Wollen durch Worte kund zu thun. Und wie hätte man dies wieder besser gekonnt, als durch ungünstige Umstände, Verkennung, Noth, Armuth, sociale Mißstellung u. dgl. So kommt denn eine traurige Gelegenheit nach der andern, der undankbaren Welt, die solche Genies zu besitzen eigentlich gar nicht werth ist, gehörig die Wahrheit zu sagen und dem Stolz des empörten Geistes genug zu thun, der denn doch nicht stolz genug ist, auf den Beifall der so tief verachteten Welt zu resigniren. Seit Göthe's Tasso und Oelenschlägers Correggio ist wohl kaum noch ein einigermaaßen renommirter Künstler übrig, der nicht in der einen oder andern Form zu einem weltschmerzlichen Ideal umgedichtet wäre, das von der Caricatur immer nur um eine Linie entfernt ist, wofern es nicht ganz hineinfällt. Eines der vielbesprochensten dieser edlen Zerrbilder ist der Chatterton von Alfred de Vigny, nach dessen Aufführung im Theater Francais Jules Janin in Lewalds Allgemeiner Theaterevue, II., 1836, S. 218. sagte: "Dieser Chatterton ist eine Art von talentvollem Narren, den die Eitelkeit in's Verderben stürzt. Anstatt mit Bewußtsein und Muth, wie ein Mann, der für sich eine Zukunft sieht, an's Werk zu gehen, beginnt Chatterton über Menschen und Welt zu klagen. An einem schönen Tage tödtet er sich, weil er nicht länger warten will. Aller¬ dings ist dies beklagenswerth, allein zugleich ist es ein trau¬ riges Beispiel, das nie den Stoff zu einer kläglichen Elegie hätte geben sollen. Ueberhaupt sagt man es nicht genug den jungen Leuten, daß die Gesellschaft denen nichts schuldig ist, die nichts für sie gethan haben. Sie glauben sogleich, wenn sie einige Verse oder Prosa im Kopfe spüren, daß die Welt ihnen mit offenen Armen und offenen Börsen ent¬ gegenkommen soll, während sie der Welt entgegenkommen
Wollen durch Worte kund zu thun. Und wie hätte man dies wieder beſſer gekonnt, als durch ungünſtige Umſtände, Verkennung, Noth, Armuth, ſociale Mißſtellung u. dgl. So kommt denn eine traurige Gelegenheit nach der andern, der undankbaren Welt, die ſolche Genies zu beſitzen eigentlich gar nicht werth iſt, gehörig die Wahrheit zu ſagen und dem Stolz des empörten Geiſtes genug zu thun, der denn doch nicht ſtolz genug iſt, auf den Beifall der ſo tief verachteten Welt zu reſigniren. Seit Göthe's Taſſo und Oelenſchlägers Correggio iſt wohl kaum noch ein einigermaaßen renommirter Künſtler übrig, der nicht in der einen oder andern Form zu einem weltſchmerzlichen Ideal umgedichtet wäre, das von der Caricatur immer nur um eine Linie entfernt iſt, wofern es nicht ganz hineinfällt. Eines der vielbeſprochenſten dieſer edlen Zerrbilder iſt der Chatterton von Alfred de Vigny, nach deſſen Aufführung im Theater Français Jules Janin in Lewalds Allgemeiner Theaterevue, II., 1836, S. 218. ſagte: „Dieſer Chatterton iſt eine Art von talentvollem Narren, den die Eitelkeit in's Verderben ſtürzt. Anſtatt mit Bewußtſein und Muth, wie ein Mann, der für ſich eine Zukunft ſieht, an's Werk zu gehen, beginnt Chatterton über Menſchen und Welt zu klagen. An einem ſchönen Tage tödtet er ſich, weil er nicht länger warten will. Aller¬ dings iſt dies beklagenswerth, allein zugleich iſt es ein trau¬ riges Beiſpiel, das nie den Stoff zu einer kläglichen Elegie hätte geben ſollen. Ueberhaupt ſagt man es nicht genug den jungen Leuten, daß die Geſellſchaft denen nichts ſchuldig iſt, die nichts für ſie gethan haben. Sie glauben ſogleich, wenn ſie einige Verſe oder Proſa im Kopfe ſpüren, daß die Welt ihnen mit offenen Armen und offenen Börſen ent¬ gegenkommen ſoll, während ſie der Welt entgegenkommen
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Wollen durch Worte kund zu thun. Und wie hätte man
dies wieder beſſer gekonnt, als durch ungünſtige Umſtände,
Verkennung, Noth, Armuth, ſociale Mißſtellung u. dgl.
So kommt denn eine traurige Gelegenheit nach der andern,
der undankbaren Welt, die ſolche Genies zu beſitzen eigentlich
gar nicht werth iſt, gehörig die Wahrheit zu ſagen und dem
Stolz des empörten Geiſtes genug zu thun, der denn doch
nicht ſtolz genug iſt, auf den Beifall der ſo tief verachteten
Welt zu reſigniren. Seit Göthe's Taſſo und Oelenſchlägers
Correggio iſt wohl kaum noch ein einigermaaßen renommirter
Künſtler übrig, der nicht in der einen oder andern Form zu
einem weltſchmerzlichen Ideal umgedichtet wäre, das von
der Caricatur immer nur um eine Linie entfernt iſt, wofern
es nicht ganz hineinfällt. Eines der vielbeſprochenſten dieſer
edlen Zerrbilder iſt der Chatterton von Alfred de Vigny,
nach deſſen Aufführung im Theater Français Jules Janin
in Lewalds Allgemeiner Theaterevue, II., 1836, S. 218.
ſagte: „Dieſer Chatterton iſt eine Art von talentvollem
Narren, den die Eitelkeit in's Verderben ſtürzt. Anſtatt
mit Bewußtſein und Muth, wie ein Mann, der für ſich
eine Zukunft ſieht, an's Werk zu gehen, beginnt Chatterton
über Menſchen und Welt zu klagen. An einem ſchönen
Tage tödtet er ſich, weil er nicht länger warten will. Aller¬
dings iſt dies beklagenswerth, allein zugleich iſt es ein trau¬
riges Beiſpiel, das nie den Stoff zu einer kläglichen Elegie
hätte geben ſollen. Ueberhaupt ſagt man es nicht genug
den jungen Leuten, daß die Geſellſchaft denen nichts ſchuldig
iſt, die nichts für ſie gethan haben. Sie glauben ſogleich,
wenn ſie einige Verſe oder Proſa im Kopfe ſpüren, daß
die Welt ihnen mit offenen Armen und offenen Börſen ent¬
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/432>, abgerufen am 21.11.2024.
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