Vater in Robert le diable. Immermann's Merlin hat die Idee des Teufels nicht tief genug gefaßt; der Dichter ist nicht genug in den christlichen Sinn des Mythos einge¬ drungen und zu sehr bei gnostisch kosmogonischen Phantasieen stehen geblieben.
Die untermenschliche Gestaltung des Satanischen ist im Wesentlichen von der antiken Satyrmaske ausgegangen, von welcher der einfache Bock wohl nur eine Consequenz war Die Nachweise dafür hat J. Piper in seiner Mytho¬ logie und Symbolik der christlichen Kunst von den ältesten Zei¬ ten bis in's sechzehnte Jahrhundert, I., 1847, S. 404 -- 6. gegeben. Nicolo Pisano bildete den Beelzebub in seinem jüngsten Gericht an der Kanzel zu Pisa 1260 als Satyr. Bis dahin hatte diese Formation geruhet. Im vierzehnten Jahrhundert finden wir sie dann im Campo Santo Pisano in der Geschichte des heiligen Ranieri von Neuem und von hier ab im steigendem Wachsthum. Auch der Löwe und der Drache (le cocodrill, Wurm, Orm, Lindwurm) wur¬ den Symbole des Satanischen. Weiterhin vermischten die Künstler Thierformen nicht nur, sondern selbst todte Dinge, wie Fässer, Bierkrüge, Töpfe, mit Menschenköpfen und Menschengestalten auf das Seltsamste miteinander. In sol¬ chen musivischen Compositionen wollten sie die unendliche Absurdität und Entzweiung des Bösen versinnbilden. Welche Fülle traumhaft wunderlicher, bizarr grotesker Frazzen haben nicht Jeronymus Bosch, die Breughel, Teniers und Callot auf diesem Gebiet erschaffen! Solche phantastische Unförmlichkeit wandte man auch auf die Darstellung der Versuchungen von Heiligen durch Dämone an, die von ihnen Besitz nehmen wollen, nicht weniger auf die Darstellung der Hölle, die Qualen der Verdammten zu veranschaulichen.
Vater in Robert le diable. Immermann's Merlin hat die Idee des Teufels nicht tief genug gefaßt; der Dichter iſt nicht genug in den chriſtlichen Sinn des Mythos einge¬ drungen und zu ſehr bei gnoſtiſch kosmogoniſchen Phantaſieen ſtehen geblieben.
Die untermenſchliche Geſtaltung des Sataniſchen iſt im Weſentlichen von der antiken Satyrmaske ausgegangen, von welcher der einfache Bock wohl nur eine Conſequenz war Die Nachweiſe dafür hat J. Piper in ſeiner Mytho¬ logie und Symbolik der christlichen Kunst von den ältesten Zei¬ ten bis in's sechzehnte Jahrhundert, I., 1847, S. 404 — 6. gegeben. Nicolo Piſano bildete den Beelzebub in ſeinem jüngſten Gericht an der Kanzel zu Piſa 1260 als Satyr. Bis dahin hatte dieſe Formation geruhet. Im vierzehnten Jahrhundert finden wir ſie dann im Campo Santo Pisano in der Geſchichte des heiligen Ranieri von Neuem und von hier ab im ſteigendem Wachsthum. Auch der Löwe und der Drache (le cocodrill, Wurm, Orm, Lindwurm) wur¬ den Symbole des Sataniſchen. Weiterhin vermiſchten die Künſtler Thierformen nicht nur, ſondern ſelbſt todte Dinge, wie Fäſſer, Bierkrüge, Töpfe, mit Menſchenköpfen und Menſchengeſtalten auf das Seltſamſte miteinander. In ſol¬ chen muſiviſchen Compoſitionen wollten ſie die unendliche Abſurdität und Entzweiung des Böſen verſinnbilden. Welche Fülle traumhaft wunderlicher, bizarr grotesker Frazzen haben nicht Jeronymus Boſch, die Breughel, Teniers und Callot auf dieſem Gebiet erſchaffen! Solche phantaſtiſche Unförmlichkeit wandte man auch auf die Darſtellung der Verſuchungen von Heiligen durch Dämone an, die von ihnen Beſitz nehmen wollen, nicht weniger auf die Darſtellung der Hölle, die Qualen der Verdammten zu veranſchaulichen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><pbfacs="#f0398"n="376"/>
Vater in <hirendition="#aq">Robert le diable</hi>. <hirendition="#g">Immermann's</hi> Merlin hat<lb/>
die Idee des Teufels nicht tief genug gefaßt; der Dichter<lb/>
iſt nicht genug in den chriſtlichen Sinn des Mythos einge¬<lb/>
drungen und zu ſehr bei gnoſtiſch kosmogoniſchen Phantaſieen<lb/>ſtehen geblieben.</p><lb/><p>Die untermenſchliche Geſtaltung des Sataniſchen iſt im<lb/>
Weſentlichen von der antiken <hirendition="#g">Satyrmaske</hi> ausgegangen,<lb/>
von welcher der einfache Bock wohl nur eine Conſequenz<lb/>
war Die Nachweiſe dafür hat J. <hirendition="#g">Piper</hi> in ſeiner <hirendition="#aq">Mytho¬<lb/>
logie und Symbolik der christlichen Kunst von den ältesten Zei¬<lb/>
ten bis in's sechzehnte Jahrhundert, I</hi>., 1847, <hirendition="#aq">S</hi>. 404 — 6.<lb/>
gegeben. <hirendition="#g">Nicolo Piſano</hi> bildete den Beelzebub in ſeinem<lb/>
jüngſten Gericht an der Kanzel zu Piſa 1260 als Satyr.<lb/>
Bis dahin hatte dieſe Formation geruhet. Im vierzehnten<lb/>
Jahrhundert finden wir ſie dann im <hirendition="#aq">Campo Santo Pisano</hi><lb/>
in der Geſchichte des heiligen Ranieri von Neuem und von<lb/>
hier ab im ſteigendem Wachsthum. Auch der <hirendition="#g">Löwe</hi> und<lb/>
der <hirendition="#g">Drache</hi> (<hirendition="#aq">le cocodrill</hi>, Wurm, Orm, Lindwurm) wur¬<lb/>
den Symbole des Sataniſchen. Weiterhin vermiſchten die<lb/>
Künſtler Thierformen nicht nur, ſondern ſelbſt todte Dinge,<lb/>
wie Fäſſer, Bierkrüge, Töpfe, mit Menſchenköpfen und<lb/>
Menſchengeſtalten auf das Seltſamſte miteinander. In ſol¬<lb/>
chen muſiviſchen Compoſitionen wollten ſie die unendliche<lb/>
Abſurdität und Entzweiung des Böſen verſinnbilden. Welche<lb/>
Fülle traumhaft wunderlicher, bizarr grotesker Frazzen haben<lb/>
nicht Jeronymus <hirendition="#g">Boſch</hi>, die <hirendition="#g">Breughel</hi>, <hirendition="#g">Teniers</hi> und<lb/><hirendition="#g">Callot</hi> auf dieſem Gebiet erſchaffen! Solche phantaſtiſche<lb/>
Unförmlichkeit wandte man auch auf die Darſtellung der<lb/>
Verſuchungen von Heiligen durch Dämone an, die von ihnen<lb/>
Beſitz nehmen wollen, nicht weniger auf die Darſtellung der<lb/>
Hölle, die Qualen der Verdammten zu veranſchaulichen.<lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[376/0398]
Vater in Robert le diable. Immermann's Merlin hat
die Idee des Teufels nicht tief genug gefaßt; der Dichter
iſt nicht genug in den chriſtlichen Sinn des Mythos einge¬
drungen und zu ſehr bei gnoſtiſch kosmogoniſchen Phantaſieen
ſtehen geblieben.
Die untermenſchliche Geſtaltung des Sataniſchen iſt im
Weſentlichen von der antiken Satyrmaske ausgegangen,
von welcher der einfache Bock wohl nur eine Conſequenz
war Die Nachweiſe dafür hat J. Piper in ſeiner Mytho¬
logie und Symbolik der christlichen Kunst von den ältesten Zei¬
ten bis in's sechzehnte Jahrhundert, I., 1847, S. 404 — 6.
gegeben. Nicolo Piſano bildete den Beelzebub in ſeinem
jüngſten Gericht an der Kanzel zu Piſa 1260 als Satyr.
Bis dahin hatte dieſe Formation geruhet. Im vierzehnten
Jahrhundert finden wir ſie dann im Campo Santo Pisano
in der Geſchichte des heiligen Ranieri von Neuem und von
hier ab im ſteigendem Wachsthum. Auch der Löwe und
der Drache (le cocodrill, Wurm, Orm, Lindwurm) wur¬
den Symbole des Sataniſchen. Weiterhin vermiſchten die
Künſtler Thierformen nicht nur, ſondern ſelbſt todte Dinge,
wie Fäſſer, Bierkrüge, Töpfe, mit Menſchenköpfen und
Menſchengeſtalten auf das Seltſamſte miteinander. In ſol¬
chen muſiviſchen Compoſitionen wollten ſie die unendliche
Abſurdität und Entzweiung des Böſen verſinnbilden. Welche
Fülle traumhaft wunderlicher, bizarr grotesker Frazzen haben
nicht Jeronymus Boſch, die Breughel, Teniers und
Callot auf dieſem Gebiet erſchaffen! Solche phantaſtiſche
Unförmlichkeit wandte man auch auf die Darſtellung der
Verſuchungen von Heiligen durch Dämone an, die von ihnen
Beſitz nehmen wollen, nicht weniger auf die Darſtellung der
Hölle, die Qualen der Verdammten zu veranſchaulichen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/398>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.