Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.zum Stehen in den Beinen. Da fing ich an, dem kleinen Hans das Ziel weiter zu rücken. Wenn er sich eben am Stuhl aufgerichtet hatte, legt' ich den Kuchen, oder das Obst, oder was es sonst war, ein Paar Stühle weiter. Nun fing er an, sich an den Stühlen halten zu wollen, um zu dem hinzugehen, wo der Preis lag. Die Stütze versagte aber: ich reichte ihm einen Finger hin, er ergriff ihn, und so kam er zum Ziel. Nach ei- nigen Tagen gab ich ihm keinen Finger mehr, und er kam auch hin. Und so führte ich ihn bald an der einen, bald an der andern Hand, wohin ich ihn haben wollte. Noch ehe er eilf Monate alt war, lief er allein. War er müde, so kroch er wieder, und als er ein Jahr alt war, war er fast immer auf den Beinen, und Du mußt nicht leicht ein netteres und kräftigeres Bübchen gesehen ha- ben, als diesen kleinen Hans. Diese Erfahrung hatte ich gemacht, noch ehe zum Stehen in den Beinen. Da fing ich an, dem kleinen Hans das Ziel weiter zu rücken. Wenn er ſich eben am Stuhl aufgerichtet hatte, legt’ ich den Kuchen, oder das Obſt, oder was es ſonſt war, ein Paar Stühle weiter. Nun fing er an, ſich an den Stühlen halten zu wollen, um zu dem hinzugehen, wo der Preis lag. Die Stütze verſagte aber: ich reichte ihm einen Finger hin, er ergriff ihn, und ſo kam er zum Ziel. Nach ei- nigen Tagen gab ich ihm keinen Finger mehr, und er kam auch hin. Und ſo führte ich ihn bald an der einen, bald an der andern Hand, wohin ich ihn haben wollte. Noch ehe er eilf Monate alt war, lief er allein. War er müde, ſo kroch er wieder, und als er ein Jahr alt war, war er faſt immer auf den Beinen, und Du mußt nicht leicht ein netteres und kräftigeres Bübchen geſehen ha- ben, als dieſen kleinen Hans. Dieſe Erfahrung hatte ich gemacht, noch ehe <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0048" n="34"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> zum Stehen in den Beinen. Da fing ich an,<lb/> dem kleinen Hans das Ziel weiter zu rücken.<lb/> Wenn er ſich eben am Stuhl aufgerichtet hatte,<lb/> legt’ ich den Kuchen, oder das Obſt, oder was es<lb/> ſonſt war, ein Paar Stühle weiter. Nun fing<lb/> er an, ſich an den Stühlen halten zu wollen, um<lb/> zu dem hinzugehen, wo der Preis lag. Die Stütze<lb/> verſagte aber: ich reichte ihm einen Finger hin,<lb/> er ergriff ihn, und ſo kam er zum Ziel. Nach ei-<lb/> nigen Tagen gab ich ihm keinen Finger mehr, und<lb/> er kam auch hin. Und ſo führte ich ihn bald an<lb/> der einen, bald an der andern Hand, wohin ich<lb/> ihn haben wollte. Noch ehe er eilf Monate alt<lb/> war, lief er allein. War er müde, ſo kroch er<lb/> wieder, und als er ein Jahr alt war, war er faſt<lb/> immer auf den Beinen, und Du mußt nicht leicht<lb/> ein netteres und kräftigeres Bübchen geſehen ha-<lb/> ben, als dieſen kleinen Hans.</p><lb/> <p>Dieſe Erfahrung hatte ich gemacht, noch ehe<lb/> ich mit Erziehung mich eigentlich beſchäftigte, und<lb/> zu einer Zeit, wo ich noch nicht einmal wußte,<lb/> daß auch das zur Erziehung gehöre. Als dies Ge-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [34/0048]
zum Stehen in den Beinen. Da fing ich an,
dem kleinen Hans das Ziel weiter zu rücken.
Wenn er ſich eben am Stuhl aufgerichtet hatte,
legt’ ich den Kuchen, oder das Obſt, oder was es
ſonſt war, ein Paar Stühle weiter. Nun fing
er an, ſich an den Stühlen halten zu wollen, um
zu dem hinzugehen, wo der Preis lag. Die Stütze
verſagte aber: ich reichte ihm einen Finger hin,
er ergriff ihn, und ſo kam er zum Ziel. Nach ei-
nigen Tagen gab ich ihm keinen Finger mehr, und
er kam auch hin. Und ſo führte ich ihn bald an
der einen, bald an der andern Hand, wohin ich
ihn haben wollte. Noch ehe er eilf Monate alt
war, lief er allein. War er müde, ſo kroch er
wieder, und als er ein Jahr alt war, war er faſt
immer auf den Beinen, und Du mußt nicht leicht
ein netteres und kräftigeres Bübchen geſehen ha-
ben, als dieſen kleinen Hans.
Dieſe Erfahrung hatte ich gemacht, noch ehe
ich mit Erziehung mich eigentlich beſchäftigte, und
zu einer Zeit, wo ich noch nicht einmal wußte,
daß auch das zur Erziehung gehöre. Als dies Ge-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |