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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Aber was war im Grunde unser Vordringen! Wenige Schritte und
gewaltige Lagerholzmassen traten uns entgegen. Mit ungeheurer An-
strengung schwangen wir uns über einen oder den andern Schaft hinüber,
mühsam durchkrochen wir anderwärts die Gipfel oder zwängten uns
zwischen dem Boden und dem Schaft durch; öfters sprangen wir auf ein
dichtbemoostes Stammstück, aber es brach unter uns ein und wir ver-
sanken bis über die Knie in Holzmoder. -- Es waren das völlig ver-
mooste Schäfte, welche nur noch durch den dichten Moosfilz zusammen-
gehalten wurden. Kaum war ein Verhau überwunden, so stellte sich
wieder ein neuer entgegen und nach halbstündiger Anstrengung aller
Kräfte hatten wir nicht viel über hundert Klafter Wegs zurückgelegt.
Gleichwohl befanden wir uns schon in einer völlig neuen Gegend, offen-
bar, weil uns die überstiegenen Lagerholzmassen den Rückblick auf den
Steig abschlossen. Noch einige hundert Schritte, und wir waren nicht
nur unbewußt von einander abgekommen, sondern hatten auch ungeachtet
der gespanntesten Aufmerksamkeit einer wie der andere gänzlich die Orien-
tirung verloren.

Zum erstenmale machte mir der Wald, sonst der trauteste Freund
meiner schönen wie meiner schmerzlichen Stunden -- wahrhaftig bange.
Mit klopfendem Herzen und zurückgehaltenen Athem harrte ich voll Angst
aber vergeblich auf den Ruf unseres Führers.

Nun erst begriff ich die schauerlichen Geschichten, welche mein alter
Oheim, der seine Jugend in hiesiger Gegend verbracht hatte, in der
Spinnstube meines Großvaters öfter zum Besten gab.

Um nicht vielleicht noch weiter vom Steige abzukommen, ließ ich
mich auf einen bemoosten Baumstamme nieder und beschloß geduldig das
Rufen abzuwarten, das dann doch endlich erfolgen mußte. Ich zog die
Uhr, sie wies auf ein Viertel auf Eins. Draußen schien -- wie ich
mich später überzeugte -- die Sonne im hellsten Mittagsglanze. Aber
nicht ein Strahl dieser heißen Augustsonne drang in das ewige Dunkel,
noch störte er die unwandelbare feuchte Kühlung unter dem hohen Laub-
gewölbe dieses Forstes. Schwermüthig starrte ich in seine düstern, schatten-
losen Säulenhallen, welche grau auf grün und wieder grau sich nach allen
Seiten in's Endlose zu erstrecken schienen."

Aber was war im Grunde unſer Vordringen! Wenige Schritte und
gewaltige Lagerholzmaſſen traten uns entgegen. Mit ungeheurer An-
ſtrengung ſchwangen wir uns über einen oder den andern Schaft hinüber,
mühſam durchkrochen wir anderwärts die Gipfel oder zwängten uns
zwiſchen dem Boden und dem Schaft durch; öfters ſprangen wir auf ein
dichtbemooſtes Stammſtück, aber es brach unter uns ein und wir ver-
ſanken bis über die Knie in Holzmoder. — Es waren das völlig ver-
mooſte Schäfte, welche nur noch durch den dichten Moosfilz zuſammen-
gehalten wurden. Kaum war ein Verhau überwunden, ſo ſtellte ſich
wieder ein neuer entgegen und nach halbſtündiger Anſtrengung aller
Kräfte hatten wir nicht viel über hundert Klafter Wegs zurückgelegt.
Gleichwohl befanden wir uns ſchon in einer völlig neuen Gegend, offen-
bar, weil uns die überſtiegenen Lagerholzmaſſen den Rückblick auf den
Steig abſchloſſen. Noch einige hundert Schritte, und wir waren nicht
nur unbewußt von einander abgekommen, ſondern hatten auch ungeachtet
der geſpannteſten Aufmerkſamkeit einer wie der andere gänzlich die Orien-
tirung verloren.

Zum erſtenmale machte mir der Wald, ſonſt der trauteſte Freund
meiner ſchönen wie meiner ſchmerzlichen Stunden — wahrhaftig bange.
Mit klopfendem Herzen und zurückgehaltenen Athem harrte ich voll Angſt
aber vergeblich auf den Ruf unſeres Führers.

Nun erſt begriff ich die ſchauerlichen Geſchichten, welche mein alter
Oheim, der ſeine Jugend in hieſiger Gegend verbracht hatte, in der
Spinnſtube meines Großvaters öfter zum Beſten gab.

Um nicht vielleicht noch weiter vom Steige abzukommen, ließ ich
mich auf einen bemooſten Baumſtamme nieder und beſchloß geduldig das
Rufen abzuwarten, das dann doch endlich erfolgen mußte. Ich zog die
Uhr, ſie wies auf ein Viertel auf Eins. Draußen ſchien — wie ich
mich ſpäter überzeugte — die Sonne im hellſten Mittagsglanze. Aber
nicht ein Strahl dieſer heißen Auguſtſonne drang in das ewige Dunkel,
noch ſtörte er die unwandelbare feuchte Kühlung unter dem hohen Laub-
gewölbe dieſes Forſtes. Schwermüthig ſtarrte ich in ſeine düſtern, ſchatten-
loſen Säulenhallen, welche grau auf grün und wieder grau ſich nach allen
Seiten in’s Endloſe zu erſtrecken ſchienen.“

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[208/0232] Aber was war im Grunde unſer Vordringen! Wenige Schritte und gewaltige Lagerholzmaſſen traten uns entgegen. Mit ungeheurer An- ſtrengung ſchwangen wir uns über einen oder den andern Schaft hinüber, mühſam durchkrochen wir anderwärts die Gipfel oder zwängten uns zwiſchen dem Boden und dem Schaft durch; öfters ſprangen wir auf ein dichtbemooſtes Stammſtück, aber es brach unter uns ein und wir ver- ſanken bis über die Knie in Holzmoder. — Es waren das völlig ver- mooſte Schäfte, welche nur noch durch den dichten Moosfilz zuſammen- gehalten wurden. Kaum war ein Verhau überwunden, ſo ſtellte ſich wieder ein neuer entgegen und nach halbſtündiger Anſtrengung aller Kräfte hatten wir nicht viel über hundert Klafter Wegs zurückgelegt. Gleichwohl befanden wir uns ſchon in einer völlig neuen Gegend, offen- bar, weil uns die überſtiegenen Lagerholzmaſſen den Rückblick auf den Steig abſchloſſen. Noch einige hundert Schritte, und wir waren nicht nur unbewußt von einander abgekommen, ſondern hatten auch ungeachtet der geſpannteſten Aufmerkſamkeit einer wie der andere gänzlich die Orien- tirung verloren. Zum erſtenmale machte mir der Wald, ſonſt der trauteſte Freund meiner ſchönen wie meiner ſchmerzlichen Stunden — wahrhaftig bange. Mit klopfendem Herzen und zurückgehaltenen Athem harrte ich voll Angſt aber vergeblich auf den Ruf unſeres Führers. Nun erſt begriff ich die ſchauerlichen Geſchichten, welche mein alter Oheim, der ſeine Jugend in hieſiger Gegend verbracht hatte, in der Spinnſtube meines Großvaters öfter zum Beſten gab. Um nicht vielleicht noch weiter vom Steige abzukommen, ließ ich mich auf einen bemooſten Baumſtamme nieder und beſchloß geduldig das Rufen abzuwarten, das dann doch endlich erfolgen mußte. Ich zog die Uhr, ſie wies auf ein Viertel auf Eins. Draußen ſchien — wie ich mich ſpäter überzeugte — die Sonne im hellſten Mittagsglanze. Aber nicht ein Strahl dieſer heißen Auguſtſonne drang in das ewige Dunkel, noch ſtörte er die unwandelbare feuchte Kühlung unter dem hohen Laub- gewölbe dieſes Forſtes. Schwermüthig ſtarrte ich in ſeine düſtern, ſchatten- loſen Säulenhallen, welche grau auf grün und wieder grau ſich nach allen Seiten in’s Endloſe zu erſtrecken ſchienen.“

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/232>, abgerufen am 22.12.2024.