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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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doch höchstens vermuthen, daß diese Abweichung die Grundlage zur Ver-
bänderung sei; eine Bestätigung dieser Vermuthung durch eine darauf
wirklich folgende Verbänderung ist aber natürlich eine Unmöglichkeit, da
wir ja durch unsere mikroskopische Untersuchung die muthmaßliche Ver-
bänderungsanlage zerstörten. Allein wenn auch diese Unmöglichkeit nicht
vorläge, wenn wir diese Abnormität des Vegetationspunktes aufgefunden
hätten ohne dessen Weiterentwickelung zu stören, so hätten wir immer
noch nichts weiter gefunden als die abnorme Anlage zur Verbänderung,
und wir müßten dann weiter fragen, wodurch diese Abnormität bedingt
gewesen sei.

Da stehen wir aber vor der verschlossenen Pforte, hinter welcher
die Geheimnisse des Zellenlebens verborgen sind und wahrscheinlich immer
verborgen bleiben werden.

Da das Wachsthum der Pflanzen lediglich auf Zellenvermehrung
beruht, wobei sich die Zellen bei den verschiedenen Pflanzen und Pflanzen-
theilen nun wieder anders nebeneinander gruppiren, so dürfen und müssen
wir annehmen, daß die Verbänderung mit einer Abweichung von der
normalen Aneinanderlagerung der neugebildeten Zellen beruhe. Es liegt
jedoch auf der Hand, daß dies keine Erklärung der Verbänderung ist.

Die Wissenschaft muß also ehrlich eingestehen, daß sie Ursache und
Entwickelungsgang der Verbänderung nicht kenne.

Es wird behauptet, daß die Verbänderung mehr bei kultivirten,
namentlich Gartenpflanzen als bei wildwachsenden vorkommt. Wenn dies
richtig ist, so wäre zu vermuthen, daß die veränderte Lebens- und
namentlich Ernährungsweise der Gewächse die Verbänderung begünstige.

Die zwei genannten Nadelhölzer, Fichte und Kiefer, sind geeignet,
wenigstens in einer Hinsicht ein mattes Licht auf die Verbänderung zu
werfen. Da an den Triebspitzen dieser Bäume die Knospen immer
regelmäßig und auch in ziemlich bestimmter Zahl beisammen stehen,
nämlich als Quirlknospen um eine Mittelknospe, so fragt es sich, ob
bei ihnen die Verbänderung aus einer dieser Knospen auf Kosten der
übrigen hervorgehe, oder ob wenigstens die unverbänderten Triebe der
übrigen Knospen in der Entwickelung zurückbleiben; oder ob die Ver-
bänderung einen solchen Einfluß nicht ausübe. Ob hierüber Be-

doch höchſtens vermuthen, daß dieſe Abweichung die Grundlage zur Ver-
bänderung ſei; eine Beſtätigung dieſer Vermuthung durch eine darauf
wirklich folgende Verbänderung iſt aber natürlich eine Unmöglichkeit, da
wir ja durch unſere mikroſkopiſche Unterſuchung die muthmaßliche Ver-
bänderungsanlage zerſtörten. Allein wenn auch dieſe Unmöglichkeit nicht
vorläge, wenn wir dieſe Abnormität des Vegetationspunktes aufgefunden
hätten ohne deſſen Weiterentwickelung zu ſtören, ſo hätten wir immer
noch nichts weiter gefunden als die abnorme Anlage zur Verbänderung,
und wir müßten dann weiter fragen, wodurch dieſe Abnormität bedingt
geweſen ſei.

Da ſtehen wir aber vor der verſchloſſenen Pforte, hinter welcher
die Geheimniſſe des Zellenlebens verborgen ſind und wahrſcheinlich immer
verborgen bleiben werden.

Da das Wachsthum der Pflanzen lediglich auf Zellenvermehrung
beruht, wobei ſich die Zellen bei den verſchiedenen Pflanzen und Pflanzen-
theilen nun wieder anders nebeneinander gruppiren, ſo dürfen und müſſen
wir annehmen, daß die Verbänderung mit einer Abweichung von der
normalen Aneinanderlagerung der neugebildeten Zellen beruhe. Es liegt
jedoch auf der Hand, daß dies keine Erklärung der Verbänderung iſt.

Die Wiſſenſchaft muß alſo ehrlich eingeſtehen, daß ſie Urſache und
Entwickelungsgang der Verbänderung nicht kenne.

Es wird behauptet, daß die Verbänderung mehr bei kultivirten,
namentlich Gartenpflanzen als bei wildwachſenden vorkommt. Wenn dies
richtig iſt, ſo wäre zu vermuthen, daß die veränderte Lebens- und
namentlich Ernährungsweiſe der Gewächſe die Verbänderung begünſtige.

Die zwei genannten Nadelhölzer, Fichte und Kiefer, ſind geeignet,
wenigſtens in einer Hinſicht ein mattes Licht auf die Verbänderung zu
werfen. Da an den Triebſpitzen dieſer Bäume die Knospen immer
regelmäßig und auch in ziemlich beſtimmter Zahl beiſammen ſtehen,
nämlich als Quirlknospen um eine Mittelknospe, ſo fragt es ſich, ob
bei ihnen die Verbänderung aus einer dieſer Knospen auf Koſten der
übrigen hervorgehe, oder ob wenigſtens die unverbänderten Triebe der
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bänderung einen ſolchen Einfluß nicht ausübe. Ob hierüber Be-

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[320/0350] doch höchſtens vermuthen, daß dieſe Abweichung die Grundlage zur Ver- bänderung ſei; eine Beſtätigung dieſer Vermuthung durch eine darauf wirklich folgende Verbänderung iſt aber natürlich eine Unmöglichkeit, da wir ja durch unſere mikroſkopiſche Unterſuchung die muthmaßliche Ver- bänderungsanlage zerſtörten. Allein wenn auch dieſe Unmöglichkeit nicht vorläge, wenn wir dieſe Abnormität des Vegetationspunktes aufgefunden hätten ohne deſſen Weiterentwickelung zu ſtören, ſo hätten wir immer noch nichts weiter gefunden als die abnorme Anlage zur Verbänderung, und wir müßten dann weiter fragen, wodurch dieſe Abnormität bedingt geweſen ſei. Da ſtehen wir aber vor der verſchloſſenen Pforte, hinter welcher die Geheimniſſe des Zellenlebens verborgen ſind und wahrſcheinlich immer verborgen bleiben werden. Da das Wachsthum der Pflanzen lediglich auf Zellenvermehrung beruht, wobei ſich die Zellen bei den verſchiedenen Pflanzen und Pflanzen- theilen nun wieder anders nebeneinander gruppiren, ſo dürfen und müſſen wir annehmen, daß die Verbänderung mit einer Abweichung von der normalen Aneinanderlagerung der neugebildeten Zellen beruhe. Es liegt jedoch auf der Hand, daß dies keine Erklärung der Verbänderung iſt. Die Wiſſenſchaft muß alſo ehrlich eingeſtehen, daß ſie Urſache und Entwickelungsgang der Verbänderung nicht kenne. Es wird behauptet, daß die Verbänderung mehr bei kultivirten, namentlich Gartenpflanzen als bei wildwachſenden vorkommt. Wenn dies richtig iſt, ſo wäre zu vermuthen, daß die veränderte Lebens- und namentlich Ernährungsweiſe der Gewächſe die Verbänderung begünſtige. Die zwei genannten Nadelhölzer, Fichte und Kiefer, ſind geeignet, wenigſtens in einer Hinſicht ein mattes Licht auf die Verbänderung zu werfen. Da an den Triebſpitzen dieſer Bäume die Knospen immer regelmäßig und auch in ziemlich beſtimmter Zahl beiſammen ſtehen, nämlich als Quirlknospen um eine Mittelknospe, ſo fragt es ſich, ob bei ihnen die Verbänderung aus einer dieſer Knospen auf Koſten der übrigen hervorgehe, oder ob wenigſtens die unverbänderten Triebe der übrigen Knospen in der Entwickelung zurückbleiben; oder ob die Ver- bänderung einen ſolchen Einfluß nicht ausübe. Ob hierüber Be-

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/350>, abgerufen am 26.06.2024.