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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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als ein Eigenthum der unbefangenen
kindlichen Unwissenheit respektirt wer-
den sollte
.

Es geht über alle Vorstellung, wie unglück-
lich man in der Kindheit durch leidenschaftliche
Furcht und Angst werden kann, und wie dadurch
dem Kinde seine ganze goldene Morgenröthe ge-
trübt wird. Jn meiner frühesten Kindheit hatte
mein trefflicher Vater mich sehr sorgfältig gegen
die Anwandlung dieser unseligen Leidenschaft ver-
wahrt. Oft nahm er mich in meinem zweiten
und dritten Jahre auf seine Arme, hüllte mich
in seinen Schlafrock, ging mit mir hinaus im
Dunkeln in den Garten, zeigte mir den herauf-
steigenden Mond, und das kindliche Herz fühlte nur
Freude und ahnete nichts von Furcht. So ging
er zur andern Zeit, wenn's dunkel ward, mit mir
in den Zimmern und Gängen des Hauses umher,
und sang mir vor. Auch fodert' er von meiner
Mutter, wenn sie mich schlafen legte, und mir
mein kurzes Abendgebet vorgesprochen und mich
geküßt, daß sie sogleich von mir ging, und das



als ein Eigenthum der unbefangenen
kindlichen Unwiſſenheit reſpektirt wer-
den ſollte
.

Es geht über alle Vorſtellung, wie unglück-
lich man in der Kindheit durch leidenſchaftliche
Furcht und Angſt werden kann, und wie dadurch
dem Kinde ſeine ganze goldene Morgenröthe ge-
trübt wird. Jn meiner früheſten Kindheit hatte
mein trefflicher Vater mich ſehr ſorgfältig gegen
die Anwandlung dieſer unſeligen Leidenſchaft ver-
wahrt. Oft nahm er mich in meinem zweiten
und dritten Jahre auf ſeine Arme, hüllte mich
in ſeinen Schlafrock, ging mit mir hinaus im
Dunkeln in den Garten, zeigte mir den herauf-
ſteigenden Mond, und das kindliche Herz fühlte nur
Freude und ahnete nichts von Furcht. So ging
er zur andern Zeit, wenn’s dunkel ward, mit mir
in den Zimmern und Gängen des Hauſes umher,
und ſang mir vor. Auch fodert’ er von meiner
Mutter, wenn ſie mich ſchlafen legte, und mir
mein kurzes Abendgebet vorgeſprochen und mich
geküßt, daß ſie ſogleich von mir ging, und das

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[42/0056] als ein Eigenthum der unbefangenen kindlichen Unwiſſenheit reſpektirt wer- den ſollte. Es geht über alle Vorſtellung, wie unglück- lich man in der Kindheit durch leidenſchaftliche Furcht und Angſt werden kann, und wie dadurch dem Kinde ſeine ganze goldene Morgenröthe ge- trübt wird. Jn meiner früheſten Kindheit hatte mein trefflicher Vater mich ſehr ſorgfältig gegen die Anwandlung dieſer unſeligen Leidenſchaft ver- wahrt. Oft nahm er mich in meinem zweiten und dritten Jahre auf ſeine Arme, hüllte mich in ſeinen Schlafrock, ging mit mir hinaus im Dunkeln in den Garten, zeigte mir den herauf- ſteigenden Mond, und das kindliche Herz fühlte nur Freude und ahnete nichts von Furcht. So ging er zur andern Zeit, wenn’s dunkel ward, mit mir in den Zimmern und Gängen des Hauſes umher, und ſang mir vor. Auch fodert’ er von meiner Mutter, wenn ſie mich ſchlafen legte, und mir mein kurzes Abendgebet vorgeſprochen und mich geküßt, daß ſie ſogleich von mir ging, und das

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/56>, abgerufen am 24.11.2024.