Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.
am grössten ist und mit zunehmendem Alter qualitativ und
quantitativ abnimmt. Zugleich wird auch die sogenannte Rege-
nerationsfähigkeit desselben, freilich erst im höheren Alter
successive schwächer. Diese Erscheinungen finden bei unserer
Auffassung des Lebens der Theile ihre vollkommene Erklärung.
Indem nämlich unter der Einwirkung der Reize eine Züchtung
entsprechender Reizsubstanzen und Reizformen stattfindet, geht
die embryonale Indifferenz und selbständige Erhaltungsfähig-
keit der Theile mehr und mehr verloren. Der Organismus wird
durch längere Zeit hindurch fortdauernde Einwirkung bestimmter
Reize immer vollkommener an dieselben angepasst, also diffe-
renter und damit stabiler, sodass nachträglicher Umbildung zu
neuen Eigenschaften und Formen ein immer grösseres Hinder-
niss entgegen steht; denn das Indifferente wird natürlich leichter
zu einer einseitigen Beschaffenheit sich unter Verlust seiner
Vielseitigkeit ausbilden, als ein entschieden Differentes, ein-
seitig Beschaffenes zu einem anders Beschaffenen sich umbilden
kann. Da ferner die Ausbildung des Reizlebens mit dem Ver-
lust der embryonalen selbständigen Vermehrungsfähigkeit ver-
bunden ist, so wird damit auch die sog. Regenerationsfähigkeit
successive verringert, worüber ich in einer experimentellen
Arbeit Genaueres festzustellen beabsichtige.

Es ist oben dargelegt worden, dass diejenigen Gewebs-
differenzirungen, welche ursprünglich die Vorfahren durch be-
stimmte Reize erfahren haben, im Embryo ohne Reizeinwirkung
entstehen können und wahrscheinlich grösstentheils entstehen.
Dasselbe, wie für die Gewebsdifferenzirungen, musste auch für
die formale Differenzirung gelten. Ursprünglich durch functio-
nelle Anpassung Erwachsener erworbene formale Eigenschaften
können im Embryo ohne diesen functionellen Reiz ausgebildet
werden, und sich in der Jugendperiode ohne solche Thätigkeit,
oder bei einem Minimum derselben, infolge der vererbten Eigen-

IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.
am grössten ist und mit zunehmendem Alter qualitativ und
quantitativ abnimmt. Zugleich wird auch die sogenannte Rege-
nerationsfähigkeit desselben, freilich erst im höheren Alter
successive schwächer. Diese Erscheinungen finden bei unserer
Auffassung des Lebens der Theile ihre vollkommene Erklärung.
Indem nämlich unter der Einwirkung der Reize eine Züchtung
entsprechender Reizsubstanzen und Reizformen stattfindet, geht
die embryonale Indifferenz und selbständige Erhaltungsfähig-
keit der Theile mehr und mehr verloren. Der Organismus wird
durch längere Zeit hindurch fortdauernde Einwirkung bestimmter
Reize immer vollkommener an dieselben angepasst, also diffe-
renter und damit stabiler, sodass nachträglicher Umbildung zu
neuen Eigenschaften und Formen ein immer grösseres Hinder-
niss entgegen steht; denn das Indifferente wird natürlich leichter
zu einer einseitigen Beschaffenheit sich unter Verlust seiner
Vielseitigkeit ausbilden, als ein entschieden Differentes, ein-
seitig Beschaffenes zu einem anders Beschaffenen sich umbilden
kann. Da ferner die Ausbildung des Reizlebens mit dem Ver-
lust der embryonalen selbständigen Vermehrungsfähigkeit ver-
bunden ist, so wird damit auch die sog. Regenerationsfähigkeit
successive verringert, worüber ich in einer experimentellen
Arbeit Genaueres festzustellen beabsichtige.

Es ist oben dargelegt worden, dass diejenigen Gewebs-
differenzirungen, welche ursprünglich die Vorfahren durch be-
stimmte Reize erfahren haben, im Embryo ohne Reizeinwirkung
entstehen können und wahrscheinlich grösstentheils entstehen.
Dasselbe, wie für die Gewebsdifferenzirungen, musste auch für
die formale Differenzirung gelten. Ursprünglich durch functio-
nelle Anpassung Erwachsener erworbene formale Eigenschaften
können im Embryo ohne diesen functionellen Reiz ausgebildet
werden, und sich in der Jugendperiode ohne solche Thätigkeit,
oder bei einem Minimum derselben, infolge der vererbten Eigen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0215" n="201"/><fw place="top" type="header">IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.</fw><lb/>
am grössten ist und mit zunehmendem Alter qualitativ und<lb/>
quantitativ abnimmt. Zugleich wird auch die sogenannte Rege-<lb/>
nerationsfähigkeit desselben, freilich erst im höheren Alter<lb/>
successive schwächer. Diese Erscheinungen finden bei unserer<lb/>
Auffassung des Lebens der Theile ihre vollkommene Erklärung.<lb/>
Indem nämlich unter der Einwirkung der Reize eine Züchtung<lb/>
entsprechender Reizsubstanzen und Reizformen stattfindet, geht<lb/>
die embryonale Indifferenz und selbständige Erhaltungsfähig-<lb/>
keit der Theile mehr und mehr verloren. Der Organismus wird<lb/>
durch längere Zeit hindurch fortdauernde Einwirkung bestimmter<lb/>
Reize immer vollkommener an dieselben angepasst, also diffe-<lb/>
renter und damit stabiler, sodass nachträglicher Umbildung zu<lb/>
neuen Eigenschaften und Formen ein immer grösseres Hinder-<lb/>
niss entgegen steht; denn das Indifferente wird natürlich leichter<lb/>
zu einer einseitigen Beschaffenheit sich unter Verlust seiner<lb/>
Vielseitigkeit ausbilden, als ein entschieden Differentes, ein-<lb/>
seitig Beschaffenes zu einem anders Beschaffenen sich umbilden<lb/>
kann. Da ferner die Ausbildung des Reizlebens mit dem Ver-<lb/>
lust der embryonalen selbständigen Vermehrungsfähigkeit ver-<lb/>
bunden ist, so wird damit auch die sog. Regenerationsfähigkeit<lb/>
successive verringert, worüber ich in einer experimentellen<lb/>
Arbeit Genaueres festzustellen beabsichtige.</p><lb/>
        <p>Es ist oben dargelegt worden, dass diejenigen Gewebs-<lb/>
differenzirungen, welche ursprünglich die Vorfahren durch be-<lb/>
stimmte Reize erfahren haben, im Embryo ohne Reizeinwirkung<lb/>
entstehen können und wahrscheinlich grösstentheils entstehen.<lb/>
Dasselbe, wie für die Gewebsdifferenzirungen, musste auch für<lb/>
die formale Differenzirung gelten. Ursprünglich durch functio-<lb/>
nelle Anpassung Erwachsener erworbene formale Eigenschaften<lb/>
können im Embryo ohne diesen functionellen Reiz ausgebildet<lb/>
werden, und sich in der Jugendperiode ohne solche Thätigkeit,<lb/>
oder bei einem Minimum derselben, infolge der vererbten Eigen-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0215] IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize. am grössten ist und mit zunehmendem Alter qualitativ und quantitativ abnimmt. Zugleich wird auch die sogenannte Rege- nerationsfähigkeit desselben, freilich erst im höheren Alter successive schwächer. Diese Erscheinungen finden bei unserer Auffassung des Lebens der Theile ihre vollkommene Erklärung. Indem nämlich unter der Einwirkung der Reize eine Züchtung entsprechender Reizsubstanzen und Reizformen stattfindet, geht die embryonale Indifferenz und selbständige Erhaltungsfähig- keit der Theile mehr und mehr verloren. Der Organismus wird durch längere Zeit hindurch fortdauernde Einwirkung bestimmter Reize immer vollkommener an dieselben angepasst, also diffe- renter und damit stabiler, sodass nachträglicher Umbildung zu neuen Eigenschaften und Formen ein immer grösseres Hinder- niss entgegen steht; denn das Indifferente wird natürlich leichter zu einer einseitigen Beschaffenheit sich unter Verlust seiner Vielseitigkeit ausbilden, als ein entschieden Differentes, ein- seitig Beschaffenes zu einem anders Beschaffenen sich umbilden kann. Da ferner die Ausbildung des Reizlebens mit dem Ver- lust der embryonalen selbständigen Vermehrungsfähigkeit ver- bunden ist, so wird damit auch die sog. Regenerationsfähigkeit successive verringert, worüber ich in einer experimentellen Arbeit Genaueres festzustellen beabsichtige. Es ist oben dargelegt worden, dass diejenigen Gewebs- differenzirungen, welche ursprünglich die Vorfahren durch be- stimmte Reize erfahren haben, im Embryo ohne Reizeinwirkung entstehen können und wahrscheinlich grösstentheils entstehen. Dasselbe, wie für die Gewebsdifferenzirungen, musste auch für die formale Differenzirung gelten. Ursprünglich durch functio- nelle Anpassung Erwachsener erworbene formale Eigenschaften können im Embryo ohne diesen functionellen Reiz ausgebildet werden, und sich in der Jugendperiode ohne solche Thätigkeit, oder bei einem Minimum derselben, infolge der vererbten Eigen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/215
Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/215>, abgerufen am 23.11.2024.