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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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Freude meiner Kindheit war fast ganz dahin. End-
lich siegte meine bessere, heitere Natur. Viel-
leicht gaben auch die Gespräche heiterer, gebildeter
Menschen, bei denen ich zufällig gegenwärtig war,
meinem Geiste eine andere Richtung. Aber noch
bis in mein siebenzehntes, achtzehntes Jahr hatte
ich mit den Resten dieser Eindrücke zu kämpfen,
die erst sehr spät völlig verlöschten.

Bewahre unsern Liebling davor, beste Emma;
erspare ihr diese Kämpfe der Angst, die eine so
harte Anstrengung und einen zu großen Kraftauf-
wand fodern, um sich ganz davon loszumachen. Es
gibt Dinge, die man allerdings fürchten soll; aber
die Periode dieser Furcht darf bei Jda noch nicht
eintreten. Besorge dabei nicht, daß Jda in dieser
Furchtlosigkeit zu keck, zu dreist werden möchte.
Jhre heilige Furcht sey jetzt die, Dich unzufrieden
zu sehen. O! die Zeit wird kommen, wo ein Schauer
vor der unsichtbaren Macht, die die ganze Natur
bewegt, ihre Seele mit Ehrfurcht durchdringen
wird! Jetzt muß nur Liebe in ihr leben; dieß ist
der einige Geist, dessen geheimnißvolle Sprache sie



Freude meiner Kindheit war faſt ganz dahin. End-
lich ſiegte meine beſſere, heitere Natur. Viel-
leicht gaben auch die Geſpräche heiterer, gebildeter
Menſchen, bei denen ich zufällig gegenwärtig war,
meinem Geiſte eine andere Richtung. Aber noch
bis in mein ſiebenzehntes, achtzehntes Jahr hatte
ich mit den Reſten dieſer Eindrücke zu kämpfen,
die erſt ſehr ſpät völlig verlöſchten.

Bewahre unſern Liebling davor, beſte Emma;
erſpare ihr dieſe Kämpfe der Angſt, die eine ſo
harte Anſtrengung und einen zu großen Kraftauf-
wand fodern, um ſich ganz davon loszumachen. Es
gibt Dinge, die man allerdings fürchten ſoll; aber
die Periode dieſer Furcht darf bei Jda noch nicht
eintreten. Beſorge dabei nicht, daß Jda in dieſer
Furchtloſigkeit zu keck, zu dreiſt werden möchte.
Jhre heilige Furcht ſey jetzt die, Dich unzufrieden
zu ſehen. O! die Zeit wird kommen, wo ein Schauer
vor der unſichtbaren Macht, die die ganze Natur
bewegt, ihre Seele mit Ehrfurcht durchdringen
wird! Jetzt muß nur Liebe in ihr leben; dieß iſt
der einige Geiſt, deſſen geheimnißvolle Sprache ſie

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[45/0059] Freude meiner Kindheit war faſt ganz dahin. End- lich ſiegte meine beſſere, heitere Natur. Viel- leicht gaben auch die Geſpräche heiterer, gebildeter Menſchen, bei denen ich zufällig gegenwärtig war, meinem Geiſte eine andere Richtung. Aber noch bis in mein ſiebenzehntes, achtzehntes Jahr hatte ich mit den Reſten dieſer Eindrücke zu kämpfen, die erſt ſehr ſpät völlig verlöſchten. Bewahre unſern Liebling davor, beſte Emma; erſpare ihr dieſe Kämpfe der Angſt, die eine ſo harte Anſtrengung und einen zu großen Kraftauf- wand fodern, um ſich ganz davon loszumachen. Es gibt Dinge, die man allerdings fürchten ſoll; aber die Periode dieſer Furcht darf bei Jda noch nicht eintreten. Beſorge dabei nicht, daß Jda in dieſer Furchtloſigkeit zu keck, zu dreiſt werden möchte. Jhre heilige Furcht ſey jetzt die, Dich unzufrieden zu ſehen. O! die Zeit wird kommen, wo ein Schauer vor der unſichtbaren Macht, die die ganze Natur bewegt, ihre Seele mit Ehrfurcht durchdringen wird! Jetzt muß nur Liebe in ihr leben; dieß iſt der einige Geiſt, deſſen geheimnißvolle Sprache ſie

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/59>, abgerufen am 19.05.2024.