Die Beobachtungen der Waldkräuter und Gräser geben Gelegenheit zu einer lehrreichen Erfahrung, die hier am besten einige Worte der Er- wähnung findet.
Wenn ein achtzigjähriger oder noch älterer Fichtenhochwald ganz abgetrie- ben wird und nachdem die Stämme abgefahren auch die Stöcke gerodet worden sind, so ist dies einigermaßen mit einer Art Bodenbearbeitung nothwendig verbunden. Das Herausschleifen und Abfahren des Holzes, das Aufwühlen des Bodens beim Stockroden, die Wagengeleise und die Tritte der Pferde -- alles dieses schließt den bisher dicht verhüllt gewesenen Boden auf und gestattet dem Regen und der Luft- und Wärmeeinwirkung den Zugang. Tritt zumal nach der Schlagräumung fruchtbare Witterung ein, so erscheinen sofort, spätestens im folgenden Jahre eine Menge Pflanzen, als wären sie hingesäet und man fragt sich, woher sie gekommen. Bei so hochent- wickelten Pflanzen träumt auch der Wundersüchtige nicht von "einem Entstehen von selbst", sondern er läßt sich nur die Wahl, ob die Winde die Saamen hierher geführt haben, oder ob der Saamen viele Jahrzehnte lang im Boden geschlummert habe und jetzt erst in der ihm gewordenen Freiheit aufgegangen sei. Ohne Zweifel ist Beides der Fall. Manche Wald- pflanzen, wie z. B. das Waldkreuzkraut, Senecio silvaticus, und das Weidenröschen, Epilobium angustifolium, zwei der verbreitetsten Schlag- pflanzen, haben außerordentlich kleine mit großem Haarschopf versehene Saamen, welche selbst ein leiser Luftzug leicht tragen kann; andere, bei denen dies nicht der Fall ist, können nur dadurch auf einem frischgeräumten Schlage sich in Menge einfinden, daß ihre Saamen lange im Boden ge- legen hatten, ohne ihre Keimkraft zu verlieren. Vor kurzem sahe ich aus einem Gefäß voll Erde, welches durch eine Glasglocke abgesperrt war, allerlei Keimpflänzchen aufgehen, obgleich feststand, daß diese Erde, ein ehemaliger Komposthaufen, ganze 30 Jahre von einem festen Kieswege bedeckt ge- wesen war. Hier waren also unzweifelhaft Sämereien 30 Jahre lang mehrere Fuß tief im Boden vergraben gewesen und dennoch keimfähig geblieben.
Wenn man diese Seite des Waldbodens ins Auge faßt, so gewinnt er noch die sinnvolle Bedeutung als fruchtbarer Mutterschooß, dem nach langer Verschlossenheit eine Blumenfülle entsprießt, wenn sich des Himmels Segen darauf ergossen.
Die Beobachtungen der Waldkräuter und Gräſer geben Gelegenheit zu einer lehrreichen Erfahrung, die hier am beſten einige Worte der Er- wähnung findet.
Wenn ein achtzigjähriger oder noch älterer Fichtenhochwald ganz abgetrie- ben wird und nachdem die Stämme abgefahren auch die Stöcke gerodet worden ſind, ſo iſt dies einigermaßen mit einer Art Bodenbearbeitung nothwendig verbunden. Das Herausſchleifen und Abfahren des Holzes, das Aufwühlen des Bodens beim Stockroden, die Wagengeleiſe und die Tritte der Pferde — alles dieſes ſchließt den bisher dicht verhüllt geweſenen Boden auf und geſtattet dem Regen und der Luft- und Wärmeeinwirkung den Zugang. Tritt zumal nach der Schlagräumung fruchtbare Witterung ein, ſo erſcheinen ſofort, ſpäteſtens im folgenden Jahre eine Menge Pflanzen, als wären ſie hingeſäet und man fragt ſich, woher ſie gekommen. Bei ſo hochent- wickelten Pflanzen träumt auch der Wunderſüchtige nicht von „einem Entſtehen von ſelbſt“, ſondern er läßt ſich nur die Wahl, ob die Winde die Saamen hierher geführt haben, oder ob der Saamen viele Jahrzehnte lang im Boden geſchlummert habe und jetzt erſt in der ihm gewordenen Freiheit aufgegangen ſei. Ohne Zweifel iſt Beides der Fall. Manche Wald- pflanzen, wie z. B. das Waldkreuzkraut, Senecio silvaticus, und das Weidenröschen, Epilobium angustifolium, zwei der verbreitetſten Schlag- pflanzen, haben außerordentlich kleine mit großem Haarſchopf verſehene Saamen, welche ſelbſt ein leiſer Luftzug leicht tragen kann; andere, bei denen dies nicht der Fall iſt, können nur dadurch auf einem friſchgeräumten Schlage ſich in Menge einfinden, daß ihre Saamen lange im Boden ge- legen hatten, ohne ihre Keimkraft zu verlieren. Vor kurzem ſahe ich aus einem Gefäß voll Erde, welches durch eine Glasglocke abgeſperrt war, allerlei Keimpflänzchen aufgehen, obgleich feſtſtand, daß dieſe Erde, ein ehemaliger Kompoſthaufen, ganze 30 Jahre von einem feſten Kieswege bedeckt ge- weſen war. Hier waren alſo unzweifelhaft Sämereien 30 Jahre lang mehrere Fuß tief im Boden vergraben geweſen und dennoch keimfähig geblieben.
Wenn man dieſe Seite des Waldbodens ins Auge faßt, ſo gewinnt er noch die ſinnvolle Bedeutung als fruchtbarer Mutterſchooß, dem nach langer Verſchloſſenheit eine Blumenfülle entſprießt, wenn ſich des Himmels Segen darauf ergoſſen.
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[40/0064]
Die Beobachtungen der Waldkräuter und Gräſer geben Gelegenheit
zu einer lehrreichen Erfahrung, die hier am beſten einige Worte der Er-
wähnung findet.
Wenn ein achtzigjähriger oder noch älterer Fichtenhochwald ganz abgetrie-
ben wird und nachdem die Stämme abgefahren auch die Stöcke gerodet worden
ſind, ſo iſt dies einigermaßen mit einer Art Bodenbearbeitung nothwendig
verbunden. Das Herausſchleifen und Abfahren des Holzes, das Aufwühlen
des Bodens beim Stockroden, die Wagengeleiſe und die Tritte der Pferde —
alles dieſes ſchließt den bisher dicht verhüllt geweſenen Boden auf und
geſtattet dem Regen und der Luft- und Wärmeeinwirkung den Zugang.
Tritt zumal nach der Schlagräumung fruchtbare Witterung ein, ſo erſcheinen
ſofort, ſpäteſtens im folgenden Jahre eine Menge Pflanzen, als wären
ſie hingeſäet und man fragt ſich, woher ſie gekommen. Bei ſo hochent-
wickelten Pflanzen träumt auch der Wunderſüchtige nicht von „einem
Entſtehen von ſelbſt“, ſondern er läßt ſich nur die Wahl, ob die Winde die
Saamen hierher geführt haben, oder ob der Saamen viele Jahrzehnte lang
im Boden geſchlummert habe und jetzt erſt in der ihm gewordenen Freiheit
aufgegangen ſei. Ohne Zweifel iſt Beides der Fall. Manche Wald-
pflanzen, wie z. B. das Waldkreuzkraut, Senecio silvaticus, und das
Weidenröschen, Epilobium angustifolium, zwei der verbreitetſten Schlag-
pflanzen, haben außerordentlich kleine mit großem Haarſchopf verſehene
Saamen, welche ſelbſt ein leiſer Luftzug leicht tragen kann; andere, bei denen
dies nicht der Fall iſt, können nur dadurch auf einem friſchgeräumten
Schlage ſich in Menge einfinden, daß ihre Saamen lange im Boden ge-
legen hatten, ohne ihre Keimkraft zu verlieren. Vor kurzem ſahe ich aus
einem Gefäß voll Erde, welches durch eine Glasglocke abgeſperrt war, allerlei
Keimpflänzchen aufgehen, obgleich feſtſtand, daß dieſe Erde, ein ehemaliger
Kompoſthaufen, ganze 30 Jahre von einem feſten Kieswege bedeckt ge-
weſen war. Hier waren alſo unzweifelhaft Sämereien 30 Jahre lang
mehrere Fuß tief im Boden vergraben geweſen und dennoch keimfähig
geblieben.
Wenn man dieſe Seite des Waldbodens ins Auge faßt, ſo gewinnt
er noch die ſinnvolle Bedeutung als fruchtbarer Mutterſchooß, dem nach
langer Verſchloſſenheit eine Blumenfülle entſprießt, wenn ſich des Himmels
Segen darauf ergoſſen.
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/64>, abgerufen am 22.12.2024.
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