten des ästhetischen Maaßes, das auch komisch

Shakeſpeare am Schluß des Hamlet, als die vergifteten
Leichen eines in Fäulniß gerathenen Geſchlechts gekrümmt
umher liegen, den kräftigen Trompetenſchall erſchmettern und
den jugendheitern, reinen Fortinbras als Beginn eines neuen
Lebens auftreten läßt. Lazarethe, in denen nur Verwundete
liegen, haben nicht das Ekelhafte ſolcher Scenen und ſind
daher häufig ohne Anſtoß gemalt.

Auch das Erbrechen iſt früher ſchon erwähnt worden.
Mag es eine unſchuldig krankhafte Affection, mag es Folge der
Völlerei ſein, immer iſt es höchſt ekelhaft. Dennoch haben
Poeſie wie Malerei es dargeſtellt. Die Malerei kann es
durch die bloße Stellung andeuten, obwohl Holbein im
Todtentanz ſich nicht genirt hat, den Schlemmer ganz
im Vordergrunde den genoſſenen Fraß wider ausſpeien zu
laſſen. In ihren Jahrmarkt- und Wirthshausſcenen ſind
auch die Niederländer nicht blöde damit geweſen. Ueber die
Zuläſſigkeit ſolcher widrigen Züge wird es ſehr auf die übrigen
Seiten der Compoſition und auf den Styl ankommen, in
welchem ſie gehalten iſt, denn ſelbſt eine komiſche Wendung
iſt möglich, wie in Hogarth's Punſchgeſellſchaft oder in
jenem Gemälde einer Griechiſchen Vaſe, wo Homer, auf
ein Polſterbett hingeſtreckt, ſich in ein am Boden ſtehendes
Gefäß erbricht. Eine weibliche Geſtalt, die Poeſie, hält ihm
das göttliche Haupt. Um das Gefäß herum ſtehen eine
Menge Zwergfiguren, die eifrig das Ausgebrochene wieder
zum Munde führen. Es ſind die ſpätern Griechiſchen Dichter,
die von dem cyniſch weggeworfenen Ueberfluß des großen
Poeten ſich ernähren. Auch eine Apotheoſe Homers (68)!
Geht die Poeſie aber ſo weit, daß ſie vom Erbrechen nicht
blos erzählt, vielmehr es auf die Bühne bringt, ſo iſt das
ein Ueberſchreiten des äſthetiſchen Maaßes, das auch komiſch

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[320/0342] Shakeſpeare am Schluß des Hamlet, als die vergifteten Leichen eines in Fäulniß gerathenen Geſchlechts gekrümmt umher liegen, den kräftigen Trompetenſchall erſchmettern und den jugendheitern, reinen Fortinbras als Beginn eines neuen Lebens auftreten läßt. Lazarethe, in denen nur Verwundete liegen, haben nicht das Ekelhafte ſolcher Scenen und ſind daher häufig ohne Anſtoß gemalt. Auch das Erbrechen iſt früher ſchon erwähnt worden. Mag es eine unſchuldig krankhafte Affection, mag es Folge der Völlerei ſein, immer iſt es höchſt ekelhaft. Dennoch haben Poeſie wie Malerei es dargeſtellt. Die Malerei kann es durch die bloße Stellung andeuten, obwohl Holbein im Todtentanz ſich nicht genirt hat, den Schlemmer ganz im Vordergrunde den genoſſenen Fraß wider ausſpeien zu laſſen. In ihren Jahrmarkt- und Wirthshausſcenen ſind auch die Niederländer nicht blöde damit geweſen. Ueber die Zuläſſigkeit ſolcher widrigen Züge wird es ſehr auf die übrigen Seiten der Compoſition und auf den Styl ankommen, in welchem ſie gehalten iſt, denn ſelbſt eine komiſche Wendung iſt möglich, wie in Hogarth's Punſchgeſellſchaft oder in jenem Gemälde einer Griechiſchen Vaſe, wo Homer, auf ein Polſterbett hingeſtreckt, ſich in ein am Boden ſtehendes Gefäß erbricht. Eine weibliche Geſtalt, die Poeſie, hält ihm das göttliche Haupt. Um das Gefäß herum ſtehen eine Menge Zwergfiguren, die eifrig das Ausgebrochene wieder zum Munde führen. Es ſind die ſpätern Griechiſchen Dichter, die von dem cyniſch weggeworfenen Ueberfluß des großen Poeten ſich ernähren. Auch eine Apotheoſe Homers (68)! Geht die Poeſie aber ſo weit, daß ſie vom Erbrechen nicht blos erzählt, vielmehr es auf die Bühne bringt, ſo iſt das ein Ueberſchreiten des äſthetiſchen Maaßes, das auch komiſch

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/342>, abgerufen am 22.11.2024.