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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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es nicht die Nothwendigkeit ist? Jst es die Liebe
zu deinen Eltern, Clärchen, oder zu mir? oder --

Cl. Oft wohl, beste Tante, aber nicht immer.
Oft kommt es noch wo anders her. Jch weiß nicht
wo -- --

Mathilde. Ja, das möcht' ich auch wissen, was
das in mir ist, das mir sagt: du sollst vernünftig
seyn, du sollst brav seyn, auch wenn Tante dich
nicht sieht, und| wenn dich niemand sieht. Das ist
doch keine solche Nothwendigkeit.

Jda. O Tante, wie heißt das, was in uns
spricht: du sollst, und du sollst nicht?

Jch. Die Menschen haben das mit verschiedenen
Namen bezeichnet; aber wie sie es auch nannten,
Vernunft, oder Gewissen, oder das moralische
Gefühl, oder Gesetz im Menschen, sie meynten
immer dieselbe Stimme in uns, die uns zum Gu-
ten hinzieht, und vom Schlechten zurückhält, und
der wir widerstehen können, wenn wir wollen.
Thun was wir müssen, heißt also der Nothwen-
digkeit unterliegen. Thun was wir sollen, heißt,

es nicht die Nothwendigkeit iſt? Jſt es die Liebe
zu deinen Eltern, Clärchen, oder zu mir? oder —

Cl. Oft wohl, beſte Tante, aber nicht immer.
Oft kommt es noch wo anders her. Jch weiß nicht
wo — —

Mathilde. Ja, das möcht’ ich auch wiſſen, was
das in mir iſt, das mir ſagt: du ſollſt vernünftig
ſeyn, du ſollſt brav ſeyn, auch wenn Tante dich
nicht ſieht, und| wenn dich niemand ſieht. Das iſt
doch keine ſolche Nothwendigkeit.

Jda. O Tante, wie heißt das, was in uns
ſpricht: du ſollſt, und du ſollſt nicht?

Jch. Die Menſchen haben das mit verſchiedenen
Namen bezeichnet; aber wie ſie es auch nannten,
Vernunft, oder Gewiſſen, oder das moraliſche
Gefühl, oder Geſetz im Menſchen, ſie meynten
immer dieſelbe Stimme in uns, die uns zum Gu-
ten hinzieht, und vom Schlechten zurückhält, und
der wir widerſtehen können, wenn wir wollen.
Thun was wir müſſen, heißt alſo der Nothwen-
digkeit unterliegen. Thun was wir ſollen, heißt,

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[248/0262] es nicht die Nothwendigkeit iſt? Jſt es die Liebe zu deinen Eltern, Clärchen, oder zu mir? oder — Cl. Oft wohl, beſte Tante, aber nicht immer. Oft kommt es noch wo anders her. Jch weiß nicht wo — — Mathilde. Ja, das möcht’ ich auch wiſſen, was das in mir iſt, das mir ſagt: du ſollſt vernünftig ſeyn, du ſollſt brav ſeyn, auch wenn Tante dich nicht ſieht, und| wenn dich niemand ſieht. Das iſt doch keine ſolche Nothwendigkeit. Jda. O Tante, wie heißt das, was in uns ſpricht: du ſollſt, und du ſollſt nicht? Jch. Die Menſchen haben das mit verſchiedenen Namen bezeichnet; aber wie ſie es auch nannten, Vernunft, oder Gewiſſen, oder das moraliſche Gefühl, oder Geſetz im Menſchen, ſie meynten immer dieſelbe Stimme in uns, die uns zum Gu- ten hinzieht, und vom Schlechten zurückhält, und der wir widerſtehen können, wenn wir wollen. Thun was wir müſſen, heißt alſo der Nothwen- digkeit unterliegen. Thun was wir ſollen, heißt,

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/262>, abgerufen am 22.11.2024.