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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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liebt, wie ich, und unglücklicher Weise keines hat,
hatte sich auf den Besuch ihres kleinen Pathchens
gewaltig gefreuet. Kaum war der Knabe aber
da, so war für eine Zeitlang der heitere, frohe
Lebensgenuß ihres Hauses unterbrochen. Keine
Mahlzeit, kein Spaziergang, keine Ausfahrt
blieb jetzt ungestört. Der kleine Bube, der ge-
wohnt war, seine Mutter zu beherrschen, wollte
seine Herrschaft auch über meine Schwester und
ihre ganze Lebensweise ausüben, und da das nicht
geduldet werden konnte, so gab es oft Wortwech-
sel unter den beiden Freundinnen. Desto besser
gelang es aber dem Kleinen bei seiner Mutter.
Was Adolf nicht wollte, daß seine Mutter ge-
nießen sollte, das genoß sie nicht. Sah er, daß
die Mutter ein Glas Wein oder eine Tasse Kaffee
vor sich hatte, so durft' er nur sagen: Nein, Mut-
ter, das will ich trinken, so reichte die schwache
Mutter es ihm hin, und sagte: "Da, Adölfchen,
nimm es nur hin! Du gönnst mir aber auch fast
gar nichts!" -- Adölfchen nahm den Wein, trank,
oder verschüttete ihn, und die Mutter machte
ihm dann hintendrein die Bedingung: Du hast

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liebt, wie ich, und unglücklicher Weiſe keines hat,
hatte ſich auf den Beſuch ihres kleinen Pathchens
gewaltig gefreuet. Kaum war der Knabe aber
da, ſo war für eine Zeitlang der heitere, frohe
Lebensgenuß ihres Hauſes unterbrochen. Keine
Mahlzeit, kein Spaziergang, keine Ausfahrt
blieb jetzt ungeſtört. Der kleine Bube, der ge-
wohnt war, ſeine Mutter zu beherrſchen, wollte
ſeine Herrſchaft auch über meine Schweſter und
ihre ganze Lebensweiſe ausüben, und da das nicht
geduldet werden konnte, ſo gab es oft Wortwech-
ſel unter den beiden Freundinnen. Deſto beſſer
gelang es aber dem Kleinen bei ſeiner Mutter.
Was Adolf nicht wollte, daß ſeine Mutter ge-
nießen ſollte, das genoß ſie nicht. Sah er, daß
die Mutter ein Glas Wein oder eine Taſſe Kaffee
vor ſich hatte, ſo durft’ er nur ſagen: Nein, Mut-
ter, das will ich trinken, ſo reichte die ſchwache
Mutter es ihm hin, und ſagte: „Da, Adölfchen,
nimm es nur hin! Du gönnſt mir aber auch faſt
gar nichts!‟ — Adölfchen nahm den Wein, trank,
oder verſchüttete ihn, und die Mutter machte
ihm dann hintendrein die Bedingung: Du haſt

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[97/0111] liebt, wie ich, und unglücklicher Weiſe keines hat, hatte ſich auf den Beſuch ihres kleinen Pathchens gewaltig gefreuet. Kaum war der Knabe aber da, ſo war für eine Zeitlang der heitere, frohe Lebensgenuß ihres Hauſes unterbrochen. Keine Mahlzeit, kein Spaziergang, keine Ausfahrt blieb jetzt ungeſtört. Der kleine Bube, der ge- wohnt war, ſeine Mutter zu beherrſchen, wollte ſeine Herrſchaft auch über meine Schweſter und ihre ganze Lebensweiſe ausüben, und da das nicht geduldet werden konnte, ſo gab es oft Wortwech- ſel unter den beiden Freundinnen. Deſto beſſer gelang es aber dem Kleinen bei ſeiner Mutter. Was Adolf nicht wollte, daß ſeine Mutter ge- nießen ſollte, das genoß ſie nicht. Sah er, daß die Mutter ein Glas Wein oder eine Taſſe Kaffee vor ſich hatte, ſo durft’ er nur ſagen: Nein, Mut- ter, das will ich trinken, ſo reichte die ſchwache Mutter es ihm hin, und ſagte: „Da, Adölfchen, nimm es nur hin! Du gönnſt mir aber auch faſt gar nichts!‟ — Adölfchen nahm den Wein, trank, oder verſchüttete ihn, und die Mutter machte ihm dann hintendrein die Bedingung: Du haſt (13)

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/111>, abgerufen am 21.11.2024.