rührung kommen. Kaliban hat daher, Prospero gegenüber, sogar ein Urrecht des Besitzes und weiß dies auch. Er ist also nicht blos ein Ungethüm, sondern er drückt eine weltge¬ schichtliche Idee aus. Aber noch mehr. Als ätherische Com¬ pensation hat ihm Shakespeare den Ariel hinzugefügt, wodurch uns einerseits das Täppische und Thierische des gezähmten Ungeheuers schärfer hervortritt, wir andrerseits aber auch uns über seine plumpe Massenhaftigkeit durch den Contrast des zierlichen Luftgeistes erhoben fühlen.
Eine besondere Frage könnte hier die Architektur durch ihre Ruinen veranlassen. Die Zertrümmerung eines Gebäudes sollte nämlich Häßlichkeit erwarten lassen; allein es wird, ob dies der Fall, theils von dem Bau, theils von der Art seiner Zerstörung abhängen. Der schöne Bau nämlich wird auch als Ruine noch die Größe seines Plans, die Kühnheit seiner Verhältnisse, den Reichthum und die Zierlichkeit seiner Aus¬ führung zeigen und unsere Phantasie wird unwillkürlich aus seinen Andeutungen wieder das Ganze herzustellen versuchen. Der häßliche Bau kann durch die Zertrümmerung gewinnen; seine Fragmente können phantastisch durcheinander geworfen werden, abgesehen davon, daß die Zerstörung des Häßlichen uns eine ästhetische Genugthuung gewährt. Allein es wird auch darauf ankommen, wie die Ruine beschaffen ist, wie die Trümmer durcheinandergeschleudert, welche Reste übrig ge¬ blieben sind. Ein winziger Steinhaufen, ein paar kahle Mauren gewähren noch keinen malerischen Anblick. Die Trümmer einer Scheune, eines Viehstalls werden selbst in Mondscheinbeleuchtung uns nicht interessiren; ein Palast hingegen, ein Kloster, eine Ritterburg werden uns romantisch erscheinen. Daß die Ruine als schön erscheinen kann, wird endlich nicht nur durch die urspünglichen Verhältnisse des
rührung kommen. Kaliban hat daher, Prospero gegenüber, ſogar ein Urrecht des Beſitzes und weiß dies auch. Er iſt alſo nicht blos ein Ungethüm, ſondern er drückt eine weltge¬ ſchichtliche Idee aus. Aber noch mehr. Als ätheriſche Com¬ penſation hat ihm Shakeſpeare den Ariel hinzugefügt, wodurch uns einerſeits das Täppiſche und Thieriſche des gezähmten Ungeheuers ſchärfer hervortritt, wir andrerſeits aber auch uns über ſeine plumpe Maſſenhaftigkeit durch den Contraſt des zierlichen Luftgeiſtes erhoben fühlen.
Eine beſondere Frage könnte hier die Architektur durch ihre Ruinen veranlaſſen. Die Zertrümmerung eines Gebäudes ſollte nämlich Häßlichkeit erwarten laſſen; allein es wird, ob dies der Fall, theils von dem Bau, theils von der Art ſeiner Zerſtörung abhängen. Der ſchöne Bau nämlich wird auch als Ruine noch die Größe ſeines Plans, die Kühnheit ſeiner Verhältniſſe, den Reichthum und die Zierlichkeit ſeiner Aus¬ führung zeigen und unſere Phantaſie wird unwillkürlich aus ſeinen Andeutungen wieder das Ganze herzuſtellen verſuchen. Der häßliche Bau kann durch die Zertrümmerung gewinnen; ſeine Fragmente können phantaſtiſch durcheinander geworfen werden, abgeſehen davon, daß die Zerſtörung des Häßlichen uns eine äſthetiſche Genugthuung gewährt. Allein es wird auch darauf ankommen, wie die Ruine beſchaffen iſt, wie die Trümmer durcheinandergeſchleudert, welche Reſte übrig ge¬ blieben ſind. Ein winziger Steinhaufen, ein paar kahle Mauren gewähren noch keinen maleriſchen Anblick. Die Trümmer einer Scheune, eines Viehſtalls werden ſelbſt in Mondſcheinbeleuchtung uns nicht intereſſiren; ein Palaſt hingegen, ein Kloſter, eine Ritterburg werden uns romantiſch erſcheinen. Daß die Ruine als ſchön erſcheinen kann, wird endlich nicht nur durch die urſpünglichen Verhältniſſe des
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0068"n="46"/>
rührung kommen. Kaliban hat daher, Prospero gegenüber,<lb/>ſogar ein Urrecht des Beſitzes und weiß dies auch. Er iſt<lb/>
alſo nicht blos ein Ungethüm, ſondern er drückt eine weltge¬<lb/>ſchichtliche Idee aus. Aber noch mehr. Als ätheriſche Com¬<lb/>
penſation hat ihm <hirendition="#g">Shakeſpeare</hi> den Ariel hinzugefügt,<lb/>
wodurch uns einerſeits das Täppiſche und Thieriſche des<lb/>
gezähmten Ungeheuers ſchärfer hervortritt, wir andrerſeits<lb/>
aber auch uns über ſeine plumpe Maſſenhaftigkeit durch den<lb/>
Contraſt des zierlichen Luftgeiſtes erhoben fühlen.</p><lb/><p>Eine beſondere Frage könnte hier die Architektur durch<lb/>
ihre Ruinen veranlaſſen. Die Zertrümmerung eines Gebäudes<lb/>ſollte nämlich Häßlichkeit erwarten laſſen; allein es wird, ob<lb/>
dies der Fall, theils von dem Bau, theils von der Art ſeiner<lb/>
Zerſtörung abhängen. Der ſchöne Bau nämlich wird auch<lb/>
als Ruine noch die Größe ſeines Plans, die Kühnheit ſeiner<lb/>
Verhältniſſe, den Reichthum und die Zierlichkeit ſeiner Aus¬<lb/>
führung zeigen und unſere Phantaſie wird unwillkürlich aus<lb/>ſeinen Andeutungen wieder das Ganze herzuſtellen verſuchen.<lb/>
Der häßliche Bau kann durch die Zertrümmerung gewinnen;<lb/>ſeine Fragmente können phantaſtiſch durcheinander geworfen<lb/>
werden, abgeſehen davon, daß die Zerſtörung des Häßlichen<lb/>
uns eine äſthetiſche Genugthuung gewährt. Allein es wird<lb/>
auch darauf ankommen, wie die Ruine beſchaffen iſt, wie die<lb/>
Trümmer durcheinandergeſchleudert, welche Reſte übrig ge¬<lb/>
blieben ſind. Ein winziger Steinhaufen, ein paar kahle<lb/>
Mauren gewähren noch keinen maleriſchen Anblick. Die<lb/>
Trümmer einer Scheune, eines Viehſtalls werden ſelbſt in<lb/>
Mondſcheinbeleuchtung uns nicht intereſſiren; ein Palaſt<lb/>
hingegen, ein Kloſter, eine Ritterburg werden uns romantiſch<lb/>
erſcheinen. Daß die Ruine als ſchön erſcheinen kann, wird<lb/>
endlich nicht nur durch die urſpünglichen Verhältniſſe des<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[46/0068]
rührung kommen. Kaliban hat daher, Prospero gegenüber,
ſogar ein Urrecht des Beſitzes und weiß dies auch. Er iſt
alſo nicht blos ein Ungethüm, ſondern er drückt eine weltge¬
ſchichtliche Idee aus. Aber noch mehr. Als ätheriſche Com¬
penſation hat ihm Shakeſpeare den Ariel hinzugefügt,
wodurch uns einerſeits das Täppiſche und Thieriſche des
gezähmten Ungeheuers ſchärfer hervortritt, wir andrerſeits
aber auch uns über ſeine plumpe Maſſenhaftigkeit durch den
Contraſt des zierlichen Luftgeiſtes erhoben fühlen.
Eine beſondere Frage könnte hier die Architektur durch
ihre Ruinen veranlaſſen. Die Zertrümmerung eines Gebäudes
ſollte nämlich Häßlichkeit erwarten laſſen; allein es wird, ob
dies der Fall, theils von dem Bau, theils von der Art ſeiner
Zerſtörung abhängen. Der ſchöne Bau nämlich wird auch
als Ruine noch die Größe ſeines Plans, die Kühnheit ſeiner
Verhältniſſe, den Reichthum und die Zierlichkeit ſeiner Aus¬
führung zeigen und unſere Phantaſie wird unwillkürlich aus
ſeinen Andeutungen wieder das Ganze herzuſtellen verſuchen.
Der häßliche Bau kann durch die Zertrümmerung gewinnen;
ſeine Fragmente können phantaſtiſch durcheinander geworfen
werden, abgeſehen davon, daß die Zerſtörung des Häßlichen
uns eine äſthetiſche Genugthuung gewährt. Allein es wird
auch darauf ankommen, wie die Ruine beſchaffen iſt, wie die
Trümmer durcheinandergeſchleudert, welche Reſte übrig ge¬
blieben ſind. Ein winziger Steinhaufen, ein paar kahle
Mauren gewähren noch keinen maleriſchen Anblick. Die
Trümmer einer Scheune, eines Viehſtalls werden ſelbſt in
Mondſcheinbeleuchtung uns nicht intereſſiren; ein Palaſt
hingegen, ein Kloſter, eine Ritterburg werden uns romantiſch
erſcheinen. Daß die Ruine als ſchön erſcheinen kann, wird
endlich nicht nur durch die urſpünglichen Verhältniſſe des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/68>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.