In ihm wird jedes reine, eines Aufschwungs fähige Gemüth zum Dichter wie zum Maler, und um es zu werden bedarf es nicht des Versuchs, seine Ausrufungen in gereimte Worte zu fassen, die ausgebreitete Pracht sich und Anderen mit dem Griffel aufzubewahren. Nur Forscher wird man im Walde zuletzt und man könnte fragen, wie wir es im vorigen Abschnitt auch bereits gethan haben, ob nicht die forschende Betrachtung des Waldes eine Beeinträchtigung der poetischen sei. Ich fürchte es nicht. Wenn Dichter und Maler wenig daran denkt, die Frage unserer Ueber- schrift zu beantworten, ja überhaupt sie sich vorzulegen, so drängt sie sich dem Forscher von selbst auf, und indem er sie beantwortet, dient er nicht blos sich, sondern zugleich jenen Beiden, die mit ihm eins sind, oder wenigstens eins sein müssen, wenn er zu dem Ausrufe die volle Berech- tigung des Verständnisses haben will, "o wie herrlich ist der Wald!"
Unter dieser Auffassung kann uns nun die Frage "woraus besteht der Wald," nicht mehr müßig erscheinen. Unsere Sinne fühlen sich ge- schärft, wir nehmen wahr, wir unterscheiden, wir verstehen, wo wir früher blos empfanden und entzückt waren, und indem wir Jenes lernen, büßen wir an Letzterem nichts ein. Mehr noch, wir büßen nicht nur nichts ein, sondern unsere Freude wird vergeistigt, weil sie verständniß- voll wird.
In ihm wird jedes reine, eines Aufſchwungs fähige Gemüth zum Dichter wie zum Maler, und um es zu werden bedarf es nicht des Verſuchs, ſeine Ausrufungen in gereimte Worte zu faſſen, die ausgebreitete Pracht ſich und Anderen mit dem Griffel aufzubewahren. Nur Forſcher wird man im Walde zuletzt und man könnte fragen, wie wir es im vorigen Abſchnitt auch bereits gethan haben, ob nicht die forſchende Betrachtung des Waldes eine Beeinträchtigung der poetiſchen ſei. Ich fürchte es nicht. Wenn Dichter und Maler wenig daran denkt, die Frage unſerer Ueber- ſchrift zu beantworten, ja überhaupt ſie ſich vorzulegen, ſo drängt ſie ſich dem Forſcher von ſelbſt auf, und indem er ſie beantwortet, dient er nicht blos ſich, ſondern zugleich jenen Beiden, die mit ihm eins ſind, oder wenigſtens eins ſein müſſen, wenn er zu dem Ausrufe die volle Berech- tigung des Verſtändniſſes haben will, „o wie herrlich iſt der Wald!“
Unter dieſer Auffaſſung kann uns nun die Frage „woraus beſteht der Wald,“ nicht mehr müßig erſcheinen. Unſere Sinne fühlen ſich ge- ſchärft, wir nehmen wahr, wir unterſcheiden, wir verſtehen, wo wir früher blos empfanden und entzückt waren, und indem wir Jenes lernen, büßen wir an Letzterem nichts ein. Mehr noch, wir büßen nicht nur nichts ein, ſondern unſere Freude wird vergeiſtigt, weil ſie verſtändniß- voll wird.
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In ihm wird jedes reine, eines Aufſchwungs fähige Gemüth zum Dichter
wie zum Maler, und um es zu werden bedarf es nicht des Verſuchs,
ſeine Ausrufungen in gereimte Worte zu faſſen, die ausgebreitete Pracht
ſich und Anderen mit dem Griffel aufzubewahren. Nur Forſcher wird
man im Walde zuletzt und man könnte fragen, wie wir es im vorigen
Abſchnitt auch bereits gethan haben, ob nicht die forſchende Betrachtung
des Waldes eine Beeinträchtigung der poetiſchen ſei. Ich fürchte es nicht.
Wenn Dichter und Maler wenig daran denkt, die Frage unſerer Ueber-
ſchrift zu beantworten, ja überhaupt ſie ſich vorzulegen, ſo drängt ſie ſich
dem Forſcher von ſelbſt auf, und indem er ſie beantwortet, dient er nicht
blos ſich, ſondern zugleich jenen Beiden, die mit ihm eins ſind, oder
wenigſtens eins ſein müſſen, wenn er zu dem Ausrufe die volle Berech-
tigung des Verſtändniſſes haben will, „o wie herrlich iſt der Wald!“
Unter dieſer Auffaſſung kann uns nun die Frage „woraus beſteht
der Wald,“ nicht mehr müßig erſcheinen. Unſere Sinne fühlen ſich ge-
ſchärft, wir nehmen wahr, wir unterſcheiden, wir verſtehen, wo wir
früher blos empfanden und entzückt waren, und indem wir Jenes lernen,
büßen wir an Letzterem nichts ein. Mehr noch, wir büßen nicht nur
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/35>, abgerufen am 22.12.2024.
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