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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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mit dem gesparten Gelde thun willst? -- Kannst
du mir das sagen?

Mathilde. Liebe Tante! das wußt' ich eben
noch nicht, sonst hätte ich es dir lange gesagt.
Für den Bruder sollt' es immer seyn. Manchmal
dacht' ich, ich wollte Torten und Obst und Wein
dafür kaufen, und es ihm nach H ... schicken,
weil ich einmal gehört habe, die Leute im Gefäng-
nisse bekämen nichts als Brot und Wasser. Ein
anderesmal, wenn ich das alles überlegte, was
ich bei dir gehört und gesehen, dacht' ich, das sey
nicht gut, und es wäre besser, wenn ich ihm das
Geld schickte, und ihn bäte, daß er es den Leuten
gäbe, die ihm geborgt haben. Und dann wußt'
ich doch wieder nicht, wie ich das Geld oder die ge-
kauften Sachen nach H ... zu ihm bringen woll-
te. Nun bin ich aber recht froh, daß du das alles
weißt; nun wirst du mir auch sagen, wie ich das
machen soll? Denn helfen muß ich ihm, er ist ja
mein Bruder. Und es ist schrecklich, daß er so
unglücklich ist, während es mir so wohl geht.

Jch. Ja, mein gutes Kind, das will ich.
Spare du nur immer noch mehr Geld für den

mit dem geſparten Gelde thun willſt? — Kannſt
du mir das ſagen?

Mathilde. Liebe Tante! das wußt’ ich eben
noch nicht, ſonſt hätte ich es dir lange geſagt.
Für den Bruder ſollt’ es immer ſeyn. Manchmal
dacht’ ich, ich wollte Torten und Obſt und Wein
dafür kaufen, und es ihm nach H … ſchicken,
weil ich einmal gehört habe, die Leute im Gefäng-
niſſe bekämen nichts als Brot und Waſſer. Ein
anderesmal, wenn ich das alles überlegte, was
ich bei dir gehört und geſehen, dacht’ ich, das ſey
nicht gut, und es wäre beſſer, wenn ich ihm das
Geld ſchickte, und ihn bäte, daß er es den Leuten
gäbe, die ihm geborgt haben. Und dann wußt’
ich doch wieder nicht, wie ich das Geld oder die ge-
kauften Sachen nach H … zu ihm bringen woll-
te. Nun bin ich aber recht froh, daß du das alles
weißt; nun wirſt du mir auch ſagen, wie ich das
machen ſoll? Denn helfen muß ich ihm, er iſt ja
mein Bruder. Und es iſt ſchrecklich, daß er ſo
unglücklich iſt, während es mir ſo wohl geht.

Jch. Ja, mein gutes Kind, das will ich.
Spare du nur immer noch mehr Geld für den

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[203/0217] mit dem geſparten Gelde thun willſt? — Kannſt du mir das ſagen? Mathilde. Liebe Tante! das wußt’ ich eben noch nicht, ſonſt hätte ich es dir lange geſagt. Für den Bruder ſollt’ es immer ſeyn. Manchmal dacht’ ich, ich wollte Torten und Obſt und Wein dafür kaufen, und es ihm nach H … ſchicken, weil ich einmal gehört habe, die Leute im Gefäng- niſſe bekämen nichts als Brot und Waſſer. Ein anderesmal, wenn ich das alles überlegte, was ich bei dir gehört und geſehen, dacht’ ich, das ſey nicht gut, und es wäre beſſer, wenn ich ihm das Geld ſchickte, und ihn bäte, daß er es den Leuten gäbe, die ihm geborgt haben. Und dann wußt’ ich doch wieder nicht, wie ich das Geld oder die ge- kauften Sachen nach H … zu ihm bringen woll- te. Nun bin ich aber recht froh, daß du das alles weißt; nun wirſt du mir auch ſagen, wie ich das machen ſoll? Denn helfen muß ich ihm, er iſt ja mein Bruder. Und es iſt ſchrecklich, daß er ſo unglücklich iſt, während es mir ſo wohl geht. Jch. Ja, mein gutes Kind, das will ich. Spare du nur immer noch mehr Geld für den

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/217>, abgerufen am 19.05.2024.