oft in einem weiten Umkreis an allen Kiefern von gleicher Alters- und Standortsbeschaffenheit dieselbe Erscheinung wahrnehmen. Wenn wir auf einem ganzen Fichtenorte das dem Jahre 1854 entsprechende Stammglied an allen Fichten auffallend kurz finden, -- und dann sind fast immer auch die Nadeln ungewöhnlich kurz und weniger lebhaft gefärbt -- so werden wir mit Grund schließen dürfen, daß in diesem Jahre eine heiße und trockne Witterung geherrscht habe; finden wir aber auf demselben Orte an einzelnen Plätzen an den Fichten den 1854er Trieb länger, so werden wir gewiß im Gehalt des Bodens oder in der Umstellung oder in der Lage, in einer feuchten Einsenkung des Bodens einen Grund auf- finden, welcher diese Fichten die Unbill des Jahres weniger empfinden ließ.
So kann man wirklich mit Grund sagen, daß die Nadelhölzer, we- nigstens in der Dickicht- und Stangenholzperiode, die Geschichtschreiber ihres eigenen Lebens und ihres Standortes sind.
Sehen wir nun, wie man an den Trieben der Laubhölzer das Alter oder wenigstens den jährlichen Zuwachs erkennen kann. Dabei sehen wir von immergrünen ab, deren wir überhaupt in Deutschland keine einzige Art besitzen, mit Ausnahme der Hülse oder Stechpalme, Ilex Aquifolium, welche den Namen eines Baumes kaum verdient.
Das jährliche Abwerfen des Laubes hat für uns in diesem Augen- blicke wenigstens die Bedeutung, daß uns das Laub so lange es noch ansitzt, sagt, was diesjähriger Trieb ist. Da nämlich unsere sommergrünen Bäume und Sträucher unter allen Verhältnissen das Laub vor dem Aus- bruch des neuen abwerfen, so ist an einem Baume alles das als diesjähriger Trieb zu betrachten, was die Blätter trägt. Dieser laubtragende jüngste Trieb ist in der Regel auch durch seine frischere und hellere, meist grün gefärbte Rinde von den älteren Trieben, deren letzte Fortsetzung er ist, zu unterscheiden.
So einfach diese Erkennung des dies- oder letztjährigen Triebes ist, so kann man doch leicht in einen Irrthum dabei verfallen, vor welchem wir uns also im voraus zu bewahren haben.
Während wir bei den Nadelhölzern gefunden haben, daß alle Triebe eines Jahres so ziemlich gleich lang sind, wenigstens die Haupttriebe unter sich und die Nebentriebe unter sich, so ist dies bei den Laubhölzern durchaus anders.
oft in einem weiten Umkreis an allen Kiefern von gleicher Alters- und Standortsbeſchaffenheit dieſelbe Erſcheinung wahrnehmen. Wenn wir auf einem ganzen Fichtenorte das dem Jahre 1854 entſprechende Stammglied an allen Fichten auffallend kurz finden, — und dann ſind faſt immer auch die Nadeln ungewöhnlich kurz und weniger lebhaft gefärbt — ſo werden wir mit Grund ſchließen dürfen, daß in dieſem Jahre eine heiße und trockne Witterung geherrſcht habe; finden wir aber auf demſelben Orte an einzelnen Plätzen an den Fichten den 1854er Trieb länger, ſo werden wir gewiß im Gehalt des Bodens oder in der Umſtellung oder in der Lage, in einer feuchten Einſenkung des Bodens einen Grund auf- finden, welcher dieſe Fichten die Unbill des Jahres weniger empfinden ließ.
So kann man wirklich mit Grund ſagen, daß die Nadelhölzer, we- nigſtens in der Dickicht- und Stangenholzperiode, die Geſchichtſchreiber ihres eigenen Lebens und ihres Standortes ſind.
Sehen wir nun, wie man an den Trieben der Laubhölzer das Alter oder wenigſtens den jährlichen Zuwachs erkennen kann. Dabei ſehen wir von immergrünen ab, deren wir überhaupt in Deutſchland keine einzige Art beſitzen, mit Ausnahme der Hülſe oder Stechpalme, Ilex Aquifolium, welche den Namen eines Baumes kaum verdient.
Das jährliche Abwerfen des Laubes hat für uns in dieſem Augen- blicke wenigſtens die Bedeutung, daß uns das Laub ſo lange es noch anſitzt, ſagt, was diesjähriger Trieb iſt. Da nämlich unſere ſommergrünen Bäume und Sträucher unter allen Verhältniſſen das Laub vor dem Aus- bruch des neuen abwerfen, ſo iſt an einem Baume alles das als diesjähriger Trieb zu betrachten, was die Blätter trägt. Dieſer laubtragende jüngſte Trieb iſt in der Regel auch durch ſeine friſchere und hellere, meiſt grün gefärbte Rinde von den älteren Trieben, deren letzte Fortſetzung er iſt, zu unterſcheiden.
So einfach dieſe Erkennung des dies- oder letztjährigen Triebes iſt, ſo kann man doch leicht in einen Irrthum dabei verfallen, vor welchem wir uns alſo im voraus zu bewahren haben.
Während wir bei den Nadelhölzern gefunden haben, daß alle Triebe eines Jahres ſo ziemlich gleich lang ſind, wenigſtens die Haupttriebe unter ſich und die Nebentriebe unter ſich, ſo iſt dies bei den Laubhölzern durchaus anders.
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oft in einem weiten Umkreis an allen Kiefern von gleicher Alters- und
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einem ganzen Fichtenorte das dem Jahre 1854 entſprechende Stammglied
an allen Fichten auffallend kurz finden, — und dann ſind faſt immer
auch die Nadeln ungewöhnlich kurz und weniger lebhaft gefärbt — ſo
werden wir mit Grund ſchließen dürfen, daß in dieſem Jahre eine heiße
und trockne Witterung geherrſcht habe; finden wir aber auf demſelben
Orte an einzelnen Plätzen an den Fichten den 1854er Trieb länger, ſo
werden wir gewiß im Gehalt des Bodens oder in der Umſtellung oder
in der Lage, in einer feuchten Einſenkung des Bodens einen Grund auf-
finden, welcher dieſe Fichten die Unbill des Jahres weniger empfinden ließ.
So kann man wirklich mit Grund ſagen, daß die Nadelhölzer, we-
nigſtens in der Dickicht- und Stangenholzperiode, die Geſchichtſchreiber
ihres eigenen Lebens und ihres Standortes ſind.
Sehen wir nun, wie man an den Trieben der Laubhölzer das Alter
oder wenigſtens den jährlichen Zuwachs erkennen kann. Dabei ſehen wir
von immergrünen ab, deren wir überhaupt in Deutſchland keine einzige
Art beſitzen, mit Ausnahme der Hülſe oder Stechpalme, Ilex Aquifolium,
welche den Namen eines Baumes kaum verdient.
Das jährliche Abwerfen des Laubes hat für uns in dieſem Augen-
blicke wenigſtens die Bedeutung, daß uns das Laub ſo lange es noch anſitzt,
ſagt, was diesjähriger Trieb iſt. Da nämlich unſere ſommergrünen
Bäume und Sträucher unter allen Verhältniſſen das Laub vor dem Aus-
bruch des neuen abwerfen, ſo iſt an einem Baume alles das als
diesjähriger Trieb zu betrachten, was die Blätter trägt.
Dieſer laubtragende jüngſte Trieb iſt in der Regel auch durch ſeine friſchere
und hellere, meiſt grün gefärbte Rinde von den älteren Trieben, deren
letzte Fortſetzung er iſt, zu unterſcheiden.
So einfach dieſe Erkennung des dies- oder letztjährigen Triebes iſt,
ſo kann man doch leicht in einen Irrthum dabei verfallen, vor welchem
wir uns alſo im voraus zu bewahren haben.
Während wir bei den Nadelhölzern gefunden haben, daß alle Triebe
eines Jahres ſo ziemlich gleich lang ſind, wenigſtens die Haupttriebe
unter ſich und die Nebentriebe unter ſich, ſo iſt dies bei den
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/97>, abgerufen am 22.12.2024.
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