Pfarrer. Und ich lese in Jhrem Jnnern die noch strengern Foderungen: ich weiß, daß Sie mir zürnen würden, wenn ich weniger von Jh- rem Geschlecht erwartete. Denn Sie wollen auch, daß die Erzieherin ein Herz habe, das der zarte- sten, innigsten, glühendsten Liebe empfänglich sey, und daß nun der ganze Reichthum dieses Herzens zur Mutterliebe für die Adoptivkinder geworden sey, die sich nur durch den Mangel des Naturtriebes zu diesen angenommenen Kindern von der gewöhn- lichen Mutterliebe unterscheide, und die das in- nige Erbarmen gegen die Schwachheit mit weiser Besonnenheit immerdar verschmelze, daß es nie in Schwäche ausarten möge.
Jch. Jch weiß nicht, Freund, ob Sie mein Gemüth durch Jhre uns ehrende Ansicht bestochen haben: ich fühle mich überwältigt, und darf Jh- nen nichts mehr entgegen setzen. Nur das noch, daß ich ohne alle männliche Hülfe ungern Mäd- chen erziehen möchte.
Pfarrer. Aber so engherzig wollen wir auch
Jch. Sie fodern viel, mein Freund.
Pfarrer. Und ich leſe in Jhrem Jnnern die noch ſtrengern Foderungen: ich weiß, daß Sie mir zürnen würden, wenn ich weniger von Jh- rem Geſchlecht erwartete. Denn Sie wollen auch, daß die Erzieherin ein Herz habe, das der zarte- ſten, innigſten, glühendſten Liebe empfänglich ſey, und daß nun der ganze Reichthum dieſes Herzens zur Mutterliebe für die Adoptivkinder geworden ſey, die ſich nur durch den Mangel des Naturtriebes zu dieſen angenommenen Kindern von der gewöhn- lichen Mutterliebe unterſcheide, und die das in- nige Erbarmen gegen die Schwachheit mit weiſer Beſonnenheit immerdar verſchmelze, daß es nie in Schwäche ausarten möge.
Jch. Jch weiß nicht, Freund, ob Sie mein Gemüth durch Jhre uns ehrende Anſicht beſtochen haben: ich fühle mich überwältigt, und darf Jh- nen nichts mehr entgegen ſetzen. Nur das noch, daß ich ohne alle männliche Hülfe ungern Mäd- chen erziehen möchte.
Pfarrer. Aber ſo engherzig wollen wir auch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0318"n="304"/><p><hirendition="#g">Jch</hi>. Sie fodern viel, mein Freund.</p><lb/><p><hirendition="#g">Pfarrer</hi>. Und ich leſe in Jhrem Jnnern<lb/>
die noch ſtrengern Foderungen: ich weiß, daß Sie<lb/>
mir zürnen würden, wenn ich weniger von Jh-<lb/>
rem Geſchlecht erwartete. Denn Sie wollen auch,<lb/>
daß die Erzieherin ein Herz habe, das der zarte-<lb/>ſten, innigſten, glühendſten Liebe empfänglich ſey,<lb/>
und daß nun der ganze Reichthum dieſes Herzens<lb/>
zur Mutterliebe für die Adoptivkinder geworden<lb/>ſey, die ſich nur durch den Mangel des Naturtriebes<lb/>
zu dieſen angenommenen Kindern von der gewöhn-<lb/>
lichen Mutterliebe unterſcheide, und die das in-<lb/>
nige Erbarmen gegen die Schwachheit mit weiſer<lb/>
Beſonnenheit immerdar verſchmelze, daß es nie<lb/>
in Schwäche ausarten möge.</p><lb/><p><hirendition="#g">Jch</hi>. Jch weiß nicht, Freund, ob Sie mein<lb/>
Gemüth durch Jhre uns ehrende Anſicht beſtochen<lb/>
haben: ich fühle mich überwältigt, und darf Jh-<lb/>
nen nichts mehr entgegen ſetzen. Nur das noch,<lb/>
daß ich ohne alle männliche Hülfe ungern Mäd-<lb/>
chen erziehen möchte.</p><lb/><p><hirendition="#g">Pfarrer</hi>. Aber ſo engherzig wollen wir auch<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[304/0318]
Jch. Sie fodern viel, mein Freund.
Pfarrer. Und ich leſe in Jhrem Jnnern
die noch ſtrengern Foderungen: ich weiß, daß Sie
mir zürnen würden, wenn ich weniger von Jh-
rem Geſchlecht erwartete. Denn Sie wollen auch,
daß die Erzieherin ein Herz habe, das der zarte-
ſten, innigſten, glühendſten Liebe empfänglich ſey,
und daß nun der ganze Reichthum dieſes Herzens
zur Mutterliebe für die Adoptivkinder geworden
ſey, die ſich nur durch den Mangel des Naturtriebes
zu dieſen angenommenen Kindern von der gewöhn-
lichen Mutterliebe unterſcheide, und die das in-
nige Erbarmen gegen die Schwachheit mit weiſer
Beſonnenheit immerdar verſchmelze, daß es nie
in Schwäche ausarten möge.
Jch. Jch weiß nicht, Freund, ob Sie mein
Gemüth durch Jhre uns ehrende Anſicht beſtochen
haben: ich fühle mich überwältigt, und darf Jh-
nen nichts mehr entgegen ſetzen. Nur das noch,
daß ich ohne alle männliche Hülfe ungern Mäd-
chen erziehen möchte.
Pfarrer. Aber ſo engherzig wollen wir auch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/318>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.