Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.dem Versöhner der Menschen. men Tyrannen verglichen werden, der keines Men-schen schont, und eine allgemeine Herrschaft über das menschliche Geschlecht ausübt. Wenigstens ist dem Menschen, der nach diesen Leben nichts bes- sers zu hoffen hat, nichts auf der Welt so schreck- lich und fürchterlich als der Tod. Alle Freude des Lebens wird ihm vergällt, Angst und Furcht über- fällt ihn mitten unter dem Genuß der angenehm- sten Vergnügungen, wann ihm der traurige Ge- danke beyfällt, daß er einmahl, und vielleicht bald, das Irdische verlaßen muß. Und wenn sich nun mit dem Tode des Leibes mein Daseyn auf immer en- digen, wenn ich vielleicht in einen noch elendern Zustand versetzt werden sollte, wäre mir dann nicht beßer, daß ich gar nicht gebohren wäre? So denkt der Mensch, der sich seiner elenden Beschaf- fenheit bewust ist. Der Heyde, der sich nicht ge- trauete eine seelige Unsterblichkeit nach diesem Leben zu erwarten, konnte sich nichts erschrecklichers den- ken, als den grauenvollen Augenblick, da er Den- ken, Empfinden und Leben auf ewig verlieren soll- te. Der Jude fürchtet, in seinen letzten Todes- stunden möchte ihn der fürchterliche Anblick des To- desengels aus aller Faßung bringen, wenn er nun sein Gift in ihn treufeln, und die Seele vom Leibe absondern werde, und man hat die Anmerkung ge- macht, daß unter allen Völkern sich keines so sehr für den Tod fürchte, als die Juden. Und man frage doch einen ieden Menschen, der seiner künf- tigen Seeligkeit nicht ganz gewiß in seinem Herzen versichert ist, ob ihm nicht der Tod das Schreck- lichste unter allen schrecklichen Dingen sey? Wenn er
dem Verſöhner der Menſchen. men Tyrannen verglichen werden, der keines Men-ſchen ſchont, und eine allgemeine Herrſchaft über das menſchliche Geſchlecht ausübt. Wenigſtens iſt dem Menſchen, der nach dieſen Leben nichts beſ- ſers zu hoffen hat, nichts auf der Welt ſo ſchreck- lich und fürchterlich als der Tod. Alle Freude des Lebens wird ihm vergällt, Angſt und Furcht über- fällt ihn mitten unter dem Genuß der angenehm- ſten Vergnügungen, wann ihm der traurige Ge- danke beyfällt, daß er einmahl, und vielleicht bald, das Irdiſche verlaßen muß. Und wenn ſich nun mit dem Tode des Leibes mein Daſeyn auf immer en- digen, wenn ich vielleicht in einen noch elendern Zuſtand verſetzt werden ſollte, wäre mir dann nicht beßer, daß ich gar nicht gebohren wäre? So denkt der Menſch, der ſich ſeiner elenden Beſchaf- fenheit bewuſt iſt. Der Heyde, der ſich nicht ge- trauete eine ſeelige Unſterblichkeit nach dieſem Leben zu erwarten, konnte ſich nichts erſchrecklichers den- ken, als den grauenvollen Augenblick, da er Den- ken, Empfinden und Leben auf ewig verlieren ſoll- te. Der Jude fürchtet, in ſeinen letzten Todes- ſtunden möchte ihn der fürchterliche Anblick des To- desengels aus aller Faßung bringen, wenn er nun ſein Gift in ihn treufeln, und die Seele vom Leibe abſondern werde, und man hat die Anmerkung ge- macht, daß unter allen Völkern ſich keines ſo ſehr für den Tod fürchte, als die Juden. Und man frage doch einen ieden Menſchen, der ſeiner künf- tigen Seeligkeit nicht ganz gewiß in ſeinem Herzen verſichert iſt, ob ihm nicht der Tod das Schreck- lichſte unter allen ſchrecklichen Dingen ſey? Wenn er
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das menſchliche Geſchlecht ausübt. Wenigſtens iſt
dem Menſchen, der nach dieſen Leben nichts beſ-
ſers zu hoffen hat, nichts auf der Welt ſo ſchreck-
lich und fürchterlich als der Tod. Alle Freude des
Lebens wird ihm vergällt, Angſt und Furcht über-
fällt ihn mitten unter dem Genuß der angenehm-
ſten Vergnügungen, wann ihm der traurige Ge-
danke beyfällt, daß er einmahl, und vielleicht bald,
das Irdiſche verlaßen muß. Und wenn ſich nun mit
dem Tode des Leibes mein Daſeyn auf immer en-
digen, wenn ich vielleicht in einen noch elendern
Zuſtand verſetzt werden ſollte, wäre mir dann nicht
beßer, daß ich gar nicht gebohren wäre? So
denkt der Menſch, der ſich ſeiner elenden Beſchaf-
fenheit bewuſt iſt. Der Heyde, der ſich nicht ge-
trauete eine ſeelige Unſterblichkeit nach dieſem Leben
zu erwarten, konnte ſich nichts erſchrecklichers den-
ken, als den grauenvollen Augenblick, da er Den-
ken, Empfinden und Leben auf ewig verlieren ſoll-
te. Der Jude fürchtet, in ſeinen letzten Todes-
ſtunden möchte ihn der fürchterliche Anblick des To-
desengels aus aller Faßung bringen, wenn er nun
ſein Gift in ihn treufeln, und die Seele vom Leibe
abſondern werde, und man hat die Anmerkung ge-
macht, daß unter allen Völkern ſich keines ſo ſehr
für den Tod fürchte, als die Juden. Und man
frage doch einen ieden Menſchen, der ſeiner künf-
tigen Seeligkeit nicht ganz gewiß in ſeinem Herzen
verſichert iſt, ob ihm nicht der Tod das Schreck-
lichſte unter allen ſchrecklichen Dingen ſey? Wenn
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