Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

Jch. Sie fodern viel, mein Freund.

Pfarrer. Und ich lese in Jhrem Jnnern
die noch strengern Foderungen: ich weiß, daß Sie
mir zürnen würden, wenn ich weniger von Jh-
rem Geschlecht erwartete. Denn Sie wollen auch,
daß die Erzieherin ein Herz habe, das der zarte-
sten, innigsten, glühendsten Liebe empfänglich sey,
und daß nun der ganze Reichthum dieses Herzens
zur Mutterliebe für die Adoptivkinder geworden
sey, die sich nur durch den Mangel des Naturtriebes
zu diesen angenommenen Kindern von der gewöhn-
lichen Mutterliebe unterscheide, und die das in-
nige Erbarmen gegen die Schwachheit mit weiser
Besonnenheit immerdar verschmelze, daß es nie
in Schwäche ausarten möge.

Jch. Jch weiß nicht, Freund, ob Sie mein
Gemüth durch Jhre uns ehrende Ansicht bestochen
haben: ich fühle mich überwältigt, und darf Jh-
nen nichts mehr entgegen setzen. Nur das noch,
daß ich ohne alle männliche Hülfe ungern Mäd-
chen erziehen möchte.

Pfarrer. Aber so engherzig wollen wir auch

Jch. Sie fodern viel, mein Freund.

Pfarrer. Und ich leſe in Jhrem Jnnern
die noch ſtrengern Foderungen: ich weiß, daß Sie
mir zürnen würden, wenn ich weniger von Jh-
rem Geſchlecht erwartete. Denn Sie wollen auch,
daß die Erzieherin ein Herz habe, das der zarte-
ſten, innigſten, glühendſten Liebe empfänglich ſey,
und daß nun der ganze Reichthum dieſes Herzens
zur Mutterliebe für die Adoptivkinder geworden
ſey, die ſich nur durch den Mangel des Naturtriebes
zu dieſen angenommenen Kindern von der gewöhn-
lichen Mutterliebe unterſcheide, und die das in-
nige Erbarmen gegen die Schwachheit mit weiſer
Beſonnenheit immerdar verſchmelze, daß es nie
in Schwäche ausarten möge.

Jch. Jch weiß nicht, Freund, ob Sie mein
Gemüth durch Jhre uns ehrende Anſicht beſtochen
haben: ich fühle mich überwältigt, und darf Jh-
nen nichts mehr entgegen ſetzen. Nur das noch,
daß ich ohne alle männliche Hülfe ungern Mäd-
chen erziehen möchte.

Pfarrer. Aber ſo engherzig wollen wir auch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0318" n="304"/>
          <p><hi rendition="#g">Jch</hi>. Sie fodern viel, mein Freund.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Pfarrer</hi>. Und ich le&#x017F;e in Jhrem Jnnern<lb/>
die noch &#x017F;trengern Foderungen: ich weiß, daß Sie<lb/>
mir zürnen würden, wenn ich weniger von Jh-<lb/>
rem Ge&#x017F;chlecht erwartete. Denn Sie wollen auch,<lb/>
daß die Erzieherin ein Herz habe, das der zarte-<lb/>
&#x017F;ten, innig&#x017F;ten, glühend&#x017F;ten Liebe empfänglich &#x017F;ey,<lb/>
und daß nun der ganze Reichthum die&#x017F;es Herzens<lb/>
zur Mutterliebe für die Adoptivkinder geworden<lb/>
&#x017F;ey, die &#x017F;ich nur durch den Mangel des Naturtriebes<lb/>
zu die&#x017F;en angenommenen Kindern von der gewöhn-<lb/>
lichen Mutterliebe unter&#x017F;cheide, und die das in-<lb/>
nige Erbarmen gegen die Schwachheit mit wei&#x017F;er<lb/>
Be&#x017F;onnenheit immerdar ver&#x017F;chmelze, daß es nie<lb/>
in Schwäche ausarten möge.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Jch</hi>. Jch weiß nicht, Freund, ob Sie mein<lb/>
Gemüth durch Jhre uns ehrende An&#x017F;icht be&#x017F;tochen<lb/>
haben: ich fühle mich überwältigt, und darf Jh-<lb/>
nen nichts mehr entgegen &#x017F;etzen. Nur das noch,<lb/>
daß ich ohne alle männliche Hülfe ungern Mäd-<lb/>
chen erziehen möchte.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Pfarrer</hi>. Aber &#x017F;o engherzig wollen wir auch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[304/0318] Jch. Sie fodern viel, mein Freund. Pfarrer. Und ich leſe in Jhrem Jnnern die noch ſtrengern Foderungen: ich weiß, daß Sie mir zürnen würden, wenn ich weniger von Jh- rem Geſchlecht erwartete. Denn Sie wollen auch, daß die Erzieherin ein Herz habe, das der zarte- ſten, innigſten, glühendſten Liebe empfänglich ſey, und daß nun der ganze Reichthum dieſes Herzens zur Mutterliebe für die Adoptivkinder geworden ſey, die ſich nur durch den Mangel des Naturtriebes zu dieſen angenommenen Kindern von der gewöhn- lichen Mutterliebe unterſcheide, und die das in- nige Erbarmen gegen die Schwachheit mit weiſer Beſonnenheit immerdar verſchmelze, daß es nie in Schwäche ausarten möge. Jch. Jch weiß nicht, Freund, ob Sie mein Gemüth durch Jhre uns ehrende Anſicht beſtochen haben: ich fühle mich überwältigt, und darf Jh- nen nichts mehr entgegen ſetzen. Nur das noch, daß ich ohne alle männliche Hülfe ungern Mäd- chen erziehen möchte. Pfarrer. Aber ſo engherzig wollen wir auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/318
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/318>, abgerufen am 21.11.2024.