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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Ist dadurch an klarer Erkenntniß etwas gewonnen, und können wir
uns von einer solchen Lebenskraft eine deutliche Vorstellung machen?

Nehmen wir daher lieber die Sache wie sie ist. Wir sehen, daß die
Samen mancher Pflanzen wenn sie den kennen gelernten äußeren Keim-
bedingungen (Wärme, Feuchtigkeit u. s. w.) entzogen werden, lange Zeit
liegen können, ohne die Keimfähigkeit zu verlieren, eine große Keimkraft
besitzen. Dies bedeutet der Erscheinung nach nichts weiter, als: es findet
in ihnen das chemische Spiel der Lösung und Bindung nicht statt. Dieses
tritt aber wieder ein, wenn die äußeren Anregungen dazu (Wärme,
Feuchtigkeit etc.) wieder an den Samen herantreten.

Wer zu einer Verherrlichung dieser einfachen und gar nichts etwa
Ungewöhnliches einschließenden Naturerscheinung noch eine besondere Kraft,
die er Lebenskraft nennt, bedarf, nun dem ist dies unverwehrt; nur bilde
er sich nicht ein, daß er dadurch die Erscheinung besser und vollständiger
erklärt habe, denn er läßt, und muß dieses, dabei die Lebenskraft selbst
unerklärt; er erklärt eine Erscheinung durch ein vermeintliches Etwas,
was an sich selbst unerklärlich und unnachweisbar ist.

Es kommt diese Erscheinung übrigens nicht allein bei den Samen
vor. Im Jahre 1857 bot sich durch einen Zufall die Gelegenheit dar,
eine außerordentliche Wiederbelebungsfähigkeit (nennen wir es einmal so),
eines kleinen Farrenkrautstockes von Cryptogramme crispa kennen zu
lernen. Nachdem derselbe 4 Tage lang in einem Nachtsacke gelegen und
ganz vertrocknet war und schon weggeworfen werden sollte, steckte ihn der
Beobachter ohne eine bestimmte Absicht in eine Blechbüchse. Als er den
ganz zusammengetrockneten Stock nach 7 Monaten in der Blechbüchse zu-
fällig wiederfand und in Erde setzte, stand er nach einiger Zeit wieder in
vollem Wachsthum.

Wie weit in allen solchen Fällen die Zeitdauer der Möglichkeit reiche,
die unterbrochenen chemischen und physikalischen Processe, in denen sich
das Leben ausspricht, wieder hervorzurufen -- dies ist uns freilich un-
bekannt. Man kann sogar darüber nicht entscheiden, ob nicht vielleicht
angenommen werden müsse, daß diese Dauer eine unbegrenzte sei, voraus-
gesetzt, daß der chemische Ruhezustand, die Festlegung der Stoffe, wie
wir uns auf Seite 143 ausdrückten, fortwährend und vollkommen un-
gestört geblieben sei. Wenn man Samen keimen und gesunde Pflanzen

Iſt dadurch an klarer Erkenntniß etwas gewonnen, und können wir
uns von einer ſolchen Lebenskraft eine deutliche Vorſtellung machen?

Nehmen wir daher lieber die Sache wie ſie iſt. Wir ſehen, daß die
Samen mancher Pflanzen wenn ſie den kennen gelernten äußeren Keim-
bedingungen (Wärme, Feuchtigkeit u. ſ. w.) entzogen werden, lange Zeit
liegen können, ohne die Keimfähigkeit zu verlieren, eine große Keimkraft
beſitzen. Dies bedeutet der Erſcheinung nach nichts weiter, als: es findet
in ihnen das chemiſche Spiel der Löſung und Bindung nicht ſtatt. Dieſes
tritt aber wieder ein, wenn die äußeren Anregungen dazu (Wärme,
Feuchtigkeit etc.) wieder an den Samen herantreten.

Wer zu einer Verherrlichung dieſer einfachen und gar nichts etwa
Ungewöhnliches einſchließenden Naturerſcheinung noch eine beſondere Kraft,
die er Lebenskraft nennt, bedarf, nun dem iſt dies unverwehrt; nur bilde
er ſich nicht ein, daß er dadurch die Erſcheinung beſſer und vollſtändiger
erklärt habe, denn er läßt, und muß dieſes, dabei die Lebenskraft ſelbſt
unerklärt; er erklärt eine Erſcheinung durch ein vermeintliches Etwas,
was an ſich ſelbſt unerklärlich und unnachweisbar iſt.

Es kommt dieſe Erſcheinung übrigens nicht allein bei den Samen
vor. Im Jahre 1857 bot ſich durch einen Zufall die Gelegenheit dar,
eine außerordentliche Wiederbelebungsfähigkeit (nennen wir es einmal ſo),
eines kleinen Farrenkrautſtockes von Cryptogramme crispa kennen zu
lernen. Nachdem derſelbe 4 Tage lang in einem Nachtſacke gelegen und
ganz vertrocknet war und ſchon weggeworfen werden ſollte, ſteckte ihn der
Beobachter ohne eine beſtimmte Abſicht in eine Blechbüchſe. Als er den
ganz zuſammengetrockneten Stock nach 7 Monaten in der Blechbüchſe zu-
fällig wiederfand und in Erde ſetzte, ſtand er nach einiger Zeit wieder in
vollem Wachsthum.

Wie weit in allen ſolchen Fällen die Zeitdauer der Möglichkeit reiche,
die unterbrochenen chemiſchen und phyſikaliſchen Proceſſe, in denen ſich
das Leben ausſpricht, wieder hervorzurufen — dies iſt uns freilich un-
bekannt. Man kann ſogar darüber nicht entſcheiden, ob nicht vielleicht
angenommen werden müſſe, daß dieſe Dauer eine unbegrenzte ſei, voraus-
geſetzt, daß der chemiſche Ruhezuſtand, die Feſtlegung der Stoffe, wie
wir uns auf Seite 143 ausdrückten, fortwährend und vollkommen un-
geſtört geblieben ſei. Wenn man Samen keimen und geſunde Pflanzen

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[144/0168] Iſt dadurch an klarer Erkenntniß etwas gewonnen, und können wir uns von einer ſolchen Lebenskraft eine deutliche Vorſtellung machen? Nehmen wir daher lieber die Sache wie ſie iſt. Wir ſehen, daß die Samen mancher Pflanzen wenn ſie den kennen gelernten äußeren Keim- bedingungen (Wärme, Feuchtigkeit u. ſ. w.) entzogen werden, lange Zeit liegen können, ohne die Keimfähigkeit zu verlieren, eine große Keimkraft beſitzen. Dies bedeutet der Erſcheinung nach nichts weiter, als: es findet in ihnen das chemiſche Spiel der Löſung und Bindung nicht ſtatt. Dieſes tritt aber wieder ein, wenn die äußeren Anregungen dazu (Wärme, Feuchtigkeit etc.) wieder an den Samen herantreten. Wer zu einer Verherrlichung dieſer einfachen und gar nichts etwa Ungewöhnliches einſchließenden Naturerſcheinung noch eine beſondere Kraft, die er Lebenskraft nennt, bedarf, nun dem iſt dies unverwehrt; nur bilde er ſich nicht ein, daß er dadurch die Erſcheinung beſſer und vollſtändiger erklärt habe, denn er läßt, und muß dieſes, dabei die Lebenskraft ſelbſt unerklärt; er erklärt eine Erſcheinung durch ein vermeintliches Etwas, was an ſich ſelbſt unerklärlich und unnachweisbar iſt. Es kommt dieſe Erſcheinung übrigens nicht allein bei den Samen vor. Im Jahre 1857 bot ſich durch einen Zufall die Gelegenheit dar, eine außerordentliche Wiederbelebungsfähigkeit (nennen wir es einmal ſo), eines kleinen Farrenkrautſtockes von Cryptogramme crispa kennen zu lernen. Nachdem derſelbe 4 Tage lang in einem Nachtſacke gelegen und ganz vertrocknet war und ſchon weggeworfen werden ſollte, ſteckte ihn der Beobachter ohne eine beſtimmte Abſicht in eine Blechbüchſe. Als er den ganz zuſammengetrockneten Stock nach 7 Monaten in der Blechbüchſe zu- fällig wiederfand und in Erde ſetzte, ſtand er nach einiger Zeit wieder in vollem Wachsthum. Wie weit in allen ſolchen Fällen die Zeitdauer der Möglichkeit reiche, die unterbrochenen chemiſchen und phyſikaliſchen Proceſſe, in denen ſich das Leben ausſpricht, wieder hervorzurufen — dies iſt uns freilich un- bekannt. Man kann ſogar darüber nicht entſcheiden, ob nicht vielleicht angenommen werden müſſe, daß dieſe Dauer eine unbegrenzte ſei, voraus- geſetzt, daß der chemiſche Ruhezuſtand, die Feſtlegung der Stoffe, wie wir uns auf Seite 143 ausdrückten, fortwährend und vollkommen un- geſtört geblieben ſei. Wenn man Samen keimen und geſunde Pflanzen

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/168>, abgerufen am 22.12.2024.