Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.völlig mächtig. Nun konnte man mich zu fürch- ten machen, womit man wollte. Erst graute mir vor Riesen ohne Kopf, wovon der Vetter mir er- zählt hatte, dann ver Pferden mit feurigen Au- gen, dann vor dem Alp, dann vor Gespenstern, vor Kobolden, Drachen, Hexen, dann vor Ko- meten, Gewittern, und am Ende vor dem jüng- sten Tag. Meinen herrlichen Vater hatte ich sehr früh ver- völlig mächtig. Nun konnte man mich zu fürch- ten machen, womit man wollte. Erſt graute mir vor Rieſen ohne Kopf, wovon der Vetter mir er- zählt hatte, dann ver Pferden mit feurigen Au- gen, dann vor dem Alp, dann vor Geſpenſtern, vor Kobolden, Drachen, Hexen, dann vor Ko- meten, Gewittern, und am Ende vor dem jüng- ſten Tag. Meinen herrlichen Vater hatte ich ſehr früh ver- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0058" n="44"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> völlig mächtig. Nun konnte man mich zu fürch-<lb/> ten machen, womit man wollte. Erſt graute mir<lb/> vor Rieſen ohne Kopf, wovon der Vetter mir er-<lb/> zählt hatte, dann ver Pferden mit feurigen Au-<lb/> gen, dann vor dem Alp, dann vor Geſpenſtern,<lb/> vor Kobolden, Drachen, Hexen, dann vor Ko-<lb/> meten, Gewittern, und am Ende vor dem jüng-<lb/> ſten Tag.</p><lb/> <p>Meinen herrlichen Vater hatte ich ſehr früh ver-<lb/> loren. Niemand arbeitete der Furcht bei mir ent-<lb/> gegen: ſie nahm bald ſo überhand, daß ich keiner<lb/> Freude mehr fähig war. Oft wünſcht’ ich mir den<lb/> Tod, weil mir ein Leben voll ſteter Angſt unleid-<lb/> lich ſchien. Blumen und Vögel, meine vorzüg-<lb/> lichſten Freunde, und die ganze ſchöne Natur<lb/> ſprachen mir vergebens zu; hinter jedem Baum<lb/> und Strauche ſah ich irgend ein Unthier lauern.<lb/> Die Sterne, die mich früh ſo glücklich machten,<lb/> weil man mir geſagt, auf jedem wohn’ ein En-<lb/> gel, wurden mir nun fürchterlich, weil ich immer<lb/> meynte, ſie würden ſich in Kometen verwandeln<lb/> und den jüngſten Tag heranbringen. Kurz, die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [44/0058]
völlig mächtig. Nun konnte man mich zu fürch-
ten machen, womit man wollte. Erſt graute mir
vor Rieſen ohne Kopf, wovon der Vetter mir er-
zählt hatte, dann ver Pferden mit feurigen Au-
gen, dann vor dem Alp, dann vor Geſpenſtern,
vor Kobolden, Drachen, Hexen, dann vor Ko-
meten, Gewittern, und am Ende vor dem jüng-
ſten Tag.
Meinen herrlichen Vater hatte ich ſehr früh ver-
loren. Niemand arbeitete der Furcht bei mir ent-
gegen: ſie nahm bald ſo überhand, daß ich keiner
Freude mehr fähig war. Oft wünſcht’ ich mir den
Tod, weil mir ein Leben voll ſteter Angſt unleid-
lich ſchien. Blumen und Vögel, meine vorzüg-
lichſten Freunde, und die ganze ſchöne Natur
ſprachen mir vergebens zu; hinter jedem Baum
und Strauche ſah ich irgend ein Unthier lauern.
Die Sterne, die mich früh ſo glücklich machten,
weil man mir geſagt, auf jedem wohn’ ein En-
gel, wurden mir nun fürchterlich, weil ich immer
meynte, ſie würden ſich in Kometen verwandeln
und den jüngſten Tag heranbringen. Kurz, die
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