Wir kommen nun zu einer Gruppe von 13 zum Theil selbst baum- artigen Laubhölzern, welche den Wald an unsere Obstgärten anknüpfen, indem sie nach unserer gärtnerischen Eintheilungsweise mehr oder weniger den Namen Obstbäume verdienen, und als solche aus dem Walde zum Theil in unsere Gärten eingewandert sind, oder auch umgekehrt.
Die Mehrzahl dieser Holzarten gehört der natürlichen Familie der Rosengewächse, Rosaceen, die Minderzahl der der Mandelgewächse, Amygdalaceen, an, welche beide im natürlichen System nahe bei einander stehen und auch in der Blüthenbildung sehr verwandt mit einander sind. Die Blüthen einer wilden Rose, einer Erdbeere, eines Apfelbaums, eines Pflaumen- oder Kirschbaums geben uns ein Bild von der Blüthen- bildung, wie sie in diesen beiden Pflanzenfamilien herrschend ist. Linne verband in seinem System beide Familien in einer Classe, welche er Zwanzigmännige, Jcosandria, nannte, und von der vorhergehenden Classe: Vielmännige, Polyandria, blos dadurch unterschied, daß die große Anzahl von Staubgefäßen, welche bei den Zwanzigmännigen jedoch oft viel mehr als zwanzig sind, auf dem Kelche aufgewachsen sind, während dieselben bei den Vielmännigen auf dem Fruchtboden stehen. Wenn wir von einer wilden Rose die fünf Blumenblätter hinwegnehmen, so sehen wir deutlich, daß die Staubgefäße in Form eines Kreises auf dem ungebogenen Rande des fünfspaltigen Kelches stehen, was derselbe Fall bei der Apfel-, Birnen-, Quitten- und Weißdornblüthe ist, ja es ist ganz dasselbe bei den Blüthen des Kirschbaums oder Pflaumenbaums. Neben dieser Uebereinstimmung der genannten beiden Pflanzenfamilien ist es sehr leicht, abgesehen von anderen namentlich in der Frucht liegenden Unterscheidungsmerkmalen dieselben von einander zu unterscheiden, nämlich durch das Verhalten des Kelches nach dem Verblühen. Wir wissen daß die Hagebutte, bekannt- lich die Frucht der wilden Rose, an ihrem oberen Ende die fünf Zipfel des stehenbleibenden Kelches trägt; ganz dasselbe ist es bei Birne und Apfel, wo man im gewöhnlichen Leben den stehengebliebenen Kelch unrichtig die Blüthe zu nennen pflegt, da er doch vielmehr nur ein Theil derselben ist. An jeder reifen Frucht einer Rosacee sehen wir also an der Spitze mehr oder weniger deutlich den stehengebliebenen Kelch. Das ist bei den Mandelgewächsen nicht der Fall. Wenn sich die junge Pflaume oder Kirsche zu entwickeln beginnt, so streift sie den trocken gewordenen Kelch
Wir kommen nun zu einer Gruppe von 13 zum Theil ſelbſt baum- artigen Laubhölzern, welche den Wald an unſere Obſtgärten anknüpfen, indem ſie nach unſerer gärtneriſchen Eintheilungsweiſe mehr oder weniger den Namen Obſtbäume verdienen, und als ſolche aus dem Walde zum Theil in unſere Gärten eingewandert ſind, oder auch umgekehrt.
Die Mehrzahl dieſer Holzarten gehört der natürlichen Familie der Roſengewächſe, Roſaceen, die Minderzahl der der Mandelgewächſe, Amygdalaceen, an, welche beide im natürlichen Syſtem nahe bei einander ſtehen und auch in der Blüthenbildung ſehr verwandt mit einander ſind. Die Blüthen einer wilden Roſe, einer Erdbeere, eines Apfelbaums, eines Pflaumen- oder Kirſchbaums geben uns ein Bild von der Blüthen- bildung, wie ſie in dieſen beiden Pflanzenfamilien herrſchend iſt. Linné verband in ſeinem Syſtem beide Familien in einer Claſſe, welche er Zwanzigmännige, Jcoſandria, nannte, und von der vorhergehenden Claſſe: Vielmännige, Polyandria, blos dadurch unterſchied, daß die große Anzahl von Staubgefäßen, welche bei den Zwanzigmännigen jedoch oft viel mehr als zwanzig ſind, auf dem Kelche aufgewachſen ſind, während dieſelben bei den Vielmännigen auf dem Fruchtboden ſtehen. Wenn wir von einer wilden Roſe die fünf Blumenblätter hinwegnehmen, ſo ſehen wir deutlich, daß die Staubgefäße in Form eines Kreiſes auf dem ungebogenen Rande des fünfſpaltigen Kelches ſtehen, was derſelbe Fall bei der Apfel-, Birnen-, Quitten- und Weißdornblüthe iſt, ja es iſt ganz daſſelbe bei den Blüthen des Kirſchbaums oder Pflaumenbaums. Neben dieſer Uebereinſtimmung der genannten beiden Pflanzenfamilien iſt es ſehr leicht, abgeſehen von anderen namentlich in der Frucht liegenden Unterſcheidungsmerkmalen dieſelben von einander zu unterſcheiden, nämlich durch das Verhalten des Kelches nach dem Verblühen. Wir wiſſen daß die Hagebutte, bekannt- lich die Frucht der wilden Roſe, an ihrem oberen Ende die fünf Zipfel des ſtehenbleibenden Kelches trägt; ganz daſſelbe iſt es bei Birne und Apfel, wo man im gewöhnlichen Leben den ſtehengebliebenen Kelch unrichtig die Blüthe zu nennen pflegt, da er doch vielmehr nur ein Theil derſelben iſt. An jeder reifen Frucht einer Roſacee ſehen wir alſo an der Spitze mehr oder weniger deutlich den ſtehengebliebenen Kelch. Das iſt bei den Mandelgewächſen nicht der Fall. Wenn ſich die junge Pflaume oder Kirſche zu entwickeln beginnt, ſo ſtreift ſie den trocken gewordenen Kelch
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Wir kommen nun zu einer Gruppe von 13 zum Theil ſelbſt baum-
artigen Laubhölzern, welche den Wald an unſere Obſtgärten anknüpfen,
indem ſie nach unſerer gärtneriſchen Eintheilungsweiſe mehr oder weniger
den Namen Obſtbäume verdienen, und als ſolche aus dem Walde zum
Theil in unſere Gärten eingewandert ſind, oder auch umgekehrt.
Die Mehrzahl dieſer Holzarten gehört der natürlichen Familie der
Roſengewächſe, Roſaceen, die Minderzahl der der Mandelgewächſe,
Amygdalaceen, an, welche beide im natürlichen Syſtem nahe bei
einander ſtehen und auch in der Blüthenbildung ſehr verwandt mit einander
ſind. Die Blüthen einer wilden Roſe, einer Erdbeere, eines Apfelbaums,
eines Pflaumen- oder Kirſchbaums geben uns ein Bild von der Blüthen-
bildung, wie ſie in dieſen beiden Pflanzenfamilien herrſchend iſt. Linné
verband in ſeinem Syſtem beide Familien in einer Claſſe, welche er
Zwanzigmännige, Jcoſandria, nannte, und von der vorhergehenden Claſſe:
Vielmännige, Polyandria, blos dadurch unterſchied, daß die große Anzahl
von Staubgefäßen, welche bei den Zwanzigmännigen jedoch oft viel mehr
als zwanzig ſind, auf dem Kelche aufgewachſen ſind, während dieſelben
bei den Vielmännigen auf dem Fruchtboden ſtehen. Wenn wir von einer
wilden Roſe die fünf Blumenblätter hinwegnehmen, ſo ſehen wir deutlich,
daß die Staubgefäße in Form eines Kreiſes auf dem ungebogenen Rande
des fünfſpaltigen Kelches ſtehen, was derſelbe Fall bei der Apfel-, Birnen-,
Quitten- und Weißdornblüthe iſt, ja es iſt ganz daſſelbe bei den Blüthen
des Kirſchbaums oder Pflaumenbaums. Neben dieſer Uebereinſtimmung
der genannten beiden Pflanzenfamilien iſt es ſehr leicht, abgeſehen von
anderen namentlich in der Frucht liegenden Unterſcheidungsmerkmalen
dieſelben von einander zu unterſcheiden, nämlich durch das Verhalten des
Kelches nach dem Verblühen. Wir wiſſen daß die Hagebutte, bekannt-
lich die Frucht der wilden Roſe, an ihrem oberen Ende die fünf Zipfel
des ſtehenbleibenden Kelches trägt; ganz daſſelbe iſt es bei Birne und
Apfel, wo man im gewöhnlichen Leben den ſtehengebliebenen Kelch unrichtig
die Blüthe zu nennen pflegt, da er doch vielmehr nur ein Theil derſelben
iſt. An jeder reifen Frucht einer Roſacee ſehen wir alſo an der Spitze
mehr oder weniger deutlich den ſtehengebliebenen Kelch. Das iſt bei den
Mandelgewächſen nicht der Fall. Wenn ſich die junge Pflaume oder
Kirſche zu entwickeln beginnt, ſo ſtreift ſie den trocken gewordenen Kelch
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/550>, abgerufen am 23.12.2024.
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