dung nicht zu ihrer Vollendung gedeihen könne. Auch hat das die Natur bei ihren Veranstaltun- gen nicht vergessen. Und bliebe alles unter den Menschen, wie sie es geordnet hat, so ist sicher keine vollkommenere Erziehung erdenkbar, als die in der Eltern Hause, im Schooße der eigenen Familie. Wo die aber durch Schicksal oder Un- fähigkeit der Eltern unmöglich wird, da muß die Fremde der Familienerziehung sich so weit möglich nähern, besonders die weibliche. Das Mädchenherz kann ohne zarte Mutterpflege nim- mer gedeihen. Sein Geist kann stark werden, ohne Mutterliebe.
Aber wer hat gefallen an der weiblichen Kraft, als Kraft? Wendet sich nicht alles weg von ihr, so bald sie ohne Milde erscheint, und ohne zarte Jnnigkeit der Liebe? Doch, damit die Milde nicht Schwäche, die Liebe nicht Krankheit sey im Wei- be, sonne sein Geist sich an der männlichen Kraft, und sein Herz stähle sich im Verkehr mit der fe- steren selbst rauheren Natur.
Hiebei erinnere ich mich einer Unterredung mit unserm Pfarrer in N. Das Gespräch war
dung nicht zu ihrer Vollendung gedeihen könne. Auch hat das die Natur bei ihren Veranſtaltun- gen nicht vergeſſen. Und bliebe alles unter den Menſchen, wie ſie es geordnet hat, ſo iſt ſicher keine vollkommenere Erziehung erdenkbar, als die in der Eltern Hauſe, im Schooße der eigenen Familie. Wo die aber durch Schickſal oder Un- fähigkeit der Eltern unmöglich wird, da muß die Fremde der Familienerziehung ſich ſo weit möglich nähern, beſonders die weibliche. Das Mädchenherz kann ohne zarte Mutterpflege nim- mer gedeihen. Sein Geiſt kann ſtark werden, ohne Mutterliebe.
Aber wer hat gefallen an der weiblichen Kraft, als Kraft? Wendet ſich nicht alles weg von ihr, ſo bald ſie ohne Milde erſcheint, und ohne zarte Jnnigkeit der Liebe? Doch, damit die Milde nicht Schwäche, die Liebe nicht Krankheit ſey im Wei- be, ſonne ſein Geiſt ſich an der männlichen Kraft, und ſein Herz ſtähle ſich im Verkehr mit der fe- ſteren ſelbſt rauheren Natur.
Hiebei erinnere ich mich einer Unterredung mit unſerm Pfarrer in N. Das Geſpräch war
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0310"n="296"/>
dung nicht zu ihrer Vollendung gedeihen könne.<lb/>
Auch hat das die Natur bei ihren Veranſtaltun-<lb/>
gen nicht vergeſſen. Und bliebe alles unter den<lb/>
Menſchen, wie ſie es geordnet hat, ſo iſt ſicher<lb/>
keine vollkommenere Erziehung erdenkbar, als die<lb/>
in der Eltern Hauſe, im Schooße der eigenen<lb/>
Familie. Wo die aber durch Schickſal oder Un-<lb/>
fähigkeit der Eltern unmöglich wird, da muß<lb/>
die Fremde der Familienerziehung ſich ſo weit<lb/>
möglich nähern, beſonders die weibliche. Das<lb/>
Mädchenherz kann ohne zarte Mutterpflege nim-<lb/>
mer gedeihen. Sein Geiſt kann ſtark werden,<lb/>
ohne Mutterliebe.</p><lb/><p>Aber wer hat gefallen an der weiblichen Kraft,<lb/>
als Kraft? Wendet ſich nicht alles weg von ihr,<lb/>ſo bald ſie ohne Milde erſcheint, und ohne zarte<lb/>
Jnnigkeit der Liebe? Doch, damit die Milde nicht<lb/>
Schwäche, die Liebe nicht Krankheit ſey im Wei-<lb/>
be, ſonne ſein Geiſt ſich an der männlichen Kraft,<lb/>
und ſein Herz ſtähle ſich im Verkehr mit der fe-<lb/>ſteren ſelbſt rauheren Natur.</p><lb/><p>Hiebei erinnere ich mich einer Unterredung<lb/>
mit unſerm Pfarrer in N. Das Geſpräch war<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[296/0310]
dung nicht zu ihrer Vollendung gedeihen könne.
Auch hat das die Natur bei ihren Veranſtaltun-
gen nicht vergeſſen. Und bliebe alles unter den
Menſchen, wie ſie es geordnet hat, ſo iſt ſicher
keine vollkommenere Erziehung erdenkbar, als die
in der Eltern Hauſe, im Schooße der eigenen
Familie. Wo die aber durch Schickſal oder Un-
fähigkeit der Eltern unmöglich wird, da muß
die Fremde der Familienerziehung ſich ſo weit
möglich nähern, beſonders die weibliche. Das
Mädchenherz kann ohne zarte Mutterpflege nim-
mer gedeihen. Sein Geiſt kann ſtark werden,
ohne Mutterliebe.
Aber wer hat gefallen an der weiblichen Kraft,
als Kraft? Wendet ſich nicht alles weg von ihr,
ſo bald ſie ohne Milde erſcheint, und ohne zarte
Jnnigkeit der Liebe? Doch, damit die Milde nicht
Schwäche, die Liebe nicht Krankheit ſey im Wei-
be, ſonne ſein Geiſt ſich an der männlichen Kraft,
und ſein Herz ſtähle ſich im Verkehr mit der fe-
ſteren ſelbſt rauheren Natur.
Hiebei erinnere ich mich einer Unterredung
mit unſerm Pfarrer in N. Das Geſpräch war
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/310>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.