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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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giebt selbst dem fünfzigjährigen und noch älteren Baum ein noch jugend-
liches Ansehen, und ist ein um so besserer Maaßstab, daran das hohe
Alter jener Riesenbäume zu schätzen, welche sich namentlich im südlichen
Deutschland in den Dörfern und Weilern finden, und daselbst schon für
viele Geschlechter ein Stück Heimath geworden sind, welches unantastbar
und gefeiet steht unter dem Schutz der Ueberlieferung und der jedem reinen
Gemüthe eigenen Ehrfurcht vor dem Begriff des Baumes, welche jedes
diesem angethane Unrecht mit dem harten Worte Frevel bezeichnet."

"So kommt es denn, daß bei weitem die meisten unserer geschicht-
lichen, wenn auch nur gemeindegeschichtlichen Bäume Linden sind, und es
wäre ein kleiner aber interessanter Theil der noch zu schreibenden vater-
ländischen naturgeschichtlichen Statistik, alle irgendwie denkwürdigen Linden
Deutschlands zu verzeichnen und kurz zu beschreiben."

"Wenn wir den Bäumen nachrühmen, daß sie uns Schirmer und
Schützer sind, so müssen wir die ihre starken knorrigen Aeste emporreckende
Eiche den schützenden Vater und die Linde in ihrer oben beschriebenen
Haltung die hütende Mutter nennen. Wem die günstige Gelegenheit ge-
boten ist, von Eiche und Linde einen Musterbaum in Vergleichung unter-
stützender Nähe bei einander zu haben, der wird sicher mit mir finden,
daß in jener sich die männliche trotzige Thatkraft ausspricht, in dieser mehr
die weiche weibliche Innigkeit. Giebt es einen entzückenderen Anblick, als
eine mit süßduftenden Blüthen beladene Linde, so daß ihre eigene Per-
sönlichkeit, das belaubte Gezweig, fast verschwindend zurücktritt? Auch
darin liegt eben ein sie vor allen unseren übrigen Bäumen bevorzugender
Charakter, daß sie erst blüht nachdem sie mindestens einen Monat lang,
gewissermaaßen ihr eigenes Selbst geltend machend, blos Blätter zeigte,
und erst nachher den sorglich vorbereiteten Segen ihrer Blüthenfülle spendet."

In Nr. 24. 1862. meines naturwissenschaftlichen Volksblatts "Aus
der Heimath", woraus diese Stelle entlehnt ist, hatte ich zu Mittheilungen
über berühmte Linden aufgefordert, worauf mir auch ziemlich zahlreiche
Mittheilungen geworden sind, von denen ich neben einigen anderen älteren
Beispielen, Einiges mittheile.*)

*) Ueber folgende denkwürdige Linden liegen mir ausführliche Beschreibungen und
zum Theil Abbildungen vor, wofür mich die dabei genannten Herren zu Dank verpflichtet
Roßmäßler, der Wald. 35

giebt ſelbſt dem fünfzigjährigen und noch älteren Baum ein noch jugend-
liches Anſehen, und iſt ein um ſo beſſerer Maaßſtab, daran das hohe
Alter jener Rieſenbäume zu ſchätzen, welche ſich namentlich im ſüdlichen
Deutſchland in den Dörfern und Weilern finden, und daſelbſt ſchon für
viele Geſchlechter ein Stück Heimath geworden ſind, welches unantaſtbar
und gefeiet ſteht unter dem Schutz der Ueberlieferung und der jedem reinen
Gemüthe eigenen Ehrfurcht vor dem Begriff des Baumes, welche jedes
dieſem angethane Unrecht mit dem harten Worte Frevel bezeichnet.“

„So kommt es denn, daß bei weitem die meiſten unſerer geſchicht-
lichen, wenn auch nur gemeindegeſchichtlichen Bäume Linden ſind, und es
wäre ein kleiner aber intereſſanter Theil der noch zu ſchreibenden vater-
ländiſchen naturgeſchichtlichen Statiſtik, alle irgendwie denkwürdigen Linden
Deutſchlands zu verzeichnen und kurz zu beſchreiben.“

„Wenn wir den Bäumen nachrühmen, daß ſie uns Schirmer und
Schützer ſind, ſo müſſen wir die ihre ſtarken knorrigen Aeſte emporreckende
Eiche den ſchützenden Vater und die Linde in ihrer oben beſchriebenen
Haltung die hütende Mutter nennen. Wem die günſtige Gelegenheit ge-
boten iſt, von Eiche und Linde einen Muſterbaum in Vergleichung unter-
ſtützender Nähe bei einander zu haben, der wird ſicher mit mir finden,
daß in jener ſich die männliche trotzige Thatkraft ausſpricht, in dieſer mehr
die weiche weibliche Innigkeit. Giebt es einen entzückenderen Anblick, als
eine mit ſüßduftenden Blüthen beladene Linde, ſo daß ihre eigene Per-
ſönlichkeit, das belaubte Gezweig, faſt verſchwindend zurücktritt? Auch
darin liegt eben ein ſie vor allen unſeren übrigen Bäumen bevorzugender
Charakter, daß ſie erſt blüht nachdem ſie mindeſtens einen Monat lang,
gewiſſermaaßen ihr eigenes Selbſt geltend machend, blos Blätter zeigte,
und erſt nachher den ſorglich vorbereiteten Segen ihrer Blüthenfülle ſpendet.“

In Nr. 24. 1862. meines naturwiſſenſchaftlichen Volksblatts „Aus
der Heimath“, woraus dieſe Stelle entlehnt iſt, hatte ich zu Mittheilungen
über berühmte Linden aufgefordert, worauf mir auch ziemlich zahlreiche
Mittheilungen geworden ſind, von denen ich neben einigen anderen älteren
Beiſpielen, Einiges mittheile.*)

*) Ueber folgende denkwürdige Linden liegen mir ausführliche Beſchreibungen und
zum Theil Abbildungen vor, wofür mich die dabei genannten Herren zu Dank verpflichtet
Roßmäßler, der Wald. 35
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[545/0601] giebt ſelbſt dem fünfzigjährigen und noch älteren Baum ein noch jugend- liches Anſehen, und iſt ein um ſo beſſerer Maaßſtab, daran das hohe Alter jener Rieſenbäume zu ſchätzen, welche ſich namentlich im ſüdlichen Deutſchland in den Dörfern und Weilern finden, und daſelbſt ſchon für viele Geſchlechter ein Stück Heimath geworden ſind, welches unantaſtbar und gefeiet ſteht unter dem Schutz der Ueberlieferung und der jedem reinen Gemüthe eigenen Ehrfurcht vor dem Begriff des Baumes, welche jedes dieſem angethane Unrecht mit dem harten Worte Frevel bezeichnet.“ „So kommt es denn, daß bei weitem die meiſten unſerer geſchicht- lichen, wenn auch nur gemeindegeſchichtlichen Bäume Linden ſind, und es wäre ein kleiner aber intereſſanter Theil der noch zu ſchreibenden vater- ländiſchen naturgeſchichtlichen Statiſtik, alle irgendwie denkwürdigen Linden Deutſchlands zu verzeichnen und kurz zu beſchreiben.“ „Wenn wir den Bäumen nachrühmen, daß ſie uns Schirmer und Schützer ſind, ſo müſſen wir die ihre ſtarken knorrigen Aeſte emporreckende Eiche den ſchützenden Vater und die Linde in ihrer oben beſchriebenen Haltung die hütende Mutter nennen. Wem die günſtige Gelegenheit ge- boten iſt, von Eiche und Linde einen Muſterbaum in Vergleichung unter- ſtützender Nähe bei einander zu haben, der wird ſicher mit mir finden, daß in jener ſich die männliche trotzige Thatkraft ausſpricht, in dieſer mehr die weiche weibliche Innigkeit. Giebt es einen entzückenderen Anblick, als eine mit ſüßduftenden Blüthen beladene Linde, ſo daß ihre eigene Per- ſönlichkeit, das belaubte Gezweig, faſt verſchwindend zurücktritt? Auch darin liegt eben ein ſie vor allen unſeren übrigen Bäumen bevorzugender Charakter, daß ſie erſt blüht nachdem ſie mindeſtens einen Monat lang, gewiſſermaaßen ihr eigenes Selbſt geltend machend, blos Blätter zeigte, und erſt nachher den ſorglich vorbereiteten Segen ihrer Blüthenfülle ſpendet.“ In Nr. 24. 1862. meines naturwiſſenſchaftlichen Volksblatts „Aus der Heimath“, woraus dieſe Stelle entlehnt iſt, hatte ich zu Mittheilungen über berühmte Linden aufgefordert, worauf mir auch ziemlich zahlreiche Mittheilungen geworden ſind, von denen ich neben einigen anderen älteren Beiſpielen, Einiges mittheile. *) *) Ueber folgende denkwürdige Linden liegen mir ausführliche Beſchreibungen und zum Theil Abbildungen vor, wofür mich die dabei genannten Herren zu Dank verpflichtet Roßmäßler, der Wald. 35

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/601>, abgerufen am 17.06.2024.