wir nicht, nachzuschlagen -- und wer hat auch die Werke immer zur Hand! Ohne meinen geehrten Lesern daraus einen Vorwurf zu machen, bin ich überdem gewiß, daß die Meisten derselben bis zu dem Augen¬ blick, der sie hier darauf führt, von diesem Grab der Tänzerin bei Göthe gar nichts gewußt haben, weil diese kleinen Arbeiten Göthe's überhaupt wenig gelesen werden.
(78) S. 352. Es gibt eine ganze Gruppe von Lustspielen und Operetten, die darauf basirt sind. Die Wiener Posse hat z. B. in dem: rosenfarbenen Geist, eine äußerst komische und heitere Anwendung davon gemacht. Unter Anderm erscheint der Leichenzug auf der Bühne. Der Verstorbene geht, ganz in Rosa gekleidet, als Geist mit einem Gesangbuch und einem Sacktuch in der Hand selbst unter den Leidtragenden mit, trauert über sich selbst u. s. w.
(79) S. 356. Ruge's Neue Vorschule S. 106: "Alle Häßlichkeit der Poesie und sonstiger Kunst, der Gesinnung und That, gewinnt wirklich nur ein Scheindasein, eine scheinbare Wirklichkeit des Geistes, das Scheindasein des Gespenstes. Das Gespenst ist Erschei¬ nung, aber nicht die wahre und wirkliche Erscheinung des Geistes, also vielmehr nicht Erscheinung" u. s. w.
(80) S. 363. Auch Göthe, im funfzehnten Buch seiner Autobiographie, sagt, daß die Titanen die Folie des Polytheismus seien, wie der Teufel die Folie des Monotheismus und daß der Teufel keine poetische Figur sei. Aber eben als Folie wird er, was er nicht in sich selbst ist, ein Moment der Poesie und der Kunst. Alles Häßliche, als solches, ist unschön, unpoetisch, unkünstlerisch. Aber innerhalb eines gewissen Zusammenhangs, unter gewissen Bedingungen, wird es ästhetisch möglich und wirksam. Cain z. B., der Bruder¬ mörder, ist für sich abscheulich; Lucifer, der ihn sophistisch irrt, für sich abscheulich; aber in Byrons Mysterium Cain wird Cain durch Abel, Adah und Zillah und Lucifer durch Cain poetisch. Uebrigens ist die Satanologie des Christenthums auch noch eine andere, als die des einfachen Monotheismus.
(81) S. 371. Uebersetzt in Tieck, Vorschule Shakespeare's, Bd. I. Ulrici, über Shakespeare's dramatische Kunst, 1839, S. 221. sagt von den Hexen im Macbeth sehr richtig: "Seine Hexen sind Zwit¬ tergeschöpfe, halb naturmächtige, der Nachtseite der irdischen Schöpfung angehörige Wesen, halb abgefallene, im Bösen versunkene, gemeine Menschengeister; sie sind das Echo des Bösen, das aus der Brust und dem Geisterreiche dem Bösen in der Brust des Menschen antwortet, es hervorlockt, zu Entschluß und That entwickeln und ausbilden hilft."
wir nicht, nachzuſchlagen — und wer hat auch die Werke immer zur Hand! Ohne meinen geehrten Leſern daraus einen Vorwurf zu machen, bin ich überdem gewiß, daß die Meiſten derſelben bis zu dem Augen¬ blick, der ſie hier darauf führt, von dieſem Grab der Tänzerin bei Göthe gar nichts gewußt haben, weil dieſe kleinen Arbeiten Göthe's überhaupt wenig geleſen werden.
(78) S. 352. Es gibt eine ganze Gruppe von Luſtſpielen und Operetten, die darauf baſirt ſind. Die Wiener Poſſe hat z. B. in dem: roſenfarbenen Geiſt, eine äußerſt komiſche und heitere Anwendung davon gemacht. Unter Anderm erſcheint der Leichenzug auf der Bühne. Der Verſtorbene geht, ganz in Roſa gekleidet, als Geiſt mit einem Geſangbuch und einem Sacktuch in der Hand ſelbſt unter den Leidtragenden mit, trauert über ſich ſelbſt u. ſ. w.
(79) S. 356. Ruge's Neue Vorſchule S. 106: „Alle Häßlichkeit der Poeſie und ſonſtiger Kunſt, der Geſinnung und That, gewinnt wirklich nur ein Scheindaſein, eine ſcheinbare Wirklichkeit des Geiſtes, das Scheindaſein des Geſpenſtes. Das Geſpenſt iſt Erſchei¬ nung, aber nicht die wahre und wirkliche Erſcheinung des Geiſtes, alſo vielmehr nicht Erſcheinung“ u. ſ. w.
(80) S. 363. Auch Göthe, im funfzehnten Buch ſeiner Autobiographie, ſagt, daß die Titanen die Folie des Polytheismus ſeien, wie der Teufel die Folie des Monotheismus und daß der Teufel keine poetiſche Figur ſei. Aber eben als Folie wird er, was er nicht in ſich ſelbſt iſt, ein Moment der Poeſie und der Kunſt. Alles Häßliche, als ſolches, iſt unſchön, unpoetiſch, unkünſtleriſch. Aber innerhalb eines gewiſſen Zuſammenhangs, unter gewiſſen Bedingungen, wird es äſthetiſch möglich und wirkſam. Cain z. B., der Bruder¬ mörder, iſt für ſich abſcheulich; Lucifer, der ihn ſophiſtiſch irrt, für ſich abſcheulich; aber in Byrons Myſterium Cain wird Cain durch Abel, Adah und Zillah und Lucifer durch Cain poetiſch. Uebrigens iſt die Satanologie des Chriſtenthums auch noch eine andere, als die des einfachen Monotheismus.
(81) S. 371. Ueberſetzt in Tieck, Vorſchule Shakeſpeare's, Bd. I. Ulrici, über Shakeſpeare's dramatiſche Kunſt, 1839, S. 221. ſagt von den Hexen im Macbeth ſehr richtig: „Seine Hexen ſind Zwit¬ tergeſchöpfe, halb naturmächtige, der Nachtſeite der irdiſchen Schöpfung angehörige Weſen, halb abgefallene, im Böſen verſunkene, gemeine Menſchengeiſter; ſie ſind das Echo des Böſen, das aus der Bruſt und dem Geiſterreiche dem Böſen in der Bruſt des Menſchen antwortet, es hervorlockt, zu Entſchluß und That entwickeln und ausbilden hilft.“
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wir nicht, nachzuſchlagen — und wer hat auch die Werke immer zur
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bin ich überdem gewiß, daß die Meiſten derſelben bis zu dem Augen¬
blick, der ſie hier darauf führt, von dieſem Grab der Tänzerin bei
Göthe gar nichts gewußt haben, weil dieſe kleinen Arbeiten Göthe's
überhaupt wenig geleſen werden.
(78) S. 352. Es gibt eine ganze Gruppe von Luſtſpielen
und Operetten, die darauf baſirt ſind. Die Wiener Poſſe hat z. B.
in dem: roſenfarbenen Geiſt, eine äußerſt komiſche und heitere
Anwendung davon gemacht. Unter Anderm erſcheint der Leichenzug
auf der Bühne. Der Verſtorbene geht, ganz in Roſa gekleidet, als
Geiſt mit einem Geſangbuch und einem Sacktuch in der Hand ſelbſt
unter den Leidtragenden mit, trauert über ſich ſelbſt u. ſ. w.
(79) S. 356. Ruge's Neue Vorſchule S. 106: „Alle
Häßlichkeit der Poeſie und ſonſtiger Kunſt, der Geſinnung und That,
gewinnt wirklich nur ein Scheindaſein, eine ſcheinbare Wirklichkeit des
Geiſtes, das Scheindaſein des Geſpenſtes. Das Geſpenſt iſt Erſchei¬
nung, aber nicht die wahre und wirkliche Erſcheinung des Geiſtes, alſo
vielmehr nicht Erſcheinung“ u. ſ. w.
(80) S. 363. Auch Göthe, im funfzehnten Buch ſeiner
Autobiographie, ſagt, daß die Titanen die Folie des Polytheismus
ſeien, wie der Teufel die Folie des Monotheismus und daß der Teufel
keine poetiſche Figur ſei. Aber eben als Folie wird er, was er
nicht in ſich ſelbſt iſt, ein Moment der Poeſie und der Kunſt. Alles
Häßliche, als ſolches, iſt unſchön, unpoetiſch, unkünſtleriſch. Aber
innerhalb eines gewiſſen Zuſammenhangs, unter gewiſſen Bedingungen,
wird es äſthetiſch möglich und wirkſam. Cain z. B., der Bruder¬
mörder, iſt für ſich abſcheulich; Lucifer, der ihn ſophiſtiſch irrt, für
ſich abſcheulich; aber in Byrons Myſterium Cain wird Cain durch
Abel, Adah und Zillah und Lucifer durch Cain poetiſch. Uebrigens
iſt die Satanologie des Chriſtenthums auch noch eine andere, als die
des einfachen Monotheismus.
(81) S. 371. Ueberſetzt in Tieck, Vorſchule Shakeſpeare's,
Bd. I. Ulrici, über Shakeſpeare's dramatiſche Kunſt, 1839, S. 221.
ſagt von den Hexen im Macbeth ſehr richtig: „Seine Hexen ſind Zwit¬
tergeſchöpfe, halb naturmächtige, der Nachtſeite der irdiſchen Schöpfung
angehörige Weſen, halb abgefallene, im Böſen verſunkene, gemeine
Menſchengeiſter; ſie ſind das Echo des Böſen, das aus der Bruſt und
dem Geiſterreiche dem Böſen in der Bruſt des Menſchen antwortet, es
hervorlockt, zu Entſchluß und That entwickeln und ausbilden hilft.“
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/481>, abgerufen am 21.11.2024.
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