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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Indem wir uns auf diese kurze allgemeine Schilderung der Rinde
beschränken müssen, bleibt uns noch etwas über die Bedeutung der-
selben zu sagen übrig. Daß diese sehr groß ist, wissen wir Alle daher,
daß jede wesentliche Entrindung ein Kränkeln und eine auch nur wenige
Zoll hoch den ganzen Stammumfang einnehmende, den unausbleiblichen
Tod des Baumes zur Folge hat. Ohne Vermittlung der Rinde heilt
keine Stammwunde, wie wir im folgenden Abschnitt lernen werden.

Die Rinde ist der Stapelplatz für eine Menge von Stoffen, die sich
im Holze nicht oder nur in geringer Menge finden; darum giebt es auch
in unserem Arzneischatze so viele officinelle Rinden, von denen ich neben
der Zimmetrinde, nur die China- und Cascarill-Rinde, und wegen ihres
Reichsthums an Gerbstoff die Eichenrinde nenne. Alle diese Stoffe kommen
jedoch mehr in der innern als in der äußern Schicht und mehr in den
jüngern als ältern Rinden vor.

Die Rinde mit der Haut und anderen Bedeckungen des thierischen
Körpers vergleichen zu wollen, was der oberflächlichen Auffassung vielleicht
nahe liegen könnte, ist durchaus unzulässig und vielleicht höchstens nur in
dem Punkte zutreffend, daß wie die Pflanze ohne Rinde, so das Thier
ohne Haut nicht leben kann. In den wesentlichsten Verrichtungen sind
beide einander eher entgegengesetzt als ähnlich. Die Haut vermittelt den
Verkehr und den Stoffaustausch des thierischen Lebens mit der umgebenden
Luft, während die Rinde gerade das Gegentheil thut. -- Nicht einmal
die regelmäßige und allgemeine Abschuppung der Haut findet bei der Rinde
ein Seitenstück, denn es giebt Pflanzen, und z. B. in unserer Buche
auch Bäume, bei denen die Abstoßung der äußersten und ältesten Rinden-
schichten nicht oder wenigstens nicht durch eine organische Bedingung ein-
geleitet stattfindet. Es ist übrigens sehr mißlich und hat schon zu großen
Verkehrtheiten geführt, pflanzliche Lebenserscheinungen mit ähnlichen
thierischen zu vergleichen oder gar nach diesen zu deuten. Die Gesetze
des Lebens sind zwar in beiden Reichen dieselben, aber sie bedienen sich
oder vielmehr sie wirken in anderen Stoffverbindungen, sehr zusammen-
gesetzten im Thierleibe, höchst einfachen im Pflanzenleibe.

Indem wir uns auf dieſe kurze allgemeine Schilderung der Rinde
beſchränken müſſen, bleibt uns noch etwas über die Bedeutung der-
ſelben zu ſagen übrig. Daß dieſe ſehr groß iſt, wiſſen wir Alle daher,
daß jede weſentliche Entrindung ein Kränkeln und eine auch nur wenige
Zoll hoch den ganzen Stammumfang einnehmende, den unausbleiblichen
Tod des Baumes zur Folge hat. Ohne Vermittlung der Rinde heilt
keine Stammwunde, wie wir im folgenden Abſchnitt lernen werden.

Die Rinde iſt der Stapelplatz für eine Menge von Stoffen, die ſich
im Holze nicht oder nur in geringer Menge finden; darum giebt es auch
in unſerem Arzneiſchatze ſo viele officinelle Rinden, von denen ich neben
der Zimmetrinde, nur die China- und Cascarill-Rinde, und wegen ihres
Reichsthums an Gerbſtoff die Eichenrinde nenne. Alle dieſe Stoffe kommen
jedoch mehr in der innern als in der äußern Schicht und mehr in den
jüngern als ältern Rinden vor.

Die Rinde mit der Haut und anderen Bedeckungen des thieriſchen
Körpers vergleichen zu wollen, was der oberflächlichen Auffaſſung vielleicht
nahe liegen könnte, iſt durchaus unzuläſſig und vielleicht höchſtens nur in
dem Punkte zutreffend, daß wie die Pflanze ohne Rinde, ſo das Thier
ohne Haut nicht leben kann. In den weſentlichſten Verrichtungen ſind
beide einander eher entgegengeſetzt als ähnlich. Die Haut vermittelt den
Verkehr und den Stoffaustauſch des thieriſchen Lebens mit der umgebenden
Luft, während die Rinde gerade das Gegentheil thut. — Nicht einmal
die regelmäßige und allgemeine Abſchuppung der Haut findet bei der Rinde
ein Seitenſtück, denn es giebt Pflanzen, und z. B. in unſerer Buche
auch Bäume, bei denen die Abſtoßung der äußerſten und älteſten Rinden-
ſchichten nicht oder wenigſtens nicht durch eine organiſche Bedingung ein-
geleitet ſtattfindet. Es iſt übrigens ſehr mißlich und hat ſchon zu großen
Verkehrtheiten geführt, pflanzliche Lebenserſcheinungen mit ähnlichen
thieriſchen zu vergleichen oder gar nach dieſen zu deuten. Die Geſetze
des Lebens ſind zwar in beiden Reichen dieſelben, aber ſie bedienen ſich
oder vielmehr ſie wirken in anderen Stoffverbindungen, ſehr zuſammen-
geſetzten im Thierleibe, höchſt einfachen im Pflanzenleibe.

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[118/0142] Indem wir uns auf dieſe kurze allgemeine Schilderung der Rinde beſchränken müſſen, bleibt uns noch etwas über die Bedeutung der- ſelben zu ſagen übrig. Daß dieſe ſehr groß iſt, wiſſen wir Alle daher, daß jede weſentliche Entrindung ein Kränkeln und eine auch nur wenige Zoll hoch den ganzen Stammumfang einnehmende, den unausbleiblichen Tod des Baumes zur Folge hat. Ohne Vermittlung der Rinde heilt keine Stammwunde, wie wir im folgenden Abſchnitt lernen werden. Die Rinde iſt der Stapelplatz für eine Menge von Stoffen, die ſich im Holze nicht oder nur in geringer Menge finden; darum giebt es auch in unſerem Arzneiſchatze ſo viele officinelle Rinden, von denen ich neben der Zimmetrinde, nur die China- und Cascarill-Rinde, und wegen ihres Reichsthums an Gerbſtoff die Eichenrinde nenne. Alle dieſe Stoffe kommen jedoch mehr in der innern als in der äußern Schicht und mehr in den jüngern als ältern Rinden vor. Die Rinde mit der Haut und anderen Bedeckungen des thieriſchen Körpers vergleichen zu wollen, was der oberflächlichen Auffaſſung vielleicht nahe liegen könnte, iſt durchaus unzuläſſig und vielleicht höchſtens nur in dem Punkte zutreffend, daß wie die Pflanze ohne Rinde, ſo das Thier ohne Haut nicht leben kann. In den weſentlichſten Verrichtungen ſind beide einander eher entgegengeſetzt als ähnlich. Die Haut vermittelt den Verkehr und den Stoffaustauſch des thieriſchen Lebens mit der umgebenden Luft, während die Rinde gerade das Gegentheil thut. — Nicht einmal die regelmäßige und allgemeine Abſchuppung der Haut findet bei der Rinde ein Seitenſtück, denn es giebt Pflanzen, und z. B. in unſerer Buche auch Bäume, bei denen die Abſtoßung der äußerſten und älteſten Rinden- ſchichten nicht oder wenigſtens nicht durch eine organiſche Bedingung ein- geleitet ſtattfindet. Es iſt übrigens ſehr mißlich und hat ſchon zu großen Verkehrtheiten geführt, pflanzliche Lebenserſcheinungen mit ähnlichen thieriſchen zu vergleichen oder gar nach dieſen zu deuten. Die Geſetze des Lebens ſind zwar in beiden Reichen dieſelben, aber ſie bedienen ſich oder vielmehr ſie wirken in anderen Stoffverbindungen, ſehr zuſammen- geſetzten im Thierleibe, höchſt einfachen im Pflanzenleibe.

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/142>, abgerufen am 22.12.2024.