Sie nehmen daher in der epischen und dramatischen Unter¬ haltungsliteratur einen ungeheuren Spielraum ein. Das Verbrechen an sich ist natürlich verabscheuenswerth, allein durch die culturhistorische, psychologische und ethische Verflech¬ tung, in der es erscheint, gewinnt es schon ein höheres In¬ teresse. Die Engländer sind in dieser Gattung von jeher die Meister gewesen. Schon in ihren alten Balladen können wir dem criminalistischen Zuge begegnen. Das Theater vor und nach Shakespeare's Zeit wimmelte von solchen Dramen, unter denen sich manche sogar von unbekannten Autoren, wie das Trauerspiel Arden von Feversham (74), lange erhalten haben. Später hat der Roman diese Mission bei ihnen übernommen und die ersten Autoren haben nicht ver¬ schmäht, in einer Gattung zu arbeiten, die von unsern Classikern kaum berührt worden ist. Bulwer's Paul Clif¬ ford, Eugen Aram, von Nacht zu Morgen u. s. w., oder Boz' Oliver Twist sind solche Materien. Im Pelham hat Bulwer die fashionabelste Aristokratie, aber zugleich die extremste Verworfenheit des systematischen Diebs- und Räuberhandwerks in der ausführlichsten Breite geschildert. Nach den Engländern haben die Franzosen erst seit der Juli¬ revolution in solchen Motivirungen sich gefallen. Die bril¬ lante Tyrannei und die Hofverschwörung, die Liebe und die Liederlichkeit als feine Galanterie wie als Orgie, waren bis dahin ihre bevorzugten Themata gewesen. Erst mit dem Bewußtsein über das welthistorische Auftreten des Proleta¬ riats hat sich auch bei ihnen die Neigung zur poetisirenden Behandlung des Criminalverbrechens in raschem Zuge ent¬ wickelt und zwar, ihrer socialen Natur nach, auch erst im Drama, dann im Roman. Casimir Delavigne, Alfred de Bigny, Alexandre Dumas, Victor Hugo und Eugene Sue
Sie nehmen daher in der epiſchen und dramatiſchen Unter¬ haltungsliteratur einen ungeheuren Spielraum ein. Das Verbrechen an ſich iſt natürlich verabſcheuenswerth, allein durch die culturhiſtoriſche, pſychologiſche und ethiſche Verflech¬ tung, in der es erſcheint, gewinnt es ſchon ein höheres In¬ tereſſe. Die Engländer ſind in dieſer Gattung von jeher die Meiſter geweſen. Schon in ihren alten Balladen können wir dem criminaliſtiſchen Zuge begegnen. Das Theater vor und nach Shakeſpeare's Zeit wimmelte von ſolchen Dramen, unter denen ſich manche ſogar von unbekannten Autoren, wie das Trauerſpiel Arden von Feversham (74), lange erhalten haben. Später hat der Roman dieſe Miſſion bei ihnen übernommen und die erſten Autoren haben nicht ver¬ ſchmäht, in einer Gattung zu arbeiten, die von unſern Claſſikern kaum berührt worden iſt. Bulwer's Paul Clif¬ ford, Eugen Aram, von Nacht zu Morgen u. ſ. w., oder Boz' Oliver Twiſt ſind ſolche Materien. Im Pelham hat Bulwer die fashionabelſte Ariſtokratie, aber zugleich die extremſte Verworfenheit des ſyſtematiſchen Diebs- und Räuberhandwerks in der ausführlichſten Breite geſchildert. Nach den Engländern haben die Franzoſen erſt ſeit der Juli¬ revolution in ſolchen Motivirungen ſich gefallen. Die bril¬ lante Tyrannei und die Hofverſchwörung, die Liebe und die Liederlichkeit als feine Galanterie wie als Orgie, waren bis dahin ihre bevorzugten Themata geweſen. Erſt mit dem Bewußtſein über das welthiſtoriſche Auftreten des Proleta¬ riats hat ſich auch bei ihnen die Neigung zur poetiſirenden Behandlung des Criminalverbrechens in raſchem Zuge ent¬ wickelt und zwar, ihrer ſocialen Natur nach, auch erſt im Drama, dann im Roman. Caſimir Delavigne, Alfred de Bigny, Alexandre Dumas, Victor Hugo und Eugene Sue
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Sie nehmen daher in der epiſchen und dramatiſchen Unter¬
haltungsliteratur einen ungeheuren Spielraum ein. Das
Verbrechen an ſich iſt natürlich verabſcheuenswerth, allein
durch die culturhiſtoriſche, pſychologiſche und ethiſche Verflech¬
tung, in der es erſcheint, gewinnt es ſchon ein höheres In¬
tereſſe. Die Engländer ſind in dieſer Gattung von jeher die
Meiſter geweſen. Schon in ihren alten Balladen können
wir dem criminaliſtiſchen Zuge begegnen. Das Theater vor
und nach Shakeſpeare's Zeit wimmelte von ſolchen Dramen,
unter denen ſich manche ſogar von unbekannten Autoren,
wie das Trauerſpiel Arden von Feversham (74), lange
erhalten haben. Später hat der Roman dieſe Miſſion bei
ihnen übernommen und die erſten Autoren haben nicht ver¬
ſchmäht, in einer Gattung zu arbeiten, die von unſern
Claſſikern kaum berührt worden iſt. Bulwer's Paul Clif¬
ford, Eugen Aram, von Nacht zu Morgen u. ſ. w.,
oder Boz' Oliver Twiſt ſind ſolche Materien. Im
Pelham hat Bulwer die fashionabelſte Ariſtokratie, aber
zugleich die extremſte Verworfenheit des ſyſtematiſchen Diebs-
und Räuberhandwerks in der ausführlichſten Breite geſchildert.
Nach den Engländern haben die Franzoſen erſt ſeit der Juli¬
revolution in ſolchen Motivirungen ſich gefallen. Die bril¬
lante Tyrannei und die Hofverſchwörung, die Liebe und die
Liederlichkeit als feine Galanterie wie als Orgie, waren bis
dahin ihre bevorzugten Themata geweſen. Erſt mit dem
Bewußtſein über das welthiſtoriſche Auftreten des Proleta¬
riats hat ſich auch bei ihnen die Neigung zur poetiſirenden
Behandlung des Criminalverbrechens in raſchem Zuge ent¬
wickelt und zwar, ihrer ſocialen Natur nach, auch erſt im
Drama, dann im Roman. Caſimir Delavigne, Alfred de
Bigny, Alexandre Dumas, Victor Hugo und Eugene Sue
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/349>, abgerufen am 22.11.2024.
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