doctrinäre Theologie, aber gar nicht ein metaphysischer Zug. -- Der andere weltliche Ausgangspunct scheint in der Vorstel¬ lung des wilden Jägers zu liegen, der auf Bildern der Oberdeutschen Schule in grüner knapper Tracht mit spitzem Hut und einer Auerhahnfeder daran vorkommt und jenes lederfahle, magere, kniffige, spitzige, ins Satyrhafte schla¬ gende Gesicht, so wie jene länglicht dürren Hände und schlanken, skeletartigen Glieder hat, die ihm durch die Bilder von Retzsch, Arys Scheffer und durch die ihnen folgenden theatralischen Darstellungen zur stereotypen Maske bei uns geworden sind und über welchen "Baron mit falschen Waden" auch Seybertz in seinen Illustrationen zum Götheschen Faust nicht hinausgekommen ist. Da der wilde Teufel im Volksglauben der Teufel selber, eigentlich Othin, ist, so lag diese Form des Anthropomorphismus nahe. In Calderonsmagico prodigioso erscheint der Dämon, der den heiligen Cyprianus zu verführen trachtet, in voll¬ kommen menschlicher Gestalt. Bei den geistlichen Epikern wurde der Satan natürlich wieder in übermenschlicher Gestalt vorgeführt, bei Milton als ein kriegerischer Höllenfürst, bei Klopstock in Abbadonnah als ein von einem wehmüthigen Gefühl überhauchter Demiurgos.
Von dieser anthropomorphischen Incarnation des Teuf¬ lischen ist aber noch wiederum diejenige Form zu unter¬ scheiden, die es dadurch empfängt, daß der Mensch selber zum Teufel wird, was zwar nach einer seichten Moral und stupid gutmüthigen Theologie gar nicht möglich sein soll, factisch aber nur zu oft wirklich wird. Ja es ist entsetzlich, aber es ist wahr, daß wir Menschen uns gegen unsern göttlichen Ursprung empören und in dem Hunger nach Ich¬ heit unersättlich werden können. Nicht einzelne Momente
doctrinäre Theologie, aber gar nicht ein metaphyſiſcher Zug. — Der andere weltliche Ausgangspunct ſcheint in der Vorſtel¬ lung des wilden Jägers zu liegen, der auf Bildern der Oberdeutſchen Schule in grüner knapper Tracht mit ſpitzem Hut und einer Auerhahnfeder daran vorkommt und jenes lederfahle, magere, kniffige, ſpitzige, ins Satyrhafte ſchla¬ gende Geſicht, ſo wie jene länglicht dürren Hände und ſchlanken, ſkeletartigen Glieder hat, die ihm durch die Bilder von Retzſch, Arys Scheffer und durch die ihnen folgenden theatraliſchen Darſtellungen zur ſtereotypen Maske bei uns geworden ſind und über welchen „Baron mit falſchen Waden“ auch Seybertz in ſeinen Illuſtrationen zum Götheſchen Fauſt nicht hinausgekommen iſt. Da der wilde Teufel im Volksglauben der Teufel ſelber, eigentlich Othin, iſt, ſo lag dieſe Form des Anthropomorphismus nahe. In Calderonsmagico prodigioso erſcheint der Dämon, der den heiligen Cyprianus zu verführen trachtet, in voll¬ kommen menſchlicher Geſtalt. Bei den geiſtlichen Epikern wurde der Satan natürlich wieder in übermenſchlicher Geſtalt vorgeführt, bei Milton als ein kriegeriſcher Höllenfürſt, bei Klopſtock in Abbadonnah als ein von einem wehmüthigen Gefühl überhauchter Demiurgos.
Von dieſer anthropomorphiſchen Incarnation des Teuf¬ liſchen iſt aber noch wiederum diejenige Form zu unter¬ ſcheiden, die es dadurch empfängt, daß der Menſch ſelber zum Teufel wird, was zwar nach einer ſeichten Moral und ſtupid gutmüthigen Theologie gar nicht möglich ſein ſoll, factiſch aber nur zu oft wirklich wird. Ja es iſt entſetzlich, aber es iſt wahr, daß wir Menſchen uns gegen unſern göttlichen Urſprung empören und in dem Hunger nach Ich¬ heit unerſättlich werden können. Nicht einzelne Momente
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doctrinäre Theologie, aber gar nicht ein metaphyſiſcher Zug. —
Der andere weltliche Ausgangspunct ſcheint in der Vorſtel¬
lung des wilden Jägers zu liegen, der auf Bildern der
Oberdeutſchen Schule in grüner knapper Tracht mit ſpitzem
Hut und einer Auerhahnfeder daran vorkommt und jenes
lederfahle, magere, kniffige, ſpitzige, ins Satyrhafte ſchla¬
gende Geſicht, ſo wie jene länglicht dürren Hände und
ſchlanken, ſkeletartigen Glieder hat, die ihm durch die
Bilder von Retzſch, Arys Scheffer und durch die ihnen
folgenden theatraliſchen Darſtellungen zur ſtereotypen Maske
bei uns geworden ſind und über welchen „Baron mit
falſchen Waden“ auch Seybertz in ſeinen Illuſtrationen
zum Götheſchen Fauſt nicht hinausgekommen iſt. Da der
wilde Teufel im Volksglauben der Teufel ſelber, eigentlich
Othin, iſt, ſo lag dieſe Form des Anthropomorphismus nahe.
In Calderons magico prodigioso erſcheint der Dämon,
der den heiligen Cyprianus zu verführen trachtet, in voll¬
kommen menſchlicher Geſtalt. Bei den geiſtlichen Epikern
wurde der Satan natürlich wieder in übermenſchlicher Geſtalt
vorgeführt, bei Milton als ein kriegeriſcher Höllenfürſt, bei
Klopſtock in Abbadonnah als ein von einem wehmüthigen
Gefühl überhauchter Demiurgos.
Von dieſer anthropomorphiſchen Incarnation des Teuf¬
liſchen iſt aber noch wiederum diejenige Form zu unter¬
ſcheiden, die es dadurch empfängt, daß der Menſch ſelber
zum Teufel wird, was zwar nach einer ſeichten Moral und
ſtupid gutmüthigen Theologie gar nicht möglich ſein ſoll,
factiſch aber nur zu oft wirklich wird. Ja es iſt entſetzlich,
aber es iſt wahr, daß wir Menſchen uns gegen unſern
göttlichen Urſprung empören und in dem Hunger nach Ich¬
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/403>, abgerufen am 22.11.2024.
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