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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Eindruck gewesen, den auf der Reise von einem Hafen an der Südsee
durch Mexiko nach Europa der erste Anblick eines Tannenwaldes bei
Chilpanzingo auf einen unserer Begleiter machte, welcher in Quito unter
dem Aequator geboren nie Nadelhölzer und Folia acerosa gesehen. Die
Bäume schienen ihm blattlos, und er glaubte, da wir gegen den kalten
Norden reisten, in der höchsten Zusammenziehung der Organe schon den
verarmenden Einfluß des Poles zu erkennen. Der Reisende, dessen
Eindruck ich hier beschreibe und dessen Namen Bonpland, und ich nicht
ohne Wehmuth nennen, war ein trefflicher junger Mann, der Sohn des
Marques de Selvalegre, Don Carlos Montufar, welchen wenige Jahre
später in dem Unabhängigkeitskriege der spanischen Kolonien edle und
heiße Liebe zur Freiheit einem gewaltsamen, ihn nicht entehrenden Tode
muthig entgegenführte."

Diese Anschauung des Südländers von den Nadelwäldern, welcher
zufolge ihm dieser das Bild einer vor Kälte zusammengezogenen Pflanzen-
welt darstellte, erinnert an eine Erscheinung, welche vielleicht doch mehr,
als nur eine in der Zeit begründete Irrung ist, die man nicht leicht durch
die Wirklichkeit kontroliren kann, weil man nicht zu gleicher Zeit einen
Nadelbaum im Winter und im Sommer sieht. Ich meine die Erscheinung,
daß unsere gemeine Kiefer und mehr noch die Weymouthskiefer im Winter
die Nadeln straffer an den Zweigen angezogen trägt, als im Sommer.

Wir können uns nicht wundern, daß Humboldt's Begleiter sich durch
die dießseits des Aequators von ihm gesehenen Nadelhölzer so sehr über-
rascht fand, denn er hatte noch niemals Gelegenheit gehabt in seiner
Heimath unter dem Aequator echte Nadelbäume zu sehen, da von den
114 Arten echter Abietineen keine einzige jenseits des Aequators gefunden
wird. Von diesen 114 Arten kommen nur 15 auf Europa, und wenn
wir die Familie der Nadelhölzer im weitesten Umfange auffassen, so kennt
man bis jetzt 312 lebende und aus oft allerdings nur bruchstückweisen
Ueberresten 178 vorweltliche Arten.

Neben ihrer schlanken geradschaftigen Gestalt haben die Nadelhölzer
auch noch dadurch einen besonders imposanten Charakter, daß unter
ihnen die höchsten Bäume der Erde vorkommen. Es ist bekannt, daß
Eichen, Buchen und andere zu hohen Bäumen erwachsende Laubholzarten
niemals die Höhen unserer Fichten und namentlich unserer Tannen er-

Eindruck geweſen, den auf der Reiſe von einem Hafen an der Südſee
durch Mexiko nach Europa der erſte Anblick eines Tannenwaldes bei
Chilpanzingo auf einen unſerer Begleiter machte, welcher in Quito unter
dem Aequator geboren nie Nadelhölzer und Folia acerosa geſehen. Die
Bäume ſchienen ihm blattlos, und er glaubte, da wir gegen den kalten
Norden reiſten, in der höchſten Zuſammenziehung der Organe ſchon den
verarmenden Einfluß des Poles zu erkennen. Der Reiſende, deſſen
Eindruck ich hier beſchreibe und deſſen Namen Bonpland, und ich nicht
ohne Wehmuth nennen, war ein trefflicher junger Mann, der Sohn des
Marques de Selvalegre, Don Carlos Montufar, welchen wenige Jahre
ſpäter in dem Unabhängigkeitskriege der ſpaniſchen Kolonien edle und
heiße Liebe zur Freiheit einem gewaltſamen, ihn nicht entehrenden Tode
muthig entgegenführte.“

Dieſe Anſchauung des Südländers von den Nadelwäldern, welcher
zufolge ihm dieſer das Bild einer vor Kälte zuſammengezogenen Pflanzen-
welt darſtellte, erinnert an eine Erſcheinung, welche vielleicht doch mehr,
als nur eine in der Zeit begründete Irrung iſt, die man nicht leicht durch
die Wirklichkeit kontroliren kann, weil man nicht zu gleicher Zeit einen
Nadelbaum im Winter und im Sommer ſieht. Ich meine die Erſcheinung,
daß unſere gemeine Kiefer und mehr noch die Weymouthskiefer im Winter
die Nadeln ſtraffer an den Zweigen angezogen trägt, als im Sommer.

Wir können uns nicht wundern, daß Humboldt’s Begleiter ſich durch
die dießſeits des Aequators von ihm geſehenen Nadelhölzer ſo ſehr über-
raſcht fand, denn er hatte noch niemals Gelegenheit gehabt in ſeiner
Heimath unter dem Aequator echte Nadelbäume zu ſehen, da von den
114 Arten echter Abietineen keine einzige jenſeits des Aequators gefunden
wird. Von dieſen 114 Arten kommen nur 15 auf Europa, und wenn
wir die Familie der Nadelhölzer im weiteſten Umfange auffaſſen, ſo kennt
man bis jetzt 312 lebende und aus oft allerdings nur bruchſtückweiſen
Ueberreſten 178 vorweltliche Arten.

Neben ihrer ſchlanken geradſchaftigen Geſtalt haben die Nadelhölzer
auch noch dadurch einen beſonders impoſanten Charakter, daß unter
ihnen die höchſten Bäume der Erde vorkommen. Es iſt bekannt, daß
Eichen, Buchen und andere zu hohen Bäumen erwachſende Laubholzarten
niemals die Höhen unſerer Fichten und namentlich unſerer Tannen er-

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[253/0277] Eindruck geweſen, den auf der Reiſe von einem Hafen an der Südſee durch Mexiko nach Europa der erſte Anblick eines Tannenwaldes bei Chilpanzingo auf einen unſerer Begleiter machte, welcher in Quito unter dem Aequator geboren nie Nadelhölzer und Folia acerosa geſehen. Die Bäume ſchienen ihm blattlos, und er glaubte, da wir gegen den kalten Norden reiſten, in der höchſten Zuſammenziehung der Organe ſchon den verarmenden Einfluß des Poles zu erkennen. Der Reiſende, deſſen Eindruck ich hier beſchreibe und deſſen Namen Bonpland, und ich nicht ohne Wehmuth nennen, war ein trefflicher junger Mann, der Sohn des Marques de Selvalegre, Don Carlos Montufar, welchen wenige Jahre ſpäter in dem Unabhängigkeitskriege der ſpaniſchen Kolonien edle und heiße Liebe zur Freiheit einem gewaltſamen, ihn nicht entehrenden Tode muthig entgegenführte.“ Dieſe Anſchauung des Südländers von den Nadelwäldern, welcher zufolge ihm dieſer das Bild einer vor Kälte zuſammengezogenen Pflanzen- welt darſtellte, erinnert an eine Erſcheinung, welche vielleicht doch mehr, als nur eine in der Zeit begründete Irrung iſt, die man nicht leicht durch die Wirklichkeit kontroliren kann, weil man nicht zu gleicher Zeit einen Nadelbaum im Winter und im Sommer ſieht. Ich meine die Erſcheinung, daß unſere gemeine Kiefer und mehr noch die Weymouthskiefer im Winter die Nadeln ſtraffer an den Zweigen angezogen trägt, als im Sommer. Wir können uns nicht wundern, daß Humboldt’s Begleiter ſich durch die dießſeits des Aequators von ihm geſehenen Nadelhölzer ſo ſehr über- raſcht fand, denn er hatte noch niemals Gelegenheit gehabt in ſeiner Heimath unter dem Aequator echte Nadelbäume zu ſehen, da von den 114 Arten echter Abietineen keine einzige jenſeits des Aequators gefunden wird. Von dieſen 114 Arten kommen nur 15 auf Europa, und wenn wir die Familie der Nadelhölzer im weiteſten Umfange auffaſſen, ſo kennt man bis jetzt 312 lebende und aus oft allerdings nur bruchſtückweiſen Ueberreſten 178 vorweltliche Arten. Neben ihrer ſchlanken geradſchaftigen Geſtalt haben die Nadelhölzer auch noch dadurch einen beſonders impoſanten Charakter, daß unter ihnen die höchſten Bäume der Erde vorkommen. Es iſt bekannt, daß Eichen, Buchen und andere zu hohen Bäumen erwachſende Laubholzarten niemals die Höhen unſerer Fichten und namentlich unſerer Tannen er-

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/277>, abgerufen am 23.12.2024.