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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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B. Arten und Leistungen des Kampfes der Theile.
von Nutzen ist und durch diesen Grad der Function die Kraft
erhält, weiteren Verkleinerungen durch die Nachbarorgane Wi-
derstand zu leisten. Letzteres zeigt z. B. der Musculus plan-
taris der Wade, welcher beim Menschen, entsprechend der Ver-
ringerung seiner Function, zu einem ganz geringen, in seiner
Gestalt von den beiden anderen Wadenmuskeln abhängigen
Gebilde reducirt ist, trotzdem aber in seinem erhaltenen Reste
ein durchaus frisches, leistungsfähiges Aussehen zeigt. Daraus
folgt ferner von selber, dass fast nicht gebrauchte Organe an
Stellen, wo sie keine Concurrenz um den Raum zu bestehen
haben, sich längere Zeit erhalten können, wie wir dies bei
den Ohrmuskeln des Menschen sehen.

Ich glaube, dass durch diesen directen Kampf der Organe
um den Raum manche derjenigen Erscheinungen, welche Dar-
win
unter dem Principe der Oeconomie des Wachsthums zu-
sammenfasst 1), auf näherem Wege sich erklären, als wenn, wie
Darwin als Hauptfactor ihrer Entstehung annimmt, die Organe
vorwiegend durch Auslese aus zufälligen Variationen die den
jeweiligen Umständen angemessene Reduction ihrer Grösse er-
fahren hätten.

Ausser um den Raum kann der Kampf der Organe
auch noch um die Nahrung stattfinden. Und in dieser Be-
ziehung scheint er schon längst erkannt und auch richtig auf-
gefasst gewesen zu sein, denn schon Goethe und Geoffroy
St. Hilaire
haben gleichzeitig ein Gesetz der Compensation
des Wachsthums aufgestellt, welches besagt, dass, wenn viel
organische Substanz zum Aufbau irgend eines Theiles ver-
wandt wird, anderen Theilen die Nahrung entzogen wird und
sie damit reducirt werden. Darwin 2) erkennt diesem Gesetz

1) Darwin, Entstehung der Arten. p. 162.
2) Darwin, Das Variiren der Pflanzen. Bd. II. p. 403.

B. Arten und Leistungen des Kampfes der Theile.
von Nutzen ist und durch diesen Grad der Function die Kraft
erhält, weiteren Verkleinerungen durch die Nachbarorgane Wi-
derstand zu leisten. Letzteres zeigt z. B. der Musculus plan-
taris der Wade, welcher beim Menschen, entsprechend der Ver-
ringerung seiner Function, zu einem ganz geringen, in seiner
Gestalt von den beiden anderen Wadenmuskeln abhängigen
Gebilde reducirt ist, trotzdem aber in seinem erhaltenen Reste
ein durchaus frisches, leistungsfähiges Aussehen zeigt. Daraus
folgt ferner von selber, dass fast nicht gebrauchte Organe an
Stellen, wo sie keine Concurrenz um den Raum zu bestehen
haben, sich längere Zeit erhalten können, wie wir dies bei
den Ohrmuskeln des Menschen sehen.

Ich glaube, dass durch diesen directen Kampf der Organe
um den Raum manche derjenigen Erscheinungen, welche Dar-
win
unter dem Principe der Oeconomie des Wachsthums zu-
sammenfasst 1), auf näherem Wege sich erklären, als wenn, wie
Darwin als Hauptfactor ihrer Entstehung annimmt, die Organe
vorwiegend durch Auslese aus zufälligen Variationen die den
jeweiligen Umständen angemessene Reduction ihrer Grösse er-
fahren hätten.

Ausser um den Raum kann der Kampf der Organe
auch noch um die Nahrung stattfinden. Und in dieser Be-
ziehung scheint er schon längst erkannt und auch richtig auf-
gefasst gewesen zu sein, denn schon Goethe und Geoffroy
St. Hilaire
haben gleichzeitig ein Gesetz der Compensation
des Wachsthums aufgestellt, welches besagt, dass, wenn viel
organische Substanz zum Aufbau irgend eines Theiles ver-
wandt wird, anderen Theilen die Nahrung entzogen wird und
sie damit reducirt werden. Darwin 2) erkennt diesem Gesetz

1) Darwin, Entstehung der Arten. p. 162.
2) Darwin, Das Variiren der Pflanzen. Bd. II. p. 403.
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[105/0119] B. Arten und Leistungen des Kampfes der Theile. von Nutzen ist und durch diesen Grad der Function die Kraft erhält, weiteren Verkleinerungen durch die Nachbarorgane Wi- derstand zu leisten. Letzteres zeigt z. B. der Musculus plan- taris der Wade, welcher beim Menschen, entsprechend der Ver- ringerung seiner Function, zu einem ganz geringen, in seiner Gestalt von den beiden anderen Wadenmuskeln abhängigen Gebilde reducirt ist, trotzdem aber in seinem erhaltenen Reste ein durchaus frisches, leistungsfähiges Aussehen zeigt. Daraus folgt ferner von selber, dass fast nicht gebrauchte Organe an Stellen, wo sie keine Concurrenz um den Raum zu bestehen haben, sich längere Zeit erhalten können, wie wir dies bei den Ohrmuskeln des Menschen sehen. Ich glaube, dass durch diesen directen Kampf der Organe um den Raum manche derjenigen Erscheinungen, welche Dar- win unter dem Principe der Oeconomie des Wachsthums zu- sammenfasst 1), auf näherem Wege sich erklären, als wenn, wie Darwin als Hauptfactor ihrer Entstehung annimmt, die Organe vorwiegend durch Auslese aus zufälligen Variationen die den jeweiligen Umständen angemessene Reduction ihrer Grösse er- fahren hätten. Ausser um den Raum kann der Kampf der Organe auch noch um die Nahrung stattfinden. Und in dieser Be- ziehung scheint er schon längst erkannt und auch richtig auf- gefasst gewesen zu sein, denn schon Goethe und Geoffroy St. Hilaire haben gleichzeitig ein Gesetz der Compensation des Wachsthums aufgestellt, welches besagt, dass, wenn viel organische Substanz zum Aufbau irgend eines Theiles ver- wandt wird, anderen Theilen die Nahrung entzogen wird und sie damit reducirt werden. Darwin 2) erkennt diesem Gesetz 1) Darwin, Entstehung der Arten. p. 162. 2) Darwin, Das Variiren der Pflanzen. Bd. II. p. 403.

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/119>, abgerufen am 21.11.2024.