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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Kraftaufwandes bedurft, sie aus dem Wege zu räumen. Etwa in der
Mitte des Forstes trafen wir auf einen eben gestürzten Fichtkoloß. Der
sechsfußige Schaft lag gleich einem Wall quer über den Steig, die Größten
unter uns vermochten nicht über ihn herüberzuschauen; die gewandte
Jugend hieb umsonst ihre Bergstöcke (Griesbeile) ein, um sich im kühnen
Satze hinaufzuschwingen, sie mußte endlich dem besonnenen Alter folgen
und den Baum umgehen.

Merkwürdig ist die Fülle neuer Vegetation, welche sich auf den
alten Lägerstämmen entwickelt. Ein dichter Pelz des üppigsten Mooses
überzieht sie nach allen Seiten; darin finden die fallenden Baumsamen
vortreffliches Keimbett und in dem darunter sich bildenden Humus die
jungen Pflänzchen geeigneten Boden. -- So haben in den Leichen der
hingeschwundenen Baumgenerationen Millionen nachwachsender Pflänzlinge
Wurzel geschlagen und streben nunmehr rüstig zu den spärlichen Licht-
löchern hinan, welche diese Leichen durch ihren Sturz in das hohe Laub-
gewölbe des riesigen Forstes schlugen. -- Auf einigen solchen Baum-
kadavern fanden wir mehrere Hundert neuer Fichten und einzelne davon
schon zu ansehnlichen 60--70jährigen Reideln erwachsen. -- Die moos-
bedeckten Lagerschäfte eignen sich gegenüber dem mit einer dicken Schwarte
überzogenen Erdboden so vorzüglich für den neuen Nachwuchs, daß dieser
oft auch nur auf diesen erscheint. Vielen alten Horsten sieht man diese
Entstehungsweise jetzt noch an, denn sie stehen in den geraden Linien des
längst vergangenen Schaftes da, auf welchem sie ursprünglich gekeimt
haben. -- Nicht selten trifft man auch Altstämme, deren Wurzelknoten
mehrere Fuße über dem Boden steht. Sie sind eben auf starken Baum-
leichen entstanden, ihre Wurzeln haben dann über die Seiten dieser
letzteren in den Erdboden hinabgegriffen und weil der von ihnen umfaßte
Schaft in der Folge ganz zusammenfaulte, so stehen sie nunmehr mit
einem Theile der Wurzeln in der Luft.

Ohne Unterlaß zog es uns vom Steige ab, den wir verfolgen sollten;
dieses Eindringen in die anscheinend noch unbetretene Wildniß hatte
einen unnennbaren Reiz, dem Keiner zu widerstehen vermochte, es war
das Gefühl, welches die großen Weltumsegler bewegt haben mag, als sie
neue Erdtheile entdeckten.

Kraftaufwandes bedurft, ſie aus dem Wege zu räumen. Etwa in der
Mitte des Forſtes trafen wir auf einen eben geſtürzten Fichtkoloß. Der
ſechsfußige Schaft lag gleich einem Wall quer über den Steig, die Größten
unter uns vermochten nicht über ihn herüberzuſchauen; die gewandte
Jugend hieb umſonſt ihre Bergſtöcke (Griesbeile) ein, um ſich im kühnen
Satze hinaufzuſchwingen, ſie mußte endlich dem beſonnenen Alter folgen
und den Baum umgehen.

Merkwürdig iſt die Fülle neuer Vegetation, welche ſich auf den
alten Lägerſtämmen entwickelt. Ein dichter Pelz des üppigſten Mooſes
überzieht ſie nach allen Seiten; darin finden die fallenden Baumſamen
vortreffliches Keimbett und in dem darunter ſich bildenden Humus die
jungen Pflänzchen geeigneten Boden. — So haben in den Leichen der
hingeſchwundenen Baumgenerationen Millionen nachwachſender Pflänzlinge
Wurzel geſchlagen und ſtreben nunmehr rüſtig zu den ſpärlichen Licht-
löchern hinan, welche dieſe Leichen durch ihren Sturz in das hohe Laub-
gewölbe des rieſigen Forſtes ſchlugen. — Auf einigen ſolchen Baum-
kadavern fanden wir mehrere Hundert neuer Fichten und einzelne davon
ſchon zu anſehnlichen 60—70jährigen Reideln erwachſen. — Die moos-
bedeckten Lagerſchäfte eignen ſich gegenüber dem mit einer dicken Schwarte
überzogenen Erdboden ſo vorzüglich für den neuen Nachwuchs, daß dieſer
oft auch nur auf dieſen erſcheint. Vielen alten Horſten ſieht man dieſe
Entſtehungsweiſe jetzt noch an, denn ſie ſtehen in den geraden Linien des
längſt vergangenen Schaftes da, auf welchem ſie urſprünglich gekeimt
haben. — Nicht ſelten trifft man auch Altſtämme, deren Wurzelknoten
mehrere Fuße über dem Boden ſteht. Sie ſind eben auf ſtarken Baum-
leichen entſtanden, ihre Wurzeln haben dann über die Seiten dieſer
letzteren in den Erdboden hinabgegriffen und weil der von ihnen umfaßte
Schaft in der Folge ganz zuſammenfaulte, ſo ſtehen ſie nunmehr mit
einem Theile der Wurzeln in der Luft.

Ohne Unterlaß zog es uns vom Steige ab, den wir verfolgen ſollten;
dieſes Eindringen in die anſcheinend noch unbetretene Wildniß hatte
einen unnennbaren Reiz, dem Keiner zu widerſtehen vermochte, es war
das Gefühl, welches die großen Weltumſegler bewegt haben mag, als ſie
neue Erdtheile entdeckten.

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[207/0231] Kraftaufwandes bedurft, ſie aus dem Wege zu räumen. Etwa in der Mitte des Forſtes trafen wir auf einen eben geſtürzten Fichtkoloß. Der ſechsfußige Schaft lag gleich einem Wall quer über den Steig, die Größten unter uns vermochten nicht über ihn herüberzuſchauen; die gewandte Jugend hieb umſonſt ihre Bergſtöcke (Griesbeile) ein, um ſich im kühnen Satze hinaufzuſchwingen, ſie mußte endlich dem beſonnenen Alter folgen und den Baum umgehen. Merkwürdig iſt die Fülle neuer Vegetation, welche ſich auf den alten Lägerſtämmen entwickelt. Ein dichter Pelz des üppigſten Mooſes überzieht ſie nach allen Seiten; darin finden die fallenden Baumſamen vortreffliches Keimbett und in dem darunter ſich bildenden Humus die jungen Pflänzchen geeigneten Boden. — So haben in den Leichen der hingeſchwundenen Baumgenerationen Millionen nachwachſender Pflänzlinge Wurzel geſchlagen und ſtreben nunmehr rüſtig zu den ſpärlichen Licht- löchern hinan, welche dieſe Leichen durch ihren Sturz in das hohe Laub- gewölbe des rieſigen Forſtes ſchlugen. — Auf einigen ſolchen Baum- kadavern fanden wir mehrere Hundert neuer Fichten und einzelne davon ſchon zu anſehnlichen 60—70jährigen Reideln erwachſen. — Die moos- bedeckten Lagerſchäfte eignen ſich gegenüber dem mit einer dicken Schwarte überzogenen Erdboden ſo vorzüglich für den neuen Nachwuchs, daß dieſer oft auch nur auf dieſen erſcheint. Vielen alten Horſten ſieht man dieſe Entſtehungsweiſe jetzt noch an, denn ſie ſtehen in den geraden Linien des längſt vergangenen Schaftes da, auf welchem ſie urſprünglich gekeimt haben. — Nicht ſelten trifft man auch Altſtämme, deren Wurzelknoten mehrere Fuße über dem Boden ſteht. Sie ſind eben auf ſtarken Baum- leichen entſtanden, ihre Wurzeln haben dann über die Seiten dieſer letzteren in den Erdboden hinabgegriffen und weil der von ihnen umfaßte Schaft in der Folge ganz zuſammenfaulte, ſo ſtehen ſie nunmehr mit einem Theile der Wurzeln in der Luft. Ohne Unterlaß zog es uns vom Steige ab, den wir verfolgen ſollten; dieſes Eindringen in die anſcheinend noch unbetretene Wildniß hatte einen unnennbaren Reiz, dem Keiner zu widerſtehen vermochte, es war das Gefühl, welches die großen Weltumſegler bewegt haben mag, als ſie neue Erdtheile entdeckten.

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/231>, abgerufen am 22.12.2024.