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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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nicht wirken kann. Hiermit hat es Hebbel in seinem
Diamanten versehen. Der Jude, der ihn verschluckt hat,
bricht ihn auf der Bühne wieder aus, und nicht nur bricht
er ihn aus, sondern er steckt sogar deshalb den Finger
in den Mund. Das ist zu widrig! Die Geburt hat als ein
nothwendiger Naturtact nicht dies Abstoßende, selbst wenn
sie nicht, wie in Hans Sachs Narrenschneiden und in
Prutz politischer Wochenstube, komisch gewendet wird.

Das Ekelhafte wird auch dadurch ästhetisch unmöglich
gemacht, wenn es mit dem Unnatürlichen sich vermischt.
Blasirte Epochen der Völker wie der Individuen kitzeln die
erschlafften Nerven mit den heftigsten und daher nicht selten
auch ekelhaftesten Reizmitteln auf. Wie scheußlich ist nicht
das neueste fashionable Vergnügen der Londoner Müßig¬
gänger, der Rattenkampf! Kann man sich etwas Ekelhafteres
ersinnen, als einen Rattenhaufen, der sich in Todesangst
gegen einen bestialischen Hund wehrt? Doch, könnte man¬
cher sagen, die Wettenden, die, mit der Uhr in der Hand,
um die ausgemauerte Grube herumstehen. Allein Pückler
Muskau
in seinen ersten, unsterblichen Briefen eines Ver¬
storbenen erzählt doch noch von etwas Ekelhafterem, daß
er nämlich zu Paris auf dem Boulevard Mont Parnasse
gesehen, wie die Spießbürger nach einer Ratte schossen, die
sie auf einem schrägen Brett angebunden hatten, so daß
sie auf dem engen Raum in Verzweiflung hin und her lief.
Zum Vergnügen nach einer Ratte schießen! Infernalisch
ekelhaft. Petronius hat eine gewisse grandiose Nacktheit,
eine gewisse, der Juvenalischen verwandte Herbheit, die seinen
Darstellungen der blasirten Verworfenheit einen düstern Reiz
ertheilt. Eine Scene in seinem Gastmahl des Trimalchio
schildert gewissermaaßen symbolisch den innersten Ungeist einer

Rosenkranz, Aesthetik des Häßlichen. 21

nicht wirken kann. Hiermit hat es Hebbel in ſeinem
Diamanten verſehen. Der Jude, der ihn verſchluckt hat,
bricht ihn auf der Bühne wieder aus, und nicht nur bricht
er ihn aus, ſondern er ſteckt ſogar deshalb den Finger
in den Mund. Das iſt zu widrig! Die Geburt hat als ein
nothwendiger Naturtact nicht dies Abſtoßende, ſelbſt wenn
ſie nicht, wie in Hans Sachs Narrenſchneiden und in
Prutz politiſcher Wochenſtube, komiſch gewendet wird.

Das Ekelhafte wird auch dadurch äſthetiſch unmöglich
gemacht, wenn es mit dem Unnatürlichen ſich vermiſcht.
Blaſirte Epochen der Völker wie der Individuen kitzeln die
erſchlafften Nerven mit den heftigſten und daher nicht ſelten
auch ekelhafteſten Reizmitteln auf. Wie ſcheußlich iſt nicht
das neueſte fashionable Vergnügen der Londoner Müßig¬
gänger, der Rattenkampf! Kann man ſich etwas Ekelhafteres
erſinnen, als einen Rattenhaufen, der ſich in Todesangſt
gegen einen beſtialiſchen Hund wehrt? Doch, könnte man¬
cher ſagen, die Wettenden, die, mit der Uhr in der Hand,
um die ausgemauerte Grube herumſtehen. Allein Pückler
Muskau
in ſeinen erſten, unſterblichen Briefen eines Ver¬
ſtorbenen erzählt doch noch von etwas Ekelhafterem, daß
er nämlich zu Paris auf dem Boulevard Mont Parnaſſe
geſehen, wie die Spießbürger nach einer Ratte ſchoſſen, die
ſie auf einem ſchrägen Brett angebunden hatten, ſo daß
ſie auf dem engen Raum in Verzweiflung hin und her lief.
Zum Vergnügen nach einer Ratte ſchießen! Infernaliſch
ekelhaft. Petronius hat eine gewiſſe grandioſe Nacktheit,
eine gewiſſe, der Juvenaliſchen verwandte Herbheit, die ſeinen
Darſtellungen der blaſirten Verworfenheit einen düſtern Reiz
ertheilt. Eine Scene in ſeinem Gaſtmahl des Trimalchio
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Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 21
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[321/0343] nicht wirken kann. Hiermit hat es Hebbel in ſeinem Diamanten verſehen. Der Jude, der ihn verſchluckt hat, bricht ihn auf der Bühne wieder aus, und nicht nur bricht er ihn aus, ſondern er ſteckt ſogar deshalb den Finger in den Mund. Das iſt zu widrig! Die Geburt hat als ein nothwendiger Naturtact nicht dies Abſtoßende, ſelbſt wenn ſie nicht, wie in Hans Sachs Narrenſchneiden und in Prutz politiſcher Wochenſtube, komiſch gewendet wird. Das Ekelhafte wird auch dadurch äſthetiſch unmöglich gemacht, wenn es mit dem Unnatürlichen ſich vermiſcht. Blaſirte Epochen der Völker wie der Individuen kitzeln die erſchlafften Nerven mit den heftigſten und daher nicht ſelten auch ekelhafteſten Reizmitteln auf. Wie ſcheußlich iſt nicht das neueſte fashionable Vergnügen der Londoner Müßig¬ gänger, der Rattenkampf! Kann man ſich etwas Ekelhafteres erſinnen, als einen Rattenhaufen, der ſich in Todesangſt gegen einen beſtialiſchen Hund wehrt? Doch, könnte man¬ cher ſagen, die Wettenden, die, mit der Uhr in der Hand, um die ausgemauerte Grube herumſtehen. Allein Pückler Muskau in ſeinen erſten, unſterblichen Briefen eines Ver¬ ſtorbenen erzählt doch noch von etwas Ekelhafterem, daß er nämlich zu Paris auf dem Boulevard Mont Parnaſſe geſehen, wie die Spießbürger nach einer Ratte ſchoſſen, die ſie auf einem ſchrägen Brett angebunden hatten, ſo daß ſie auf dem engen Raum in Verzweiflung hin und her lief. Zum Vergnügen nach einer Ratte ſchießen! Infernaliſch ekelhaft. Petronius hat eine gewiſſe grandioſe Nacktheit, eine gewiſſe, der Juvenaliſchen verwandte Herbheit, die ſeinen Darſtellungen der blaſirten Verworfenheit einen düſtern Reiz ertheilt. Eine Scene in ſeinem Gaſtmahl des Trimalchio ſchildert gewiſſermaaßen ſymboliſch den innerſten Ungeiſt einer Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 21

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/343>, abgerufen am 22.11.2024.