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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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daß es die Kinder sehr anziehen mußte, und so
erging es. Es ward Engel's dankbarer Sohn
gegeben. Die Kinder waren ganz verloren im An-
blick des Stücks. Als der Sergeant so bramarba-
sirte, sah ich es, wie es dem Woldemar krampf-
haft in den Armen zuckte. Jch sah ihn an. Tante,
raunt' er mir ins Ohr, ich möchte den Kerl beim
Kragen fassen, und ihn prügeln, daß er die ar-
men Leute so ängstigt. Nein, es ist nicht auszu-
halten! -- Jda war sehr still; sie schien sich zu
fürchten. -- Clärchen war so andächtig, als ob sie
in der Kirche sey. Der Brief des Sohnes rührte
sie sehr tief. Auf Jda that das weniger Wirkung,
weil sie vom Unterschied der Stände noch keinen
Begriff hat; sie schien die unmäßige Freude des
Alten nicht fassen zu können, daß der Sohn an
des Königs Tafel gespeis't, und daß der König des
Vaters Gesundheit getrunken. Sie meynte, das
wäre ja nichts Besonderes. Mathilde verstand
das sehr gut, aber sie fühlte besonders das Komi-
sche in der bäuerischen Freude des Alten. Als der
Sohn wirklich auftrat, da weinten alle drey Mäd-
chen in sanfter Rührung.

daß es die Kinder ſehr anziehen mußte, und ſo
erging es. Es ward Engel’s dankbarer Sohn
gegeben. Die Kinder waren ganz verloren im An-
blick des Stücks. Als der Sergeant ſo bramarba-
ſirte, ſah ich es, wie es dem Woldemar krampf-
haft in den Armen zuckte. Jch ſah ihn an. Tante,
raunt’ er mir ins Ohr, ich möchte den Kerl beim
Kragen faſſen, und ihn prügeln, daß er die ar-
men Leute ſo ängſtigt. Nein, es iſt nicht auszu-
halten! — Jda war ſehr ſtill; ſie ſchien ſich zu
fürchten. — Clärchen war ſo andächtig, als ob ſie
in der Kirche ſey. Der Brief des Sohnes rührte
ſie ſehr tief. Auf Jda that das weniger Wirkung,
weil ſie vom Unterſchied der Stände noch keinen
Begriff hat; ſie ſchien die unmäßige Freude des
Alten nicht faſſen zu können, daß der Sohn an
des Königs Tafel geſpeiſ’t, und daß der König des
Vaters Geſundheit getrunken. Sie meynte, das
wäre ja nichts Beſonderes. Mathilde verſtand
das ſehr gut, aber ſie fühlte beſonders das Komi-
ſche in der bäueriſchen Freude des Alten. Als der
Sohn wirklich auftrat, da weinten alle drey Mäd-
chen in ſanfter Rührung.

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[264/0278] daß es die Kinder ſehr anziehen mußte, und ſo erging es. Es ward Engel’s dankbarer Sohn gegeben. Die Kinder waren ganz verloren im An- blick des Stücks. Als der Sergeant ſo bramarba- ſirte, ſah ich es, wie es dem Woldemar krampf- haft in den Armen zuckte. Jch ſah ihn an. Tante, raunt’ er mir ins Ohr, ich möchte den Kerl beim Kragen faſſen, und ihn prügeln, daß er die ar- men Leute ſo ängſtigt. Nein, es iſt nicht auszu- halten! — Jda war ſehr ſtill; ſie ſchien ſich zu fürchten. — Clärchen war ſo andächtig, als ob ſie in der Kirche ſey. Der Brief des Sohnes rührte ſie ſehr tief. Auf Jda that das weniger Wirkung, weil ſie vom Unterſchied der Stände noch keinen Begriff hat; ſie ſchien die unmäßige Freude des Alten nicht faſſen zu können, daß der Sohn an des Königs Tafel geſpeiſ’t, und daß der König des Vaters Geſundheit getrunken. Sie meynte, das wäre ja nichts Beſonderes. Mathilde verſtand das ſehr gut, aber ſie fühlte beſonders das Komi- ſche in der bäueriſchen Freude des Alten. Als der Sohn wirklich auftrat, da weinten alle drey Mäd- chen in ſanfter Rührung.

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/278>, abgerufen am 22.11.2024.