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Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

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seiner selbst gebracht werde.
ihre Heucheley recht lebhaft vor Augen. Sie mu-
sten selbst das Urtheil über sich sprechen, daß sie
noch weit schlimmer wären, als dieienigen die von
ihnen für die grösten Sünder gehalten wurden.
Erst legte er ihnen ein Gleichnis vor: Es hatte
iemand, sprach er, zween Söhne, welchen beyden
er befahl in seinem Weinberge zu arbeiten. Der
eine gab ihm anfänglich eine sehr unbescheidene, un-
verschämte Antwort, und sagte gerade heraus, daß
er nicht gesonnen sey, den väterlichen Befehl zu
respectiren. Aber bald hernach gieng er in sich,
ließ sich sein Unrecht gereuen, und gieng wirklich
hin, in dem Weinberg zu arbeiten. Der andere
Sohn, an welchen der nemliche Befehl ergangen
war, schien anfänglich sehr bereitwillig zu seyn,
den Willen seines Vaters zu erfüllen, und versprach
gleich zu gehorchen. Aber er leisteste desto weni-
ger, und gieng nicht. Welcher von beyden war
nun dem Vater gehorsam? welcher von beyden der
Beßere? Die Antwort war natürlich. Der Er-
stere. Und hiemit sprachen sie das Urtheil über
sich selbst. Denn sie eben waren einem solchen un-
gehorsamen Sohn gleich, der mit Worten viel ver-
spricht, aber nicht anders, als ob er seines Vaters
nur spotten wollte, nichts von demienigen thut,
was ihm anbefohlen wird. Aeußerlich schienen sie
sehr bereitwillig zu seyn, den Willen Gottes zu thun.
Sie beschäftigten sich mit der Religion; sie wollten
andere lehren; und niemand schien mehr Eifer für
die Ehre Gottes zu haben als sie. In der That
aber waren sie von der wahren Gottesfurcht sehr
weit entfernt, stolz, neidisch, grausam, und

solchen

ſeiner ſelbſt gebracht werde.
ihre Heucheley recht lebhaft vor Augen. Sie mu-
ſten ſelbſt das Urtheil über ſich ſprechen, daß ſie
noch weit ſchlimmer wären, als dieienigen die von
ihnen für die gröſten Sünder gehalten wurden.
Erſt legte er ihnen ein Gleichnis vor: Es hatte
iemand, ſprach er, zween Söhne, welchen beyden
er befahl in ſeinem Weinberge zu arbeiten. Der
eine gab ihm anfänglich eine ſehr unbeſcheidene, un-
verſchämte Antwort, und ſagte gerade heraus, daß
er nicht geſonnen ſey, den väterlichen Befehl zu
reſpectiren. Aber bald hernach gieng er in ſich,
ließ ſich ſein Unrecht gereuen, und gieng wirklich
hin, in dem Weinberg zu arbeiten. Der andere
Sohn, an welchen der nemliche Befehl ergangen
war, ſchien anfänglich ſehr bereitwillig zu ſeyn,
den Willen ſeines Vaters zu erfüllen, und verſprach
gleich zu gehorchen. Aber er leiſteſte deſto weni-
ger, und gieng nicht. Welcher von beyden war
nun dem Vater gehorſam? welcher von beyden der
Beßere? Die Antwort war natürlich. Der Er-
ſtere. Und hiemit ſprachen ſie das Urtheil über
ſich ſelbſt. Denn ſie eben waren einem ſolchen un-
gehorſamen Sohn gleich, der mit Worten viel ver-
ſpricht, aber nicht anders, als ob er ſeines Vaters
nur ſpotten wollte, nichts von demienigen thut,
was ihm anbefohlen wird. Aeußerlich ſchienen ſie
ſehr bereitwillig zu ſeyn, den Willen Gottes zu thun.
Sie beſchäftigten ſich mit der Religion; ſie wollten
andere lehren; und niemand ſchien mehr Eifer für
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aber waren ſie von der wahren Gottesfurcht ſehr
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[29/0041] ſeiner ſelbſt gebracht werde. ihre Heucheley recht lebhaft vor Augen. Sie mu- ſten ſelbſt das Urtheil über ſich ſprechen, daß ſie noch weit ſchlimmer wären, als dieienigen die von ihnen für die gröſten Sünder gehalten wurden. Erſt legte er ihnen ein Gleichnis vor: Es hatte iemand, ſprach er, zween Söhne, welchen beyden er befahl in ſeinem Weinberge zu arbeiten. Der eine gab ihm anfänglich eine ſehr unbeſcheidene, un- verſchämte Antwort, und ſagte gerade heraus, daß er nicht geſonnen ſey, den väterlichen Befehl zu reſpectiren. Aber bald hernach gieng er in ſich, ließ ſich ſein Unrecht gereuen, und gieng wirklich hin, in dem Weinberg zu arbeiten. Der andere Sohn, an welchen der nemliche Befehl ergangen war, ſchien anfänglich ſehr bereitwillig zu ſeyn, den Willen ſeines Vaters zu erfüllen, und verſprach gleich zu gehorchen. Aber er leiſteſte deſto weni- ger, und gieng nicht. Welcher von beyden war nun dem Vater gehorſam? welcher von beyden der Beßere? Die Antwort war natürlich. Der Er- ſtere. Und hiemit ſprachen ſie das Urtheil über ſich ſelbſt. Denn ſie eben waren einem ſolchen un- gehorſamen Sohn gleich, der mit Worten viel ver- ſpricht, aber nicht anders, als ob er ſeines Vaters nur ſpotten wollte, nichts von demienigen thut, was ihm anbefohlen wird. Aeußerlich ſchienen ſie ſehr bereitwillig zu ſeyn, den Willen Gottes zu thun. Sie beſchäftigten ſich mit der Religion; ſie wollten andere lehren; und niemand ſchien mehr Eifer für die Ehre Gottes zu haben als ſie. In der That aber waren ſie von der wahren Gottesfurcht ſehr weit entfernt, ſtolz, neidiſch, grauſam, und ſolchen

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Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/41>, abgerufen am 15.06.2024.