Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

rige Curosität. Nur in der Combination mit dem Schönen
erlaubt die Kunst dem Häßlichen das Dasein; in dieser Ver¬
bindung aber kann es große Wirkungen hervorbringen. Die
Kunst bedarf seiner nicht nur zur Vollständigkeit der Welt¬
erfassung, sondern vorzüglich auch zur Wendung einer Hand¬
lung in's Tragische oder in's Komische.

Wenn nun die Kunst das Häßliche darstellt, so würde
es, wie es scheint, gegen den Begriff desselben sein, es zu
verschönen, denn in diesem Fall wäre ja das Häßliche nicht
mehr häßlich, ganz abgesehen davon, ob nicht ein Verschönen
des Häßlichen, als das sophistische Wegkünsteln einer ästheti¬
schen Lüge, nicht noch ein Häßliches mehr durch den innern
Widerspruch hervorbringen würde, das Häßliche, also die Ne¬
gation des Schönen, doch wieder schön zu bilden, ihm folg¬
lich etwas Positives anzulügen, was gegen seine Natur ist
und schließlich eine Caricatur des Häßlichen, einen Wider¬
spruch des Widerspruchs, zu erzeugen. So scheint es, wie
gesagt, und doch ist es wahr, daß die Kunst auch das Hä߬
liche idealisiren, d. h. nach den allgemeinen Gesetzen des
Schönen, die es durch seine Existenz verletzt, behandeln muß;
nicht, als sollte die Kunst das Häßliche verbergen, verkleiden,
verfälschen, mit ihm fremden Ausputz verzieren, wohl aber
dasselbe, der Wahrheit unbeschadet, nach dem Maaß seiner
ästhetischen Bedeutung gestalten. Dies ist nothwendig, denn
die Kunst verfährt in dieser Weise mit aller Wirklichkeit.
Die Natur, welche die Kunst uns darstellt, ist die wirkliche
und doch nicht die gemein empirische Natur. Sie ist die
Natur, wie sie sein würde, wenn ihre Endlichkeit ihr solche
Vollendung gestattete. Und so ist die Geschichte, welche die
Kunst uns gibt, die wirkliche und doch nicht die gemein
empirische Geschichte. Sie ist die Geschichte nach ihrem

rige Curoſität. Nur in der Combination mit dem Schönen
erlaubt die Kunſt dem Häßlichen das Daſein; in dieſer Ver¬
bindung aber kann es große Wirkungen hervorbringen. Die
Kunſt bedarf ſeiner nicht nur zur Vollſtändigkeit der Welt¬
erfaſſung, ſondern vorzüglich auch zur Wendung einer Hand¬
lung in's Tragiſche oder in's Komiſche.

Wenn nun die Kunſt das Häßliche darſtellt, ſo würde
es, wie es ſcheint, gegen den Begriff deſſelben ſein, es zu
verſchönen, denn in dieſem Fall wäre ja das Häßliche nicht
mehr häßlich, ganz abgeſehen davon, ob nicht ein Verſchönen
des Häßlichen, als das ſophiſtiſche Wegkünſteln einer äſtheti¬
ſchen Lüge, nicht noch ein Häßliches mehr durch den innern
Widerſpruch hervorbringen würde, das Häßliche, alſo die Ne¬
gation des Schönen, doch wieder ſchön zu bilden, ihm folg¬
lich etwas Poſitives anzulügen, was gegen ſeine Natur iſt
und ſchließlich eine Caricatur des Häßlichen, einen Wider¬
ſpruch des Widerſpruchs, zu erzeugen. So ſcheint es, wie
geſagt, und doch iſt es wahr, daß die Kunſt auch das Hä߬
liche idealiſiren, d. h. nach den allgemeinen Geſetzen des
Schönen, die es durch ſeine Exiſtenz verletzt, behandeln muß;
nicht, als ſollte die Kunſt das Häßliche verbergen, verkleiden,
verfälſchen, mit ihm fremden Ausputz verzieren, wohl aber
daſſelbe, der Wahrheit unbeſchadet, nach dem Maaß ſeiner
äſthetiſchen Bedeutung geſtalten. Dies iſt nothwendig, denn
die Kunſt verfährt in dieſer Weiſe mit aller Wirklichkeit.
Die Natur, welche die Kunſt uns darſtellt, iſt die wirkliche
und doch nicht die gemein empiriſche Natur. Sie iſt die
Natur, wie ſie ſein würde, wenn ihre Endlichkeit ihr ſolche
Vollendung geſtattete. Und ſo iſt die Geſchichte, welche die
Kunſt uns gibt, die wirkliche und doch nicht die gemein
empiriſche Geſchichte. Sie iſt die Geſchichte nach ihrem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0064" n="42"/>
rige Curo&#x017F;ität. Nur in der Combination mit dem Schönen<lb/>
erlaubt die Kun&#x017F;t dem Häßlichen das Da&#x017F;ein; in die&#x017F;er Ver¬<lb/>
bindung aber kann es große Wirkungen hervorbringen. Die<lb/>
Kun&#x017F;t bedarf &#x017F;einer nicht nur zur Voll&#x017F;tändigkeit der Welt¬<lb/>
erfa&#x017F;&#x017F;ung, &#x017F;ondern vorzüglich auch zur Wendung einer Hand¬<lb/>
lung in's Tragi&#x017F;che oder in's Komi&#x017F;che.</p><lb/>
          <p>Wenn nun die Kun&#x017F;t das Häßliche dar&#x017F;tellt, &#x017F;o würde<lb/>
es, wie es &#x017F;cheint, gegen den Begriff de&#x017F;&#x017F;elben &#x017F;ein, es zu<lb/>
ver&#x017F;chönen, denn in die&#x017F;em Fall wäre ja das Häßliche nicht<lb/>
mehr häßlich, ganz abge&#x017F;ehen davon, ob nicht ein Ver&#x017F;chönen<lb/>
des Häßlichen, als das &#x017F;ophi&#x017F;ti&#x017F;che Wegkün&#x017F;teln einer ä&#x017F;theti¬<lb/>
&#x017F;chen Lüge, nicht noch ein Häßliches mehr durch den innern<lb/>
Wider&#x017F;pruch hervorbringen würde, das Häßliche, al&#x017F;o die Ne¬<lb/>
gation des Schönen, doch wieder &#x017F;chön zu bilden, ihm folg¬<lb/>
lich etwas Po&#x017F;itives anzulügen, was gegen &#x017F;eine Natur i&#x017F;t<lb/>
und &#x017F;chließlich eine Caricatur des Häßlichen, einen Wider¬<lb/>
&#x017F;pruch des Wider&#x017F;pruchs, zu erzeugen. So &#x017F;cheint es, wie<lb/>
ge&#x017F;agt, und doch i&#x017F;t es wahr, daß die Kun&#x017F;t auch das Hä߬<lb/>
liche ideali&#x017F;iren, d. h. nach den allgemeinen Ge&#x017F;etzen des<lb/>
Schönen, die es durch &#x017F;eine Exi&#x017F;tenz verletzt, behandeln muß;<lb/>
nicht, als &#x017F;ollte die Kun&#x017F;t das Häßliche verbergen, verkleiden,<lb/>
verfäl&#x017F;chen, mit ihm fremden Ausputz verzieren, wohl aber<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe, der Wahrheit unbe&#x017F;chadet, nach dem Maaß &#x017F;einer<lb/>
ä&#x017F;theti&#x017F;chen Bedeutung ge&#x017F;talten. Dies i&#x017F;t nothwendig, denn<lb/>
die Kun&#x017F;t verfährt in die&#x017F;er Wei&#x017F;e mit aller Wirklichkeit.<lb/>
Die Natur, welche die Kun&#x017F;t uns dar&#x017F;tellt, i&#x017F;t die wirkliche<lb/>
und doch nicht die gemein empiri&#x017F;che Natur. Sie i&#x017F;t die<lb/>
Natur, wie &#x017F;ie &#x017F;ein würde, wenn ihre Endlichkeit ihr &#x017F;olche<lb/>
Vollendung ge&#x017F;tattete. Und &#x017F;o i&#x017F;t die Ge&#x017F;chichte, welche die<lb/>
Kun&#x017F;t uns gibt, die wirkliche und doch nicht die gemein<lb/>
empiri&#x017F;che Ge&#x017F;chichte. Sie i&#x017F;t die Ge&#x017F;chichte nach ihrem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0064] rige Curoſität. Nur in der Combination mit dem Schönen erlaubt die Kunſt dem Häßlichen das Daſein; in dieſer Ver¬ bindung aber kann es große Wirkungen hervorbringen. Die Kunſt bedarf ſeiner nicht nur zur Vollſtändigkeit der Welt¬ erfaſſung, ſondern vorzüglich auch zur Wendung einer Hand¬ lung in's Tragiſche oder in's Komiſche. Wenn nun die Kunſt das Häßliche darſtellt, ſo würde es, wie es ſcheint, gegen den Begriff deſſelben ſein, es zu verſchönen, denn in dieſem Fall wäre ja das Häßliche nicht mehr häßlich, ganz abgeſehen davon, ob nicht ein Verſchönen des Häßlichen, als das ſophiſtiſche Wegkünſteln einer äſtheti¬ ſchen Lüge, nicht noch ein Häßliches mehr durch den innern Widerſpruch hervorbringen würde, das Häßliche, alſo die Ne¬ gation des Schönen, doch wieder ſchön zu bilden, ihm folg¬ lich etwas Poſitives anzulügen, was gegen ſeine Natur iſt und ſchließlich eine Caricatur des Häßlichen, einen Wider¬ ſpruch des Widerſpruchs, zu erzeugen. So ſcheint es, wie geſagt, und doch iſt es wahr, daß die Kunſt auch das Hä߬ liche idealiſiren, d. h. nach den allgemeinen Geſetzen des Schönen, die es durch ſeine Exiſtenz verletzt, behandeln muß; nicht, als ſollte die Kunſt das Häßliche verbergen, verkleiden, verfälſchen, mit ihm fremden Ausputz verzieren, wohl aber daſſelbe, der Wahrheit unbeſchadet, nach dem Maaß ſeiner äſthetiſchen Bedeutung geſtalten. Dies iſt nothwendig, denn die Kunſt verfährt in dieſer Weiſe mit aller Wirklichkeit. Die Natur, welche die Kunſt uns darſtellt, iſt die wirkliche und doch nicht die gemein empiriſche Natur. Sie iſt die Natur, wie ſie ſein würde, wenn ihre Endlichkeit ihr ſolche Vollendung geſtattete. Und ſo iſt die Geſchichte, welche die Kunſt uns gibt, die wirkliche und doch nicht die gemein empiriſche Geſchichte. Sie iſt die Geſchichte nach ihrem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/64
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/64>, abgerufen am 27.11.2024.