Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.Sehr lebhaft erinnere ich mich des Knaben eines Tagelöhners, der bey uns in Arbeit stand. Der Vater war ein gebrechlicher Mensch mit ganz krum- men Füßen, der nur wenige Hausarbeiten ver- richten konnte. Die Mutter mußte also mit auf die Arbeit ausgehen, um für die Familie die Noth- durft erwerben zu helfen. Da sollten denn die beiden ältesten Kinder, die auch noch klein waren, dies kleinste den Tag über warten. Jhr Hüttchen stand dicht neben unserm damaligen Landhause. Jch hörte im Hüttchen oft schreien. Es jammerte mich der armen Kinder, die so alle drei zu Krüp- peln werden mußten. Jch gab den beiden ältesten eine Beschäftigung, die ihnen angemessen war, und nahm den kleinen halbjährigen Buben des Tags, wenn er nicht schlief, zu mir in's Zimmer, breitete dann einen Teppich unter ihm aus, setzte ihn darauf, und gab ihm Allerlei zum Spielen -- unter andern auch kleine Kugeln. So oft ihm die weg rollten, wollte er sie wieder greifen; das wollte nicht gelingen, und so fing er an zu kriechen, und kroch ihnen nach. Diese Versuche mißglückten bisweilen, und er schrie. Jch half ihm nur wenig Sehr lebhaft erinnere ich mich des Knaben eines Tagelöhners, der bey uns in Arbeit ſtand. Der Vater war ein gebrechlicher Menſch mit ganz krum- men Füßen, der nur wenige Hausarbeiten ver- richten konnte. Die Mutter mußte alſo mit auf die Arbeit ausgehen, um für die Familie die Noth- durft erwerben zu helfen. Da ſollten denn die beiden älteſten Kinder, die auch noch klein waren, dies kleinſte den Tag über warten. Jhr Hüttchen ſtand dicht neben unſerm damaligen Landhauſe. Jch hörte im Hüttchen oft ſchreien. Es jammerte mich der armen Kinder, die ſo alle drei zu Krüp- peln werden mußten. Jch gab den beiden älteſten eine Beſchäftigung, die ihnen angemeſſen war, und nahm den kleinen halbjährigen Buben des Tags, wenn er nicht ſchlief, zu mir in’s Zimmer, breitete dann einen Teppich unter ihm aus, ſetzte ihn darauf, und gab ihm Allerlei zum Spielen — unter andern auch kleine Kugeln. So oft ihm die weg rollten, wollte er ſie wieder greifen; das wollte nicht gelingen, und ſo fing er an zu kriechen, und kroch ihnen nach. Dieſe Verſuche mißglückten bisweilen, und er ſchrie. Jch half ihm nur wenig <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0046" n="32"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Sehr lebhaft erinnere ich mich des Knaben eines<lb/> Tagelöhners, der bey uns in Arbeit ſtand. Der<lb/> Vater war ein gebrechlicher Menſch mit ganz krum-<lb/> men Füßen, der nur wenige Hausarbeiten ver-<lb/> richten konnte. Die Mutter mußte alſo mit auf<lb/> die Arbeit ausgehen, um für die Familie die Noth-<lb/> durft erwerben zu helfen. Da ſollten denn die<lb/> beiden älteſten Kinder, die auch noch klein waren,<lb/> dies kleinſte den Tag über warten. Jhr Hüttchen<lb/> ſtand dicht neben unſerm damaligen Landhauſe.<lb/> Jch hörte im Hüttchen oft ſchreien. Es jammerte<lb/> mich der armen Kinder, die ſo alle drei zu Krüp-<lb/> peln werden mußten. Jch gab den beiden älteſten<lb/> eine Beſchäftigung, die ihnen angemeſſen war,<lb/> und nahm den kleinen halbjährigen Buben des<lb/> Tags, wenn er nicht ſchlief, zu mir in’s Zimmer,<lb/> breitete dann einen Teppich unter ihm aus, ſetzte<lb/> ihn darauf, und gab ihm Allerlei zum Spielen —<lb/> unter andern auch kleine Kugeln. So oft ihm die<lb/> weg rollten, wollte er ſie wieder greifen; das wollte<lb/> nicht gelingen, und ſo fing er an zu kriechen, und<lb/> kroch ihnen nach. Dieſe Verſuche mißglückten<lb/> bisweilen, und er ſchrie. Jch half ihm nur wenig<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [32/0046]
Sehr lebhaft erinnere ich mich des Knaben eines
Tagelöhners, der bey uns in Arbeit ſtand. Der
Vater war ein gebrechlicher Menſch mit ganz krum-
men Füßen, der nur wenige Hausarbeiten ver-
richten konnte. Die Mutter mußte alſo mit auf
die Arbeit ausgehen, um für die Familie die Noth-
durft erwerben zu helfen. Da ſollten denn die
beiden älteſten Kinder, die auch noch klein waren,
dies kleinſte den Tag über warten. Jhr Hüttchen
ſtand dicht neben unſerm damaligen Landhauſe.
Jch hörte im Hüttchen oft ſchreien. Es jammerte
mich der armen Kinder, die ſo alle drei zu Krüp-
peln werden mußten. Jch gab den beiden älteſten
eine Beſchäftigung, die ihnen angemeſſen war,
und nahm den kleinen halbjährigen Buben des
Tags, wenn er nicht ſchlief, zu mir in’s Zimmer,
breitete dann einen Teppich unter ihm aus, ſetzte
ihn darauf, und gab ihm Allerlei zum Spielen —
unter andern auch kleine Kugeln. So oft ihm die
weg rollten, wollte er ſie wieder greifen; das wollte
nicht gelingen, und ſo fing er an zu kriechen, und
kroch ihnen nach. Dieſe Verſuche mißglückten
bisweilen, und er ſchrie. Jch half ihm nur wenig
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