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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Ohne auf die undankbare, in doppelter Hinsicht undankbare Erörte-
rung der Frage eingehen zu wollen, welcher unserer Waldbäume (von
den Nadelhölzern absehend), von welchen dabei neben der Linde wohl nur
noch Eiche, Buche, Rüster und Esche als Mitbewerber um unsere Gunst
auftreten könnten, der schönste sei, da von allen diesen, ja selbst auch noch
vom Hornbaum und dem Bergahorn, Musterbäume vorkommen: so müssen
wir der Linde doch wohl unbedenklich vor allen anderen den Vorzug ein-
räumen, daß sie seit uralter Zeit vor allen Bäumen der Liebling des
deutschen Volkes -- aber auch anderer benachbarter Volksstämme -- ge-
wesen ist. Mag immerhin die Eiche der Symbolbaum deutscher Kraft
sein, die Linde ist das Bild, der Ausdruck der deutschen Innigkeit.

"Unter der "Kirchhofslinde" wurde so manchem Dahingeschiedenen
der thränenreiche Abschiedsgruß dargebracht; unter der breitästigen "Dorf-
linde" tanzte so manches heranwachsende Geschlecht. Der gewaltige Baum
überdauert das Schicksal vieler Geschlechter, so daß das letzte von jenem
nichts mehr weiß, welches vor vielen Jahrhunderten, vielleicht bei einer
feierlichen Gelegenheit, das junge Bäumchen "zum ewigen Gedächtniß"
setzte. Ja, was der Mensch, was namentlich die in behaglichem Stillleben
zufriedene Dorfgemeinde ein ewiges Gedächtniß nennt, das vermag der
Lindenbaum mit seinem Leben zu umspannen, wie er Jahrhunderte lang
die ganze versammelte Gemeinde mit seinem Schattendach überschirmen
konnte. Ist es doch, als ob die vielen tausend Herzen, die unter dem
Lindenschatten vor Freude hüpften oder in bitterem Trennungsschmerz
schier brechen wollten -- ist es doch, als ob sie alle in dem schönen herz-
förmigen Lindenblatt alljährlich ein Auferstehungsfest feierten. Es hat ja
kein zweiter deutscher Baum diese Gestalt seines Blattes."

"Das Leben der Linde ist auch dazu angethan, sie zum Liebling und
Hausfreund der Menschen, zum lebendigen Zeugen für spätere Geschlechter
zu machen. Ihre Jugend ist ein freudiges fördersames Gedeihen; ihr
Mannesalter ein rastlos wirkendes urkräftiges Verjüngen, und selbst im
höchsten Alter sucht man meist vergeblich nach den Zeichen des Verfalls.
An passenden Standort gepflanzt und vor Beschädigungen geschützt sieht
der Pflanzer seinen Pflegling fröhlich gedeihen und zum stattlichen Baume
erwachsen. Der walzenrunde Schaft mit gesunder nur leicht gefurchter
Rinde, der leicht und vollständig die Narben abgestoßener Aeste verwischt,

Ohne auf die undankbare, in doppelter Hinſicht undankbare Erörte-
rung der Frage eingehen zu wollen, welcher unſerer Waldbäume (von
den Nadelhölzern abſehend), von welchen dabei neben der Linde wohl nur
noch Eiche, Buche, Rüſter und Eſche als Mitbewerber um unſere Gunſt
auftreten könnten, der ſchönſte ſei, da von allen dieſen, ja ſelbſt auch noch
vom Hornbaum und dem Bergahorn, Muſterbäume vorkommen: ſo müſſen
wir der Linde doch wohl unbedenklich vor allen anderen den Vorzug ein-
räumen, daß ſie ſeit uralter Zeit vor allen Bäumen der Liebling des
deutſchen Volkes — aber auch anderer benachbarter Volksſtämme — ge-
weſen iſt. Mag immerhin die Eiche der Symbolbaum deutſcher Kraft
ſein, die Linde iſt das Bild, der Ausdruck der deutſchen Innigkeit.

„Unter der „Kirchhofslinde“ wurde ſo manchem Dahingeſchiedenen
der thränenreiche Abſchiedsgruß dargebracht; unter der breitäſtigen „Dorf-
linde“ tanzte ſo manches heranwachſende Geſchlecht. Der gewaltige Baum
überdauert das Schickſal vieler Geſchlechter, ſo daß das letzte von jenem
nichts mehr weiß, welches vor vielen Jahrhunderten, vielleicht bei einer
feierlichen Gelegenheit, das junge Bäumchen „zum ewigen Gedächtniß“
ſetzte. Ja, was der Menſch, was namentlich die in behaglichem Stillleben
zufriedene Dorfgemeinde ein ewiges Gedächtniß nennt, das vermag der
Lindenbaum mit ſeinem Leben zu umſpannen, wie er Jahrhunderte lang
die ganze verſammelte Gemeinde mit ſeinem Schattendach überſchirmen
konnte. Iſt es doch, als ob die vielen tauſend Herzen, die unter dem
Lindenſchatten vor Freude hüpften oder in bitterem Trennungsſchmerz
ſchier brechen wollten — iſt es doch, als ob ſie alle in dem ſchönen herz-
förmigen Lindenblatt alljährlich ein Auferſtehungsfeſt feierten. Es hat ja
kein zweiter deutſcher Baum dieſe Geſtalt ſeines Blattes.“

„Das Leben der Linde iſt auch dazu angethan, ſie zum Liebling und
Hausfreund der Menſchen, zum lebendigen Zeugen für ſpätere Geſchlechter
zu machen. Ihre Jugend iſt ein freudiges förderſames Gedeihen; ihr
Mannesalter ein raſtlos wirkendes urkräftiges Verjüngen, und ſelbſt im
höchſten Alter ſucht man meiſt vergeblich nach den Zeichen des Verfalls.
An paſſenden Standort gepflanzt und vor Beſchädigungen geſchützt ſieht
der Pflanzer ſeinen Pflegling fröhlich gedeihen und zum ſtattlichen Baume
erwachſen. Der walzenrunde Schaft mit geſunder nur leicht gefurchter
Rinde, der leicht und vollſtändig die Narben abgeſtoßener Aeſte verwiſcht,

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[544/0600] Ohne auf die undankbare, in doppelter Hinſicht undankbare Erörte- rung der Frage eingehen zu wollen, welcher unſerer Waldbäume (von den Nadelhölzern abſehend), von welchen dabei neben der Linde wohl nur noch Eiche, Buche, Rüſter und Eſche als Mitbewerber um unſere Gunſt auftreten könnten, der ſchönſte ſei, da von allen dieſen, ja ſelbſt auch noch vom Hornbaum und dem Bergahorn, Muſterbäume vorkommen: ſo müſſen wir der Linde doch wohl unbedenklich vor allen anderen den Vorzug ein- räumen, daß ſie ſeit uralter Zeit vor allen Bäumen der Liebling des deutſchen Volkes — aber auch anderer benachbarter Volksſtämme — ge- weſen iſt. Mag immerhin die Eiche der Symbolbaum deutſcher Kraft ſein, die Linde iſt das Bild, der Ausdruck der deutſchen Innigkeit. „Unter der „Kirchhofslinde“ wurde ſo manchem Dahingeſchiedenen der thränenreiche Abſchiedsgruß dargebracht; unter der breitäſtigen „Dorf- linde“ tanzte ſo manches heranwachſende Geſchlecht. Der gewaltige Baum überdauert das Schickſal vieler Geſchlechter, ſo daß das letzte von jenem nichts mehr weiß, welches vor vielen Jahrhunderten, vielleicht bei einer feierlichen Gelegenheit, das junge Bäumchen „zum ewigen Gedächtniß“ ſetzte. Ja, was der Menſch, was namentlich die in behaglichem Stillleben zufriedene Dorfgemeinde ein ewiges Gedächtniß nennt, das vermag der Lindenbaum mit ſeinem Leben zu umſpannen, wie er Jahrhunderte lang die ganze verſammelte Gemeinde mit ſeinem Schattendach überſchirmen konnte. Iſt es doch, als ob die vielen tauſend Herzen, die unter dem Lindenſchatten vor Freude hüpften oder in bitterem Trennungsſchmerz ſchier brechen wollten — iſt es doch, als ob ſie alle in dem ſchönen herz- förmigen Lindenblatt alljährlich ein Auferſtehungsfeſt feierten. Es hat ja kein zweiter deutſcher Baum dieſe Geſtalt ſeines Blattes.“ „Das Leben der Linde iſt auch dazu angethan, ſie zum Liebling und Hausfreund der Menſchen, zum lebendigen Zeugen für ſpätere Geſchlechter zu machen. Ihre Jugend iſt ein freudiges förderſames Gedeihen; ihr Mannesalter ein raſtlos wirkendes urkräftiges Verjüngen, und ſelbſt im höchſten Alter ſucht man meiſt vergeblich nach den Zeichen des Verfalls. An paſſenden Standort gepflanzt und vor Beſchädigungen geſchützt ſieht der Pflanzer ſeinen Pflegling fröhlich gedeihen und zum ſtattlichen Baume erwachſen. Der walzenrunde Schaft mit geſunder nur leicht gefurchter Rinde, der leicht und vollſtändig die Narben abgeſtoßener Aeſte verwiſcht,

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/600>, abgerufen am 02.06.2024.