Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

An Pferden hat sie ein eigenes Wohlgefallen, und
keins findet sie schöner, als Schecken. -- Doch
hüte ich mich wohl, diesen ihren Geschmack zu
tadeln. Sie soll wenigstens wahr und offen blei-
ben, und sich in allem frei äußern dürfen. Das
Zartere wird schon auch den Weg zu ihrem Schön-
heitssinne finden. Geduldiges Erwarten geziemt
dem Erzieher wie dem Gärtner.



Ein und zwanzigster Brief.

Jch fange heute wieder mit Mathilden an.
Neulich war ein Krämer im Hause mit Kattunen.
Jch ließ die Kinder sich jedes ein Kleidchen wäh-
len. Jda wählte, wie ich es erwartet, himmel-
blau. Mathilde feuerfarb und geflammt. Jn
diesem Kleide wirst du nicht sanft aussehen, liebe
Mathilde, sagte Woldemar, als er zu Mittag
kam, und die Kinder ihm ihren Einkauf zeigten.
Jch bin ja auch nicht sanft, Woldemar, gab sie
zurück. Sie glühte, indem sie es aussprach. --
Das Wahrheitsgefühl scheint am stärksten in ih-

An Pferden hat ſie ein eigenes Wohlgefallen, und
keins findet ſie ſchöner, als Schecken. — Doch
hüte ich mich wohl, dieſen ihren Geſchmack zu
tadeln. Sie ſoll wenigſtens wahr und offen blei-
ben, und ſich in allem frei äußern dürfen. Das
Zartere wird ſchon auch den Weg zu ihrem Schön-
heitsſinne finden. Geduldiges Erwarten geziemt
dem Erzieher wie dem Gärtner.



Ein und zwanzigſter Brief.

Jch fange heute wieder mit Mathilden an.
Neulich war ein Krämer im Hauſe mit Kattunen.
Jch ließ die Kinder ſich jedes ein Kleidchen wäh-
len. Jda wählte, wie ich es erwartet, himmel-
blau. Mathilde feuerfarb und geflammt. Jn
dieſem Kleide wirſt du nicht ſanft ausſehen, liebe
Mathilde, ſagte Woldemar, als er zu Mittag
kam, und die Kinder ihm ihren Einkauf zeigten.
Jch bin ja auch nicht ſanft, Woldemar, gab ſie
zurück. Sie glühte, indem ſie es ausſprach. —
Das Wahrheitsgefühl ſcheint am ſtärkſten in ih-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0180" n="166"/>
An Pferden hat &#x017F;ie ein eigenes Wohlgefallen, und<lb/>
keins findet &#x017F;ie &#x017F;chöner, als Schecken. &#x2014; Doch<lb/>
hüte ich mich wohl, die&#x017F;en ihren Ge&#x017F;chmack zu<lb/>
tadeln. Sie &#x017F;oll wenig&#x017F;tens wahr und offen blei-<lb/>
ben, und &#x017F;ich in allem frei äußern dürfen. Das<lb/>
Zartere wird &#x017F;chon auch den Weg zu ihrem Schön-<lb/>
heits&#x017F;inne finden. Geduldiges Erwarten geziemt<lb/>
dem Erzieher wie dem Gärtner.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Ein und zwanzig&#x017F;ter Brief</hi>.</head><lb/>
          <p>Jch fange heute wieder mit Mathilden an.<lb/>
Neulich war ein Krämer im Hau&#x017F;e mit Kattunen.<lb/>
Jch ließ die Kinder &#x017F;ich jedes ein Kleidchen wäh-<lb/>
len. Jda wählte, wie ich es erwartet, himmel-<lb/>
blau. Mathilde feuerfarb und geflammt. Jn<lb/>
die&#x017F;em Kleide wir&#x017F;t du nicht &#x017F;anft aus&#x017F;ehen, liebe<lb/>
Mathilde, &#x017F;agte Woldemar, als er zu Mittag<lb/>
kam, und die Kinder ihm ihren Einkauf zeigten.<lb/>
Jch bin ja auch nicht &#x017F;anft, Woldemar, gab &#x017F;ie<lb/>
zurück. Sie glühte, indem &#x017F;ie es aus&#x017F;prach. &#x2014;<lb/>
Das Wahrheitsgefühl &#x017F;cheint am &#x017F;tärk&#x017F;ten in ih-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[166/0180] An Pferden hat ſie ein eigenes Wohlgefallen, und keins findet ſie ſchöner, als Schecken. — Doch hüte ich mich wohl, dieſen ihren Geſchmack zu tadeln. Sie ſoll wenigſtens wahr und offen blei- ben, und ſich in allem frei äußern dürfen. Das Zartere wird ſchon auch den Weg zu ihrem Schön- heitsſinne finden. Geduldiges Erwarten geziemt dem Erzieher wie dem Gärtner. Ein und zwanzigſter Brief. Jch fange heute wieder mit Mathilden an. Neulich war ein Krämer im Hauſe mit Kattunen. Jch ließ die Kinder ſich jedes ein Kleidchen wäh- len. Jda wählte, wie ich es erwartet, himmel- blau. Mathilde feuerfarb und geflammt. Jn dieſem Kleide wirſt du nicht ſanft ausſehen, liebe Mathilde, ſagte Woldemar, als er zu Mittag kam, und die Kinder ihm ihren Einkauf zeigten. Jch bin ja auch nicht ſanft, Woldemar, gab ſie zurück. Sie glühte, indem ſie es ausſprach. — Das Wahrheitsgefühl ſcheint am ſtärkſten in ih-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/180
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/180>, abgerufen am 19.05.2024.